Wir dachten, Hitler baut nur Autobahnen…

Leute! Immer wieder bekomme ich Videos weitergeleitet, die Stimmung machen gegen die angeblich irrwitzigen Anti-Corona-Maßnahmen. Leute, schaut doch mal, von wem diese Videos kommen! Fragt euch doch auch mal, wer oder was DA dahinter steckt.

Ich fürchte, dass es genau diese Stimmungsmache ist, die uns noch in die Vollkatastrophe treiben kann. Zum Beispiel in die Arme eines Egomaniacs oder einer rechtsradikalen Bewegung, für die das Recht auf Meinungsfreiheit wirklich genau da aufhört, wo es nicht die eigene ist.

Überlegt doch mal! Gibt es hier in Deutschland aktuell wirklich einen Maulkorb? Haben wir es nicht verhältnismäßig gut, die wir nicht durch einen Vollidioten regiert werden, der mit dem Leben von hunderttausenden spielt, und dem die Leute, die in den Krankenhäusern arbeiten scheißegal sind? Wo die Maßnahmen einigermaßen nachvollziehbar begründet werden, wo es (bislang) geschafft wurde, Verhältnisse wie in Italien oder New York zu vermeiden und wo versucht wird, kurzfristig zu helfen, wo Not entsteht? (Zumindest vor der eigenen Haustür – und diese Einschränkung ist traurig genug!).

Überlegt doch mal! Haben unsere Regierungsparteien in den letzten Jahrzehnten jemals den Eindruck erweckt, der deutschen Wirtschaft mutwillig schaden zu wollen? Gibt es irgendeinen nicht hanebüchenen Grund, warum sie das jetzt tun sollten, wenn nicht, weil sie über die Brisanz dieser nie dagewesenen globalen Situation ausnahmsweise einmal einig sind? Und womöglich ausgerechnet haben, dass ein zu spätes Eingreifen noch viel höhere soziale und ökonomische Kosten haben könnte?

Wo ist der Vorschlag, wie es besser gehen könnte? Konsens-Entscheidung von 80 Millionen? Oder Diktat derer, die statt Angst vor dem Virus und seinen schwer abzusehenden gesamtgesellschaftlichen Folgen eine noch viel größere Angst vor dem vermeintlich vermeidbaren eigenen finanziellen Abstieg haben? Diktat derer, die meinen, nichts Schlimmeres fürchten zu müssen als weniger konsumieren zu können und eine Weile auf andere Rücksicht zu nehmen? Die sich für eine Mehrheit halten, weil ihre Videos viele Klicks erreichen?

Bei der Stimmungsmache gegen alles arbeiten leider Rechte und manche, die sich selber als Linke bezeichnen, zusammen. Wenn aber am Ende die Rechten davon profitieren, die auf so eine Gelegenheit nur gewartet haben, dann werden wir sehen, dass wir die mit ein paar Klicks, Online-Petitionen und weitergeleiteten Videos nicht so schnell wieder los werden!

Deshalb bitte, recherchiert ein wenig, woher die Videos kommen, bevor ihr sie weiterleitet, nehmt euch die Zeit und lest auch das Kleingedruckte, und überlegt, ob ihr diese Quellen wirklich stark machen wollt!

Wisst ihr auch von manipulativen Videos aus dubiosen/rechten Quellen? Dann teilt hier eure Erfahrungen und Infos dazu!

Der Unterschied zwischen einer Meinung und einem besseren Plan

Wenn sogar der Ethikrat eine Debatte über die Beendigung der Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie fordert, sollten wir vielleicht vorab klären, über was geredet werden soll. Ich sage, es kann hier nicht um einen Austausch von Meinungen und Befindlichkeiten gehen. Das einzige, worüber eine Debatte lohnt, wären alternative, begründete und durchdachte Krisenstrategien. Solche sehe ich allerdings bis jetzt nicht – leider.

Die Medien transportieren in den letzten Tagen zunehmend mehr Äußerungen des Unmuts über eine Fortsetzung der Kontaktverbote für Gruppen von mehr als 2 Personen. Wie repräsentativ das ist, ist schwer zu sagen. Ja, ich kenne Menschen, die die Situation sehr belastet. Aber auch von denen sind einige überzeugt, dass strenge Maßnahmen notwendig sind. Vor allem, wenn sie aus Corona-Hotspots kommen und aus eigener Anschauung wissen, dass es bei weitem nicht nur die Ältesten sind, die einen schweren Verlauf haben können. Auf der anderen Seite gibt es sogar unter denen, denen es eigentlich auch jetzt ganz gut geht, Stimmen, die ihre Normalität von vor Corona wieder haben wollen.

Plötzlich tauchen genau da auch die AfD und die FDP wieder aus der Versenkung auf. Passend platziert direkt nach düsteren Rezessionsprognosen dürfen sie in der Tagesschau erklären, dass jetzt langsam im Sinne einer Rettung der Wirtschaft aber mal Schluss sein müsse mit dem „totalen Shutdown“ (eine etwas exaltierte Wortwahl, wie ich finde, für das was wir gerade erleben, wo vieles immer noch funktioniert).

Aber Leute: wo sind eure Gegenvorschläge? Könnt ihr darlegen, wie sich, bei allem, was wir über die Ausbreitung des Virus, unser Gesundheitssystem- und unser Wirtschaftssystem wissen, die Zukunft entwickeln könnte, wenn wir jetzt einfach mal zurück auf „Normal“ gehen? Ich habe noch kein entsprechendes Szenario gesehen. (Weidel ist ja der Auffassung, die deutsche Wirtschaft müsse dann aus Geldern saniert werden, die durch Fallenlassen aller Klimaschutzprogramme und von sozialer Gleichstellungspolitik frei werden könnten. Dazwischen soll wahrscheinlich das Militär dafür sorgen, dass Verteilungskämpfe verschleiert und der Schein der „Normalität“ für ein paar wenige hier in Deutschland aufrecht erhalten werden.).

Diejenigen, die Entscheidungen über die Maßnahmen bis hierher getroffen haben, haben allerdings ihre Daten und die von ihnen zu Grunde gelegten möglichen Szenarien öffentlich nachvollziehbar angegeben. Eine gute Zusammenfassung findet sich zum Beispiel hier (maiLab). Und der Plan wäre, die Folgen gemeinsam zu schultern. Ich trete gerne etwas kürzer, wenn dafür am Ende alle halbwegs gut durchkommen. Ehrensache. (Vielleicht auch eine Gelegenheit, mal wieder über das Thema Einheitslohn nachzudenken).

Es gibt ein interessantes Gedankenexperiment von John Rawls, der meint, gerechte Entscheidungen kommen nur dann heraus, wenn die, die sie treffen, nicht wissen, auf welcher Seite sie am Ende stehen werden. Übertragen auf die aktuelle Situation: wir sollten Entscheidungen treffen, die wir auch dann noch richtig fänden, wenn wir z.b. selbst ein Beatmungsgerät bräuchten um zu überleben, selbst im Schichtdienst im Krankenhaus angestellt wären, selbst arbeitslos würden, selbst einen Betrieb zu leiten hätten, selbst mit 2 Kindern in einer engen Mietwohnung leben müssten, selbst in einem Flüchtlingslager auf einer griechischen Insel eingepfercht wären, etc.

Ich frage mich das oft, wenn Leute einfach nicht weiter als bis zur eigenen Schuhspitze denken, wie das wäre, wenn sie plötzlich auf der anderen Seite ihrer kleinen Gedanken aufwachen würden. Eigentlich hoffe ich, dass sie das tun, bevor sie in der echten Welt noch mehr Schaden anrichten als sie eh schon erleidet.

Habt ihr Anmerkungen oder einen besseren Plan? Dann hinterlasst doch einen Kommentar!

Auf ein gutes neues Jahr!!!

Das Jahr auf diesem Blog fängt mit zwei guten Nachrichten an: ab sofort seht ihr hier keine Werbung mehr – und: so langsam wachen auch maßgebliche offizielle Stellen auf und stellen sich ihrer Verantwortung bezüglich der Nutzung von Social Media! Ich freue mich sehr über die Nachricht, dass der Landesdatenschutzbeauftragte von Baden-Württemberg, Stefan Brink, angekündigt hat, wegen rechtlicher Bedenken seinen Twitter-Account nicht mehr nutzen zu wollen. Und nicht nur das: er stößt damit einen Prozess an, der Behörden und andere öffentliche Einrichtungen dazu zwingen wird, ihren Social Media Einsatz ebenfalls zu hinterfragen und im besten Fall auch zu ändern. Und das finde ich gut so. Denn – und da bin ich ganz bei Stefan Brink – indem wir relevante Informationen über Dienste zur Verfügung stellen, die im Hintergrund auf problematische Art Nutzer*innendaten sammeln, bringen wir andere dazu, diese zu nutzen und dabei womöglich ungewollt private Daten preiszugeben. Wir stärken damit Konzerne und Mechanismen, die niemandem gut tun außer sich selbst.

Zwei Dinge möchte ich mir dann fürs neue Jahr noch wünschen: dass sich genug schlaue Köpfe zusammenfinden, um unabhängige, unkommerzielle und sichere Kommunikationskanäle anbieten zu können – Social Media eben, aber ohne Kommerz und Ausbeutung. Und dass dann auch immer mehr Menschen auf diese umsteigen!

Halten wir uns gegenseitig auf dem Laufenden, was solche Entwicklungen angeht! (A propos: was dieses Jahr so beim CCC-Kongress los war, findet ihr in Ausschnitten hier.…) Machen wir mit! Und freuen wir uns gemeinsam auf ein gutes neues Jahr!

Die Veränderung, die du dir wünschst

Was, wenn an dem Ort, den du liebst, Aliens landen würden, die alle in das verwandeln könnten, was sie gern wären?

Würde sich die Natur rächen für das, was wir Menschen ihr angetan haben? Wie lange würde es dauern, bis Rache und Gewalt sich ausgetobt hätten? Gäbe es ein Danach? Würde alles ins Chaos stürzen?

Die in den USA geborene Autorin Nnedi Okorafor, deren Eltern aus Nigeria sind, hat dieses Szenario in ihre Lieblingsstadt Lagos gelegt und mit Hilfe einer Spinne einen Comic-haften Roman daraus gewoben: Lagune, erschienen 2016 im Cross-Culture-Verlag.

Insgesamt ein starkes und inspirierendes Buch, das das, was ist, nicht beschönigt, aber dann alles an Fantasie, Superheld*innenkräften und Explizitheit aufbietet, um es zu überwinden. Gewalt gegen Frauen wird bestraft – und die Gewalt gegen LGBTTI* hoffentlich eines Tages auch. Betrug, Korruption und Verbrechen gegen die Umwelt – nichts kann bleiben, wie es ist. Die fremden Wesen sind vor allem eins: Veränderung.

Nnedi Okorafor erzählt aus einer klar nicht-männerdominanten Perspektive, womit ich folgendes meine:

  • Eine Frau als Protagonistin – gleichberechtigt neben Männern, die Gewalt gegen Frauen klar ablehnen. Andere Männer sind keine Sekunde lang Sympathieträger.
  • Die Botschafterin der Aliens erscheint (meist) in Gestalt einer Frau.
  • Auch weibliche Nebenfiguren haben eigene Geschichten und ein eigenes Standing.
  • Besondere Lebensbedingungen von Frauen werden erkannt und benannt.
  • Von der Norm abweichende und auch nicht-menschliche Wesen kommen als Leidens- und entscheidungsfähige Subjekte vor, und die Gewalt, der sie aktuell in der (hier nigerianischen) Gesellschaft ausgesetzt sind, als brutal und ignorant erlebbar.

So könnten natürlich auch Menschen schreiben, die sich nicht als Frau definieren – sie tun es aber leider immer noch VIEL zu selten.

Nnedi Okorafor: Lagune. Cross Cult Verlag, 2016.

Die Entdeckung dieses Buchs verdanke ich Marion und ihrem Blog schiefgelesen.net . Für solche Anregungen lese und schreibe ich Blogs. Folgt uns und gebt weiter, was ihr gut findet, damit wir auch morgen noch Bücher lesen können, die es nicht auf den Wühltisch bei Thalia schaffen!

Demokratie vs Trump: Resignieren verboten

Hier geht es zum Trailer von Michael Moores neuem Film Fahrenheit 11/9, der gerade in deutschen Kinos angelaufen ist. Der Film geht der Frage nach, wie ein Mann zum Präsidenten der USA werden konnte, der in aller Öffentlichkeit rassistische, frauenverachtende Aussagen macht, ein Mann, der schulterzuckend jeden Nachweis besseren Wissens ignoriert, in einem fort Menschen beleidigt und auf jegliche Art von Fairness und Rücksichtnahme pfeift, Der Film ist äußerst sehenswert, denn die Antworten, die Moore findet, sollten auch uns hier in Europa / Deutschland eine Lehre sein, wenn wir nicht in ganz finstere Zeiten zurückfallen wollen.

Die wichtigsten Punkte in Kürze:

  • Die Quoten-/Klick-/Geldgier der Medien machen aus Skandalträgern Stars, Pop-Ikonen und Identifikationsfiguren, die schwer wieder loszuwerden sind.
  • Die Menschen, die mit einer positiven Utopie unterwegs sind, haben schon vorher das Vertrauen in die Demokratie verloren und gehen daher nicht mehr wählen. Erst das ermöglicht einen Wahlsieg von ressentimentgeladenen, populistisch auftretenden Kandidaten/Parteien – obwohl aktuelle Umfragen zeigen, dass die Mehrheit der US-Amerikaner*innen deutlich fortschrittlichere und liberalere Positionen vertritt.
  • Ehemals demokratische/linke Institutionen (Pateien, Gewerkschaften,…) haben die Interessen der Basis verraten. (Was maßgeblich zu diesem Vertrauensverlust beiträgt).
  • Die Skrupellosesten haben zusätzlich Geld und Waffen auf ihrer Seite.

Bis auf den letzten Punkt können und müssen wir diese Entwicklungen wieder umdrehen:

  • Unabhängige und faktenbasierte Medien stärken.
  • Sensationsmeldungen boykottieren (nicht klicken, nicht teilen).
  • Vom aktiven und passiven Wahlrecht Gebrauch machen.
  • Innerhalb der Gewerkschaften und anderer demokratischer Strukturen für mehr Demokratie und Transparenz kämpfen – oder neue gründen.
  • Für das, woran wir glauben, aktiv werden und gut argumentieren lernen.

Beim letzten Punkt muss ich mir an die eigene Nase fassen. Die letzten Jahre war ich es so müde, Fakten und Ereignissen hinterherzurecherchieren, wo es gefühlt eh nichts brachte: keine neuen Erkenntnisse über das System, in dem wir leben, keine sichtbare Handlungs-, geschweige denn Veränderungsoption. Mit dieser Art von Resignation muss jetzt Schluss sein. Denn ich kann mich dabei ertappen, dass ich Diskussionen mit Vertreter*innen rechtspopulistischer Positionen auch deshalb meide, weil ich fürchte, dass mir die Argumente ausgehen und ich nur noch aus dem Bauch heraus argumentieren kann. Und das fühlt sich ganz schön hilflos an.

Für Fairness und Gerechtigkeit zu sein, ist zwar ein schönes Feature, aber es muss eben auch implementiert werden. Oder, für Nicht-Informatiker*innen: Gut gemeint ist noch lange nicht gut gemacht. Und daran sollten wir arbeiten.

Links:

https://www.weltkino.de/filme/fahrenheit-119

Die Anstalt zur Diskussion um öffentlich-rechtliche Medien in Deutschland

Wie Schüler*innen Fake news erkennen können – Medienaufklärung an Schulen

Unheile Welt am Mittelmeer

Urlaub in Italien – da muss doch wenigstens eine italienische Autorin ins Reisegepäck und ein bißchen Hintergrund zu „Land und Leuten“… Eine große Auswahl an aktuellen feministischen, gerne gar lesbischen Autorinnen aus Italien ist mir ad hoc leider nicht begegnet (für Tipps wäre ich wahnsinnig dankbar – einfach als Kommentar hier hinterlassen!).

Gefunden habe ich dann erstmal Margaret Mazzantini. Die mehrfach ausgezeichnete Autorin hat 2013 mit ihrem Roman „Herrlichkeit“ das in Italien immer noch sehr spürbare Tabu Homosexualität gebrochen und die Schönheit und Tragik einer nur zum Teil ausgelebten lebenslangen Liebe zwischen zwei Männern zum literarischen Thema gemacht.

Ihre 2011 erschienene, relativ kurze Erzählung „Das Meer am Morgen“ stellt eher, aber nicht nur, Frauen in den Mittelpunkt. Von Italien nach Libyen und zurück migrieren darin über mehrere Generationen hinweg die einen, nämlich die, deren Nachkommen überleben und erzählen können. Von Libyen Richtung Italien treibt es die anderen, doch sie kommen auf dem Weg um. Wie so viele, die heute die Flucht übers Meer Richtung Europa antreten.

Grausam sind beide Geschichten, ist jede Vertreibung. Anhand der Schicksale von Mazzantinis Romanfiguren wird nachvollziehbar, wie die politischen Entwicklungen der letzten ca 100 Jahre die verschiedenen Migrationsbewegungen über das Mittelmeer angestoßen und geprägt haben. Von der italienischen Kolonialpolitik in Libyen (menschenverachtend und rassistisch wie jede Kolonisierung) über die „grüne Revolution“ Gaddafis, seine Instrumentalisierung der Flüchtenden in der Auseinandersetzung mit der EU, bis hin zu den ebenso verheerenden Folgen seines Sturzes – quasi im Schnelldurchlauf werden uns diese Zusammenhänge vor Augen geführt, aus der Perspektive von Menschen, die einfach zwischen die Räder geraten.

Das Thema Verantwortung stellt Margaret Mazzantini dennoch zur Debatte. Eine ihrer Figuren, die in Afrika geborene und später nach Sizilien vertriebene Angelina, „gehört zu den Menschen, die Verantwortung auf sich nehmen wollen.(…) Sagt, kein Volk, das ein anderes kolonial unterdrückt habe, sei unschuldig. Sagt, sie wolle nicht länger in einem Meer schwimmen, in dem Flüchtlingsboote untergingen.“ Ihren Sohn, Vito, überfordert das. Aber irgendwann beschließt er, zumindest nicht wegzuschauen.

„Das Meer am Morgen“ ist ein einfühlsam und kurzweilig, kurzum richtig gut geschriebenes Buch mit politischem Anspruch, das uns die Freiheit lässt, selbst zu entscheiden, was wir mit unserem Wissen anfangen. Uneingeschränkte Empfehlung, nicht nur für Italien-Urlauber*innen!

Wer dann noch nicht genug hat vom Thema und das Buch noch nicht kennt, oder wer mal eine Kreuzfahrt übers Mittelmeer machen möchte, kann mit Merle Krögers Havarie weitermachen. Auch das ein gut geschriebenes, spannendes und Augen öffnendes Buch, das ich wirklich allen ans Herz legen möchte.

So, und jetzt mit meiner Geliebten auf an den Strand! Hand in Hand, wie die Heteropaare, oder doch lieber „diskret“, weil hier überall der Papst hängt und sich das weit und breit sonst niemand traut?

Margaret Mazzantini: Das Meer am Morgen. Dumont Verlag, 2011 Übersetzt von Karin Krieger.

Merle Kröger: Havarie. Ariadne Kriminalroman, 2015.

Als Kind in Wackersdorf, mit 30 an der Kasse

Nachdem ich jetzt mehrere Bücher wieder weggelegt habe (u.a. Zadie Smith weil mich das Leben mit einer POP-Ikone auf Dauer langweilt, Lauren Groff weil zu hetero, Eva Dolan weil die politisch aktive junge Frau einem Widerling verfallen ist, der sie mies behandelt), habe ich endlich mal wieder ein Buch zum verschlingen entdeckt: „Das wussten wir schonvon Noemi Schneider.

An der Kasse keines gewöhnlichen, sondern natürlich eines verpackungsfreien Supermarkts treffen wir die Ich-Erzählerin dieses äußerst kurzweiligen und frechen Romans. Eigentlich ist sie Filmemacherin, nur ist Kultur halt eben auch ein Business, in das sie irgendwie nicht reinpasst mit ihren Ideen.

Ihre Mutter, deren Mitgefühl für Flüchtlinge größer zu sein scheint, als das Mitgefühl für die eigene Tochter, überlässt ihr Gartenhaus einem von der Abschiebung bedrohten Salafisten just in dem Moment, als die Erzählerin sich ihre Wohnung nicht mehr leisten kann. Von da aus nimmt eine Geschichte ihren Lauf, die der deutschen Mittelschicht aller Altersstufen sowie sozialen und Mainstream-Medien den Spiegel vorhält und dabei nicht mit wundervoll bizarren Szenen geizt.

Aus Sicht der in den 1980ern geborenen Kinder erleben wir eine politisch linksorientierte und inzwischen gut situierte und selbstgerechte Elterngeneration, die die emotionale Befindlichkeit und die Lebenswirklichkeit ihrer Kinder kaum wahrnimmt. Trotzdem handelt es sich hier nicht um eine überhebliche Abrechnung mit allem, was den Kindern da hinterlassen wird. Stattdessen ist immer spürbar, wieviel Sympathie und Einverständnis die Tochter den Ansichten ihrer immer noch aktiven Mutter in vielen Aspekten entgegenbringt. Und wieviel anarchistische Freude an unkonventionellen Lösungen sie doch geerbt hat. Am Ende gilt es, dieses Erbe in die Gegenwart zu übertragen und den Missständen der Gesellschaft, so wie die jüngere Generation sie antrifft, mit zeitgemäßen Mitteln und auf eigene Art entgegenzutreten. Eine gewisse Distanz allerdings bleibt. Nachvollziehbar.

Wenn ihr hören wollt, wie das klingt: hier liest die Autorin selbst:

… und wenn ihr jetzt noch mehr Motivation braucht: Barbara Junge von der taz war auch ganz begeistert und hat Noemi Schneider 2017 auf der Leipziger Buchmesse getroffen:

Cyber War – Syrien als Lehrstück

Wie schafft es eine Journalistin heute noch, Menschen im vermeintlich sicheren Europa für den Krieg in Syrien zu interessieren?

Juliana Ruhfus, Dokumentarfilmerin bei Al Jazeera, die zuletzt einen Film über den Cyberwar in Syrien gedreht hatte, stellte sich genau diese Frage. Und wusste sehr schnell, dass die Antwort mobil und interaktiv sein sollte.
Im Oktober 2016, nach nur 3 Monaten Entwicklungszeit, präsentierte sie #Hacked – ein Online-Spiel, das einer einfachen Grundidee folgt: Finde soviel du kannst über den Krieg im Internet raus, ohne dabei selbst gehackt zu werden. Hintergrund ist die reale Situation in Syrien.
Im Spiel nimmst du die Rolle der JournalistIn ein, die von KollegInnen, Websites und InformantInnen mit Hinweisen versorgt wird. Dabei bringst du dich und andere permanent in Gefahr, von den kriegführenden Parteien gehackt oder in die Irre geführt zu werden.
Brisant an dem Spiel: alle Angriffe und Hacks haben so tatsächlich stattgefunden. Und alle Informationen über den Krieg in Syrien und die immer noch existierenden Kräfte des Arabischen Frühlings sind real.
Ich habe gerade erst angefangen zu „spielen“, und doch schon mehr über den Krieg in Syrien erfahren als in den ganzen letzten Monaten, wo jeder Versuch, zu begreifen, in Trümmerbildern versandete. Wenn ich das Spiel beende, werde ich dazu noch vieles über die Gefahren der Kommunikation im Web gelernt haben (und wie man sich davor bestmöglich schützen kann). Bereits jetzt habe mich emotional neu auf diese Themen eingelassen.

Das Projekt begeistert mich. Well es das Potential hat, uns aus der Lethargie zu reißen. Weil das Engagement der Macherin in jedem Moment spürbar ist.

Und so wollte ich auch wissen, wer und was genau dahinter steckt.

Augenfällig fand ich beim Lesen eines sehr ausführlichen Artikels über die Entstehung des Games, dass es offensichtlich vor allem Frauen waren, die das Projekt entwickelt haben: Juliana Ruhfus, als treibende Kraft, Nataly Rios Goico als erfahrene Game-Konzepterin, Ilze Juhnevica und Zahra Warsame, Designerinnen bei Al Jazeera.

Keine Klischees an dieser Stelle. Einfach mal beobachten. Und vielleicht mit der aktuellen Werbung der Bundeswehr vergleichen.