Ein Sack Reis in China

Metronormativität heißt: alles allein aus der Perspektive von Stadtbewohner:innen zu betrachten. Dabei brauchen wir das Land. Von dort kommt unser Essen. Dort erholen wir uns. Dort liegen die Rohstoffe für unser ganzes Leben. Vielleicht weil diese Abhängigkeit im Alltag der städtischen Konsument:innen kaum erfahrbar ist, wird sie im politischen Denken oft ausgeblendet. Das ist schräg – und fatal.

Xiaowei Wang, US-Amerikanerin mit chinesischen Wurzeln – hat mir nicht nur diesen Begriff beigebracht. In ihrem kürzlich erschienenen Buch geht es um die Frage, wie es im zeitgenössischen China um das Verhältnis zwischen Stadt und Land bestellt ist. Das ist nicht nur deshalb interessant, weil China Digitalisierung und Anschluss an kapitalistisch organisierte Weltmärkte im Schnelldurchlauf vormacht. China ist gleichzeitig Agrarmacht und muss es bleiben, da der Staat einen Großteil der Weltbevölkerung, nämlich mehr als 2 Milliarden Menschen, zu ernähren hat. Wie geht das? Was bedeutet es für die einzelnen Menschen, vor allem auch auf dem Land?

Die Erfahrungen, die Xiaowei Wang auf ihren Reisen nach China gesammelt hat, hat sie in einem Buch mit dem Titel „Blockchain Chicken Farm“ veröffentlicht. Wer es liest, kann einen Blick hinter die Kulissen dessen erhaschen, was im Westen oft nur in Bildern von Megacities ohne Luft zum Atmen oder in Gestalt von chinesischen Billigangeboten bei Amazon auftaucht.

Eine Stärke des leider bislang nur auf Englisch vorliegenden Buchs liegt in seiner ganz haptischen, wenig dozierenden Darstellung. Anhand von Portraits einzelner Menschen werden unterschiedliche Facetten des Themas sichtbar. Da ist zum Beispiel der Bauer, der seit jeher freilaufende Hühner züchtet, aber vor dem Problem steht, dass die gutsituierten Konsument:innen in der entfernten Stadt immer misstrauischer werden, was die Qualität der Lebensmittel angeht. Seine Lösung: die Zusammenarbeit mit einem Hightech- Unternehmen, das einen Herkunftsnachweis per Blockchain-Verfahren umsetzt (dieser Geschichte verdankt das Buch seinen Titel). Später begegnen wir einem Polizisten, der vom automatisierten Profiling erzählt, in dessen Fokus vor allem die Landflüchtigen geraten, die es schwer haben, in den Städten mit überteuerten Wohnungen und für sie erschwertem Bildungszugang Fuß zu fassen. Der aus dem Profiling häufig folgenden Kriminalisierung ist ein junger Mann entkommen, der als Drohnenpilot zurück aufs Land ging und dort mit der Ausbringung von Pestiziden ein gutes Auskommen zunächst ein sehr gutes Auskommen fand. Wie prekär jedoch auch dieses Konzept ist wird deutlich, wenn wir ihn auf eine Tagung begleiten, auf der der technologische Fortschritt gezeigt wird, durch den auch diese Arbeit bald überflüssig werden wird.

Es ist ein weiteres Verdienst des Buchs, globale und politische Bezüge sichtbar zu machen. So schildert Xiaowei Wang zum Beispiel die Veränderungen in einem extrem abgelegenen Dorf, in dem es durch den Internetanschluss plötzlich möglich schien, Halloween-Kostüme für den Verkauf in den USA zu schneidern und damit eine ganz neue Einkommensquelle zu erschließen. Doch dann fehlten Straßen, so dass die Lieferzeiten unerträglich lang und die Kund:innen verärgert waren. Erst nach staatlichen Investitionen in die materielle Infrastruktur konnte der Plan wirklich erfolgreich werden.

Blockchain Chicken Farm ist jedoch kein Loblied auf den Kapitalismus, auch nicht auf dessen chinesische Variante. Der Preis der kapitalistischen „Freiheiten“ ist auch in China besonders hoch für die große Masse derjenigen, denen der Zugang zu Kapital, Bildung, Infrastruktur und Unterstützung der Partei bzw. des Staates fehlt. Die Schattenseite zeigt sich darin, das der Staat das Elend nur noch verwaltet, und in eben all den verzweifelten, oft scheiternden individuellen Versuchen, wenigstens einen kleinen Anteil an dem in den Städten zur Schau getragenen „Wohlstand“ auf eigene Weise zu erlangen.

Bislang völlig außerhalb meines Fokus werden in diesem Zusammenhang sogenannte Multilevelmarketing– (a.k.a. Schneeball- oder Direktvertriebs-) Systeme thematisiert – dabei gibt es sie auch hier (Tupperware, Thermomix, Haka, etc.). Gemeint ist ein global existierendes Geschäftsmodell, das den Vertrieb über selbständige Subunternehmer regelt, die mit dem Kauf der Produkte (Waschmittel, Nahrungsergänzungsmittel, Perlen… egal) in Vorleistung treten und sich dabei oft hoch verschulden. Diese Subunternehmer können sich nur Entlastung verschaffen, indem sie ihrerseits wieder Subunternehmer rekrutieren, von deren Verkäufen sie dann Provision erhalten, usw. In China wie in den USA sind dies laut Xiaowei Wang oftmals Menschen, die auf dem normalen Arbeitsmarkt keine Chance haben, häufig eben auch, weil sie in abgelegenen ländlichen Gebieten leben.

An dieser Stelle habe ich nebenbei etwas Interessantes über die USA erfahren. Denn Xiaowei Wang schildert, wie in derartigen Unternehmen sektenähnliche soziale Gemeinschaften mit eigenen, zum Teil auf „alternativen Fakten“ beruhenden Weltbildern entstehen und dass Donald Trump mit solchen Geschäften groß geworden ist. Hier wird ein möglicher Zusammenhang mit Trumps Wahlerfolgen in den Raum gestellt, weil diese staatenweise wohl mit der Verbreitung solcher Strukturen (Trump Network, ACN,…) korrelieren. Interessante Spur in Sachen rechtspopulistischer Mobilisierung. Davon hatte ich vorher noch nie etwas gehört.

Blockchain Chicken Farm bietet neue Perspektiven und damit viel Stoff, um in ganz verschiedene Richtungen weiterzudenken und zu recherchieren. Ich bin gespannt auf eure Gedanken dazu!

Warum individuelle Freiheit ein maskulinistisches Konzept ist

Das Pochen auf individuelle Freiheiten ist weder im Zusammenhang mit Corona noch im Hinblick auf die Zerstörung der Lebensbedingungen auf der Erde ein Merkmal konstruktiver Lösungsvorschläge. Nicht falsch verstehen: hier geht es nicht um den Ruf nach einer Diktatur. Sondern darum, dass wir dringend aufhören sollten, uns als einzelne, unabhängige Wesen zu verstehen. Leben ist, – genau wie Verstehen – nur in wechselseitiger Abhängigkeit und in Beziehung möglich.

Die US-amerikanische Politikwissenschaftlerin Wendy Brown hat sich in ihrem 1995 erschienenen und leider nie ins Deutsche übersetzten Buch States of Injury ausführlich mit dem Begriff der „individuellen Freiheit“ beschäftigt. Sie zeigt, dass dieser Begriff im Kontext des Liberalismus (als dem vorherrschenden Narrativ des Kapitalismus) systematisch auf der Unterordnung von Frauen basiert.

Ihre Kernthesen lauten:

1. Der Liberalismus baut auf einer klaren Arbeitsteilung auf.

2. Auf diese Weise ist es der Liberalismus, der gewisse Eigenschaften und Aktivitäten an Geschlechtszugehörigkeiten bindet, und zwar indem er diese Arbeitsteilung ideologisch mit „Natur“ begründet.

3. Die vermeintlich neutral verwendeten Begriffe des politischen Lebens („Freiheit“ und „Gleichheit“) verschleiern diese Ordnung der Gesellschaft und den dahinter stehenden Maskulinismus.

4. Feminismus innerhalb des Liberalismus kann nur existieren, indem die liberale Arbeitsteilung andere untergeordnete Gruppen anstelle der (bürgerlichen) Frauen einsetzt.

Folgendermaßen verläuft ihre Argumentation:

Historisch wurde mit dem Übergang vom Feudalismus zum Liberalismus und durch Industrialisierung und die Ausweitung kapitalistischer Produktionsweisen die Trennung zwischen familiengebundener Haushaltsarbeit und öffentlich sichtbarer Lohnarbeit immer schärfer. Dies führte zur Aufteilung der Gesellschaft in deutlich getrennte Sphären – auf der einen Seite Ökonomie und Zivilgesellschaft, auf der anderen die Familie.

Der Zivilgesellschaft und der Familie steht im Liberalismus der Staat gegenüber, der sich aus den anderen Bereichen rauszuhalten hat, solange dort nicht alle gegen alle kämpfen, denn der Mensch sei ja dem Menschen ein Wolf, so wird erzählt. Warum dieses Narrativ nicht für die Familie gelte, fragt Wendy Brown sodann. Weil es sich hier um eine Sphäre handle, in der Wettbewerb und Interessenkollisionen per Definition nicht vorkommen, denn es entspreche ja der „natürlichen“ Rolle von Frauen und Kindern, sich den Bedürfnissen und Interessen der Männer unterzuordnen und für deren Erhalt und gute Laune zu sorgen. Dafür stehe nicht zuletzt das Bild vom Hafen (der Ehe) inmitten der ansonsten stürmischen See des (zivilen, männlichen) Lebens.

Da das eine (kapitalistische Produktionsformen) nicht ohne das andere (Fürsorge und Reproduktion) funktioniert, wird die genderbasierte Zuschreibung von bestimmten Pflichten und Tätigkeitsbereichen zur unbedingten Voraussetzung für die Konstitution des liberalen, diese Produktionsformen bejahenden Subjekts.

Das liberale Subjekt als Basiseinheit liberaler Gesellschaftsvorstellungen ist ein Individuum, das als souverän und autark gilt. Bedürftigkeiten und Abhängigkeiten werden absichtsvoll ausgeklammert. Autarkie, das Handeln im eigenen Interesse, die Orientierung hin auf Dinge und Gewinn werden Männern zugeschrieben, weshalb Frauen, denen Zugehörigkeit, Bindung und Altruismus zugeschrieben und die als beziehungsorientiert gezeichnet werden, unsichtbar werden müssen.

Gleichheit gilt in der bürgerlich-liberalen Auffassung vor allem vor dem Gesetz, was im selben Zuge bedeutet, sie gilt dort nicht, wo das Gesetz nicht hinreicht, nämlich in der Familie. Wie Brown feststellt: „Liberalism, presuming rational men, has no theory of violence practiced for reasons-psychic, erotic, etc.-independent of material gain.“ (vgl. Brown 1995, 150). Genau in diesen Bereichen verfügt das liberale Subjekt, das also deutlich männlich konnotiert ist, über seine gefährliche Freiheit.

Wenn Frauen sich genauso autark, egoistisch, besitz- und gewinnorientiert verhalten wie Männer oder sich als Lesben oder bewusst männerlos lebende Frauen der Reproduktions- und Care-Arbeit verweigern, werden sie nicht nur kritisiert und diffamiert (und damit zurück an den ihnen zugedachten Platz verwiesen). Da, wenn das alle täten, die Gesellschaft als Ganze und die Familie im Besonderen nicht mehr funktionieren würde, ist ein solches Verhalten innerhalb der liberal gefassten Gesellschaft nur möglich, wenn und solange Frauen die doppelte Belastung auf sich nehmen, oder wenn die eigentlich ihnen zugeschriebenen Arbeiten von anderen, ebenfalls untergeordneten Menschen übernommen werden. Wie Brown später schreibt: „the emancipation of particular women can be ‚·purchased“ through the subordination of substitutes“ (Brown 1995, 164), beispielhaft hierfür steht die bürgerliche Frau, „as every middle and upper-class woman… has purchased her liberty, personhood, and equality through child care and ‚ household help‘ provided by women earning a fraction of their boss’s wage“ (Brown 1995, 164f). An dieser Stelle greifen Klassenunterschiede und Rassismus.

„Individuelle Freiheit“ und „Gleichheit“ erscheinen bei Brown – und der Ansatz überzeugt mich – als genuin liberale Konzepte, die unauflösbar mit Maskulinismus, Dominanz und Unterwerfung verbunden sind. Im Blick auf die Kolonialgeschichte wäre zu ergänzen: auch mit Rassismus.

Ein Denken, das darüber hinausgehen will, muss stattdessen Fürsorge, wechselseitige Abhängigkeiten und faktische Machtverhältnisse zum Ausgangspunkt nehmen.

Zu diesem Thema passt auch die aktuelle Ausstellung „Critical Zones“ im ZKM Karlsruhe, über die ich noch berichten möchte. Die Spur werde ich also weiterverfolgen – und wenn ihr wollt, nehme ich euch gerne mit!

Literatur:

Wendy Brown: States of Injury. Princeton, New Jersey: Princeton University Press, 1995.

Critical Zones im ZKM Karslruhe:

Eine „digitale Gedanken-Ausstellung“ über den Umgang mit dem Leben, kuratiert unter anderem von dem sehr sympathischen Philosophen Bruno Latour: https://critical-zones.zkm.de

„Corona-Wahnsinn“ – who is who?

Wichtiges Update zu „Wir dachten, Hitler baut nur Autobahnen“: das Netzwerk „Lesben gegen Rechts“ hat ein Who-is-who der Corona-Demos erstellt und darin zahlreiche Verbindungen nach Rechtsaußen dokumentiert. Hier könnt ihr euch das Dokument runterladen: https://prinzessinkarl.de/wp-content/uploads/2020/06/aktualisiert-who-is-who-der-coronaleugner-formatiert.pdf

A propos „Corona-Wahnsinn“… Was ist wohl wahnsinniger: mit entschiedenen, wenn auch schmerzhaften Mitteln zu versuchen, die schlimmsten Auswirkungen einer Pandemie zu verhindern, oder einer Ansammlung rechtsextremer Arschlöcher in den Sattel zu helfen? Denn was die sonst noch wollen, außer „Zwangsimpfungen“ zu verhindern: Gleichstellungspolitiken beenden, die wenigen verbliebenen staatlichen und gewerkschaftlichen Eingriffsmöglichkeiten in den (deutschnationalen) Kapitalismus zurückschneiden, Geflüchtete verrecken lassen, Klimapolitik zurückdrehen, den Öffentlich-Rechtlichen Rundfunk abschaffen oder zur Propaganda in eigener Sache verpflichten… Naja, wer will, kann das alles selbst nachlesen.

Wir dachten, Hitler baut nur Autobahnen…

Leute! Immer wieder bekomme ich Videos weitergeleitet, die Stimmung machen gegen die angeblich irrwitzigen Anti-Corona-Maßnahmen. Leute, schaut doch mal, von wem diese Videos kommen! Fragt euch doch auch mal, wer oder was DA dahinter steckt.

Ich fürchte, dass es genau diese Stimmungsmache ist, die uns noch in die Vollkatastrophe treiben kann. Zum Beispiel in die Arme eines Egomaniacs oder einer rechtsradikalen Bewegung, für die das Recht auf Meinungsfreiheit wirklich genau da aufhört, wo es nicht die eigene ist.

Überlegt doch mal! Gibt es hier in Deutschland aktuell wirklich einen Maulkorb? Haben wir es nicht verhältnismäßig gut, die wir nicht durch einen Vollidioten regiert werden, der mit dem Leben von hunderttausenden spielt, und dem die Leute, die in den Krankenhäusern arbeiten scheißegal sind? Wo die Maßnahmen einigermaßen nachvollziehbar begründet werden, wo es (bislang) geschafft wurde, Verhältnisse wie in Italien oder New York zu vermeiden und wo versucht wird, kurzfristig zu helfen, wo Not entsteht? (Zumindest vor der eigenen Haustür – und diese Einschränkung ist traurig genug!).

Überlegt doch mal! Haben unsere Regierungsparteien in den letzten Jahrzehnten jemals den Eindruck erweckt, der deutschen Wirtschaft mutwillig schaden zu wollen? Gibt es irgendeinen nicht hanebüchenen Grund, warum sie das jetzt tun sollten, wenn nicht, weil sie über die Brisanz dieser nie dagewesenen globalen Situation ausnahmsweise einmal einig sind? Und womöglich ausgerechnet haben, dass ein zu spätes Eingreifen noch viel höhere soziale und ökonomische Kosten haben könnte?

Wo ist der Vorschlag, wie es besser gehen könnte? Konsens-Entscheidung von 80 Millionen? Oder Diktat derer, die statt Angst vor dem Virus und seinen schwer abzusehenden gesamtgesellschaftlichen Folgen eine noch viel größere Angst vor dem vermeintlich vermeidbaren eigenen finanziellen Abstieg haben? Diktat derer, die meinen, nichts Schlimmeres fürchten zu müssen als weniger konsumieren zu können und eine Weile auf andere Rücksicht zu nehmen? Die sich für eine Mehrheit halten, weil ihre Videos viele Klicks erreichen?

Bei der Stimmungsmache gegen alles arbeiten leider Rechte und manche, die sich selber als Linke bezeichnen, zusammen. Wenn aber am Ende die Rechten davon profitieren, die auf so eine Gelegenheit nur gewartet haben, dann werden wir sehen, dass wir die mit ein paar Klicks, Online-Petitionen und weitergeleiteten Videos nicht so schnell wieder los werden!

Deshalb bitte, recherchiert ein wenig, woher die Videos kommen, bevor ihr sie weiterleitet, nehmt euch die Zeit und lest auch das Kleingedruckte, und überlegt, ob ihr diese Quellen wirklich stark machen wollt!

Wisst ihr auch von manipulativen Videos aus dubiosen/rechten Quellen? Dann teilt hier eure Erfahrungen und Infos dazu!

Der Unterschied zwischen einer Meinung und einem besseren Plan

Wenn sogar der Ethikrat eine Debatte über die Beendigung der Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie fordert, sollten wir vielleicht vorab klären, über was geredet werden soll. Ich sage, es kann hier nicht um einen Austausch von Meinungen und Befindlichkeiten gehen. Das einzige, worüber eine Debatte lohnt, wären alternative, begründete und durchdachte Krisenstrategien. Solche sehe ich allerdings bis jetzt nicht – leider.

Die Medien transportieren in den letzten Tagen zunehmend mehr Äußerungen des Unmuts über eine Fortsetzung der Kontaktverbote für Gruppen von mehr als 2 Personen. Wie repräsentativ das ist, ist schwer zu sagen. Ja, ich kenne Menschen, die die Situation sehr belastet. Aber auch von denen sind einige überzeugt, dass strenge Maßnahmen notwendig sind. Vor allem, wenn sie aus Corona-Hotspots kommen und aus eigener Anschauung wissen, dass es bei weitem nicht nur die Ältesten sind, die einen schweren Verlauf haben können. Auf der anderen Seite gibt es sogar unter denen, denen es eigentlich auch jetzt ganz gut geht, Stimmen, die ihre Normalität von vor Corona wieder haben wollen.

Plötzlich tauchen genau da auch die AfD und die FDP wieder aus der Versenkung auf. Passend platziert direkt nach düsteren Rezessionsprognosen dürfen sie in der Tagesschau erklären, dass jetzt langsam im Sinne einer Rettung der Wirtschaft aber mal Schluss sein müsse mit dem „totalen Shutdown“ (eine etwas exaltierte Wortwahl, wie ich finde, für das was wir gerade erleben, wo vieles immer noch funktioniert).

Aber Leute: wo sind eure Gegenvorschläge? Könnt ihr darlegen, wie sich, bei allem, was wir über die Ausbreitung des Virus, unser Gesundheitssystem- und unser Wirtschaftssystem wissen, die Zukunft entwickeln könnte, wenn wir jetzt einfach mal zurück auf „Normal“ gehen? Ich habe noch kein entsprechendes Szenario gesehen. (Weidel ist ja der Auffassung, die deutsche Wirtschaft müsse dann aus Geldern saniert werden, die durch Fallenlassen aller Klimaschutzprogramme und von sozialer Gleichstellungspolitik frei werden könnten. Dazwischen soll wahrscheinlich das Militär dafür sorgen, dass Verteilungskämpfe verschleiert und der Schein der „Normalität“ für ein paar wenige hier in Deutschland aufrecht erhalten werden.).

Diejenigen, die Entscheidungen über die Maßnahmen bis hierher getroffen haben, haben allerdings ihre Daten und die von ihnen zu Grunde gelegten möglichen Szenarien öffentlich nachvollziehbar angegeben. Eine gute Zusammenfassung findet sich zum Beispiel hier (maiLab). Und der Plan wäre, die Folgen gemeinsam zu schultern. Ich trete gerne etwas kürzer, wenn dafür am Ende alle halbwegs gut durchkommen. Ehrensache. (Vielleicht auch eine Gelegenheit, mal wieder über das Thema Einheitslohn nachzudenken).

Es gibt ein interessantes Gedankenexperiment von John Rawls, der meint, gerechte Entscheidungen kommen nur dann heraus, wenn die, die sie treffen, nicht wissen, auf welcher Seite sie am Ende stehen werden. Übertragen auf die aktuelle Situation: wir sollten Entscheidungen treffen, die wir auch dann noch richtig fänden, wenn wir z.b. selbst ein Beatmungsgerät bräuchten um zu überleben, selbst im Schichtdienst im Krankenhaus angestellt wären, selbst arbeitslos würden, selbst einen Betrieb zu leiten hätten, selbst mit 2 Kindern in einer engen Mietwohnung leben müssten, selbst in einem Flüchtlingslager auf einer griechischen Insel eingepfercht wären, etc.

Ich frage mich das oft, wenn Leute einfach nicht weiter als bis zur eigenen Schuhspitze denken, wie das wäre, wenn sie plötzlich auf der anderen Seite ihrer kleinen Gedanken aufwachen würden. Eigentlich hoffe ich, dass sie das tun, bevor sie in der echten Welt noch mehr Schaden anrichten als sie eh schon erleidet.

Habt ihr Anmerkungen oder einen besseren Plan? Dann hinterlasst doch einen Kommentar!

Corona – wem nützt es?

Der folgende Text entstand als Antwort auf die Mail einer Freundin, die sich fragt, warum jetzt zu so „drakonischen“ Maßnahmen gegriffen wird, wo doch 25.000 Grippetote 2017/18 der Öffentlichkeit kaum eine Meldung wert waren.

Nach allen Infos, die mir vorliegen, scheint mir der Hauptunterschied zu damals darin zu liegen, dass Corona viel ansteckender ist und dass es keine Impfung dagegen gibt. Beides zusammen bedeutet, dass die Fälle innerhalb kurzer Zeit so viele werden können, dass das Gesundheitssystem komplett zusammenbricht. Dann wäre eine medizinische Versorgung für jede und jeden einzelnen von uns nicht mehr gesichert.
Die zwei Online-Artikel, die ich schon in meinem letzten Blogbeitrag verlinkt habe, illustrieren, was ich meine.

Eine gute Darstellung möglicher Epidemie-Verläufe, die sehr deutlich macht, warum es nötig ist, dass jetzt sofort ALLE ihre körperlichen Sozialkontakte auf ein absolutes Minimum reduzieren, findet sich hier: https://perspective-daily.de/article/1181/7UikVAkg
Die Washington Post hat derweil auch eine sehr anschauliche Simulation online gestellt, die dasselbe vielleicht noch eindrücklicher vermittelt (und kürzer und verständlicher).

Kennst du Menschen, die im Krankenhaus arbeiten? Frag die mal, was sie denken. Die Situation kann dort sehr schnell sehr prekär werden, wenn nicht alle und jetzt sofort mithelfen, die Explosion der Infektionsfälle zu vermeiden. Wenn alle auf einmal krank werden, ist eine adäquate medizinische Versorgung für niemanden mehr sicher – auch nicht für werdende Mütter, für Kinder mit Blinddarmdurchbruch oder für Jugendliche Opfer von Verkehrsunfällen. Für niemanden.

Innerer Widerstand gegen Bevormundung, Misstrauen gegenüber der Regierung, all das ist mir durchaus vertraut, darf aber nicht dazu führen, auch vernünftige Maßnahmen abzulehnen.

Und ich habe bislang kein Argument gehört, dass die Fakten auf der ganzen Welt anerkennt und gleichzeitig darlegen kann, warum diese Maßnahmen falsch sind.

“Drakonisch“, wie du sagst, müssen diese offensichtlich sein, weil so viele Menschen inzwischen glauben, Fakten ignorieren zu dürfen (solange es sie nicht selbst betrifft) und Egoismus mit dem Recht auf Selbstbestimmung verwechseln.

Die gegenwärtige Situation macht vielleicht deutlich, was dieses Recht auf Selbstbestimmung eben nicht sein darf: die schrankenlose Verwirklichung der eigenen Bedürfnisse ohne Rücksicht auf die anderen. Im Gegenteil: Gegenseitige Rücksichtnahme und Selbstbegrenzung zum Schutz anderer gehören bedingungslos zum Recht auf Selbstbestimmung in Gemeinschaft. Anders ist dieses Recht doch gar nicht sinnvoll denkbar. Oder?

Du fragst, wer von dieser Entwicklung profitieren wird. Ich sage: das ist noch nicht ausgemacht! 

Natürlich werden die üblichen Verdächtigen (Pharmaindustrie zb) versuchen, Profit draus zu schlagen. Natürlich stärken Notstandsgesetze erstmal den Repressionsapparat. Usw. Aber.

Genau solche Auseinandersetzungen, wie wir sie gerade führen, können auch eine radikalere Form von Demokratie beleben und in die Welt bringen. Wir müssen reden, und wir müssen über Fakten reden und Argumente austauschen. Populismus muss hier versagen, Elitedenken entlarvt sich selbst, und wer sich wirklich um wen sorgt, zeigt sich im ganz konkreten Verhalten.

Wenn wir es schaffen, in dieser Situation auch in ganz neuen Konstellationen (auch über unterschiedliche Hautfarben und Sprachen hinweg) neue Formen des gesellschaftlichen Zusammenhalts zu begründen, dann haben wir ein großes Pfund in der Hand, mit dem wir denen, die sich am Ende einfach nur bereichern oder ihrer eigenen Macht versichern wollen, entgegentreten können. Letztlich ist die Frage, wer profitiert, immer eine Frage der Macht, und nie endgültig entschieden.

Ich freue mich auf eure Kommentare!

10 Gründe, warum unser Umgang mit Studien brandgefährlich ist

Wie ich diese klick-optimierten Überschriften hasse! In diesem einen Fall hoffe ich, dass sie euch nicht abgeschreckt hat. Vielleicht, weil ihr mir als Autorin vertraut?

In Zeiten, in denen Klicks wichtiger zu sein scheinen als Fakten oder gründlich Überlegtes und daher nicht ganz so Vereinfachbares, in solchen Zeiten tut es Not, einfach mal auf die Bremse zu treten. Habt ihr euch auch schonmal gefragt, wo diese ganzen Studien immer herkommen, auf die wir mit ähnlichen Überschriften täglich hingewiesen werden? Und wie sehr wir ihnen vertrauen können?

Oft genug verbirgt sich hinter einen Überschrift wie „5 Lebensmittel, die sie auf keinen Fall essen sollten“ am Ende keinerlei Information, die über irgendwelche Allgemeinplätze hinausgeht, und die entweder unseren Vorannahmen entspricht (weswegen wir sie wahrscheinlich angeklickt haben), oder die uns andernfalls kaum vom Gegenteil überzeugen kann.

Weil mich dieses Phänomen so ärgert, habe ich mich voll über dieses Video gefreut, in dem auf satirische Art gezeigt wird, wie bescheuert der Umgang mit tatsächlich (aus ebenso hinterfragbaren Gründen) haufenweise produzierten Studien in den Medien heute oft ist. Kurz zusammengefasst für diejenigen, die nicht genug englisch verstehen oder schlicht nicht auf jeden blöden Link klicken wollen:

  • wissenschaftliche Ergebnisse werden trivialisiert
  • Datenbasis, Methoden und Herkunft werden nicht überprüft, so dass unwissenschaftliche Studien als Wissenschaft verkauft werden
  • Überschriften geben Inhalte falsch wieder
  • durch dieses Vorgehen wird Wissenschaft insgesamt diskreditiert – und das ist gefährlich.

Lassen wir uns also nicht verdummen, sondern gehen wir öfters mal wieder in eine Bibliothek oder lesen längere und mehrere Artikel zu einem Thema. Wir können uns dann nicht so schön wie Spezialist*innen für alles fühlen, aber vielleicht verstehen wir wenigstens ein paar wenige Sachen, und die dafür richtig.

Hier gehts zum Video: https://youtu.be/0Rnq1NpHdmw . Es ist leider altersbeschränkt. Wäre ja auch schlimm, wenn Jugendliche das erfahren würden! Danke, YouTube aka Google!

PS: meine Liebste hat mich darauf hingewiesen, dass die ursprüngliche Überschrift dieses Artikels Sehbehinderten-feindlich war. Danke dafür!

Hilfreiche Formen des Denkens

Als unerwartet inspirierend erweist sich gerade ein Buch, das ich eher zufällig beim Stöbern in der Onleihe gefunden habe: „Denken wie Einstein“ von Theresa Bäuerlein und Shai Tubali. Ohne sie explizit zu stellen, beantwortet das Buch wichtige Fragen zum Zustand der Demokratie im Zeitalter von Copy-Paste-Kommunikation und Kurznachrichten, Social Media und automatisiertem Lernen.

Die Frage, die sich die Autor*innen stellen, lautet aber zunächst: Was unterscheidet das Denken von Leuten, die für bekannte Probleme geniale Lösungen gefunden haben, vom Denken der vielen anderen, die daran gescheitert sind? Was können wir von Ihnen lernen?

Exemplarisch werden hierfür 10 Persönlichkeiten betrachtet, die als herausragende Denker*innen gelten.

Die folgenden Zitate sind als Notizen fürs eigene Weiterdenken gedacht und sollen gleichzeitig einen Eindruck davon vermitteln, was Theresa Bäuerlein und Shai Tubali herausarbeiten wollen.

So geht es zum Beispiel im Abschnitt über Albert Einstein vor allem um die Begrenztheit sprachlichen Denkens:

Entdeckungen setzen die Bereitschaft voraus, dass der Entdecker eine Wahrheit akzeptieren kann, die außerhalb bereits bekannten und vertrauten Wissens liegt. (S.18)

Das sprachliche Denken kreiert erst allerlei Kategorien in der Realität und verfängt sich dann in ihnen. (S.35)

Es gibt mindestens vier nicht-sprachliche Mittel, von denen Einstein ausführlich Gebrauch machte: …die Musik, …Phantasie und Visualisierung,… Meditation und Intuition… (S.38).

Die Beschäftigung mit Friedrich Nietzsche führt zu einer Warnung vor Bequemlichkeit:

Die Bequemlichkeit des bereits Bekannten lässt sich nicht leicht von Wahrheit unterscheiden. Kognitive Leichtigkeit (Anm.: ein Begriff von Daniel Kahnemann, immerhin selbst Nobelpreisträger) bestimmt, dass etwas wahr ist, wenn’s sich ‚wahr anfühlt‘, ‚gut anfühlt‘ und ‚mühelos anfühlt‘. (S.58)

Das ist selbstverständlich

…gefährlich, da unser Denken dann eine ‚Wahrheit‘ will, die in Wirklichkeit nur ein demütiger Diener des emotionalen Zustands ist, den wir haben möchten, entsprechend machen wir horrende Fehler in unseren Urteilen und Voraussagen. Nietzsche hatte den Verdacht, dass das Bewertungssystem des Menschen so funktionierte, und Kahnemanns Forschung bestätigt es. … wenn man glauben will, dass eine Schlussfolgerung richtig ist – und man wird es glauben wollen, wenn sich das gut anfühlt -, dann glaubt man auch jedem Argument, das sie stützt, selbst wenn das Argument schlecht ist. (S.59)

Nietzsche wehrte sich sein Leben lang gegen diese Form der Bequemlichkeit und schrieb bereits in jungen Jahren seiner Schwester:

„Willst du Seelenruhe und Glück erstreben, nun so glaube, willst du ein Jünger der Wahrheit sein, so forsche.“ (Zitiert nach S. 47)

Der Preis dafür ist Unbequemlichkeit, Arbeit, und leider bei uns allzu oft, wie auch bei Nietzsche, Ausgrenzung und Einsamkeit.

Sehr interessant fand ich auch den Abschnitt über Barbara McClintock. Hier geht es vor allem ums Zuhören und darum, Störungen und Abweichungen von der Regel ganz besonders willkommen zu heißen.

Die Biologen hofften … auf eine statische, leichter zu verstehende DNA. McClintocks Arbeit dagegen zeigte ein lebhaftes und unberechenbares System auf: nicht nur die DNA wirkte auf die Zelle ein, Elemente der Zelle könnten auch die DNA beeinflussen. Die Gene lagen nicht einfach ruhig und unverrückbar da, sondern konnten sich spontan von einer Seite zur nächsten bewegen, sogar von einem Chromosom zum nächsten, und dabei ständig neue Impulse mitbringen und die genetische Ordnung neu strukturieren. (S.83)

‚Hasty Generalizations‘ passieren immer dann, wenn man anhand begrenzter Erfahrungen eine Theorie oder ein Modell entwickelt. Man zieht dann Schlüsse, die nicht alle Variablen berücksichtigen, aber den Anspruch erheben, ein Phänomen in seiner Gesamtheit zu beschreiben. (S.87)

McClintocks Denkart könnte uns lehren, dass eine statistische Abweichung mindestens genauso viel Erkenntnisgewinn bringen kann wie statistische Genauigkeit. (S.90)

Für sie gab es überhaupt keine Abweichungen. Was wir uns als abnormales Verhalten eines Organismus vorstellen, war für sie ein Hinweis auf eine höhere und komplexere Ordnung, die einfach noch nicht verstanden wurde. (S.76)

Organisches Denken besitzt eine Qualität des Zuhörens. (S.78)

Zu guter Letzt sei hier noch der Teil um Hannah Arendt erwähnt. Hier steht natürlich der Appell an die Verantwortung der/des Einzelnen im Vordergrund und die Frage danach, was totalitäre Systeme möglich macht. Die „Banalität des Bösen“ verweist nämlich wieder auf Denkfaulheit, stellt deren Fatalität in einen gesellschaftlichen Kontext, namentlich in den Kontext von Holocaust und Totalitarismus.

Einer der hartnäckigsten kognitiven Fehler des menschlichen Gehirns ist der Glaube, dass eine Aussage oder eine Erfahrung, die sich immer wiederholt, wahr sein muss. In seinen Anfängen ist das fast schon lustig, man nennt es dann ‚Attentional Bias’… Der Effekt aber, der wohl am besten Arendts tiefste Sorge beschreibt, ist der ‚Bandwagon-‚ oder ‚Mitläufereffekt’… Je mehr Menschen eine bestimmte Sache tun oder glauben, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass auch andere das tun werden. Sie würden auf die gleiche Weise handeln, egal, was sie selbst glauben oder welche eigenen Informationen sie haben, diese würden sie ignorieren oder sich darüber hinwegsetzen…(S.193)

Auf einer tieferen Ebene erkannt Arendt, dass der Totalitarismus ein anti-politischer Prozess ist, der dazu führt, dass alles Denken aufhört. Dies kann auch dann passieren, wenn Menschen ohne jeden Zwang von außen in einen Zustand der Gedankenlosigkeit verfallen und politischer Beteiligung aus dem Weg gehen. (S.184)

Weitere Kapitel befassen sich mit Sigmund Freud, Leonardo da Vinci, Sokrates, Charles Darwin, Jiddu Krishnamurti und Giordano Bruno.

Ich finde, dieses Buch verdient es, gelesen, verschenkt und weiterempfohlen zu werden: „Denken wie Einstein“ von Theresa Bäuerlein und Shai Tubali. Erschienen bereits 2015.

Außerdem hier noch der Link zu „Schnelles Denken – langsames Denken“ von Daniel Kahnemann, dessen Untersuchungen einiges von dem, was Theresa Bäuerlein und Shai Tubali zusammengetragen haben, durch aktuelle psychologische Forschung untermauern.

Demokratie vs Trump: Resignieren verboten

Hier geht es zum Trailer von Michael Moores neuem Film Fahrenheit 11/9, der gerade in deutschen Kinos angelaufen ist. Der Film geht der Frage nach, wie ein Mann zum Präsidenten der USA werden konnte, der in aller Öffentlichkeit rassistische, frauenverachtende Aussagen macht, ein Mann, der schulterzuckend jeden Nachweis besseren Wissens ignoriert, in einem fort Menschen beleidigt und auf jegliche Art von Fairness und Rücksichtnahme pfeift, Der Film ist äußerst sehenswert, denn die Antworten, die Moore findet, sollten auch uns hier in Europa / Deutschland eine Lehre sein, wenn wir nicht in ganz finstere Zeiten zurückfallen wollen.

Die wichtigsten Punkte in Kürze:

  • Die Quoten-/Klick-/Geldgier der Medien machen aus Skandalträgern Stars, Pop-Ikonen und Identifikationsfiguren, die schwer wieder loszuwerden sind.
  • Die Menschen, die mit einer positiven Utopie unterwegs sind, haben schon vorher das Vertrauen in die Demokratie verloren und gehen daher nicht mehr wählen. Erst das ermöglicht einen Wahlsieg von ressentimentgeladenen, populistisch auftretenden Kandidaten/Parteien – obwohl aktuelle Umfragen zeigen, dass die Mehrheit der US-Amerikaner*innen deutlich fortschrittlichere und liberalere Positionen vertritt.
  • Ehemals demokratische/linke Institutionen (Pateien, Gewerkschaften,…) haben die Interessen der Basis verraten. (Was maßgeblich zu diesem Vertrauensverlust beiträgt).
  • Die Skrupellosesten haben zusätzlich Geld und Waffen auf ihrer Seite.

Bis auf den letzten Punkt können und müssen wir diese Entwicklungen wieder umdrehen:

  • Unabhängige und faktenbasierte Medien stärken.
  • Sensationsmeldungen boykottieren (nicht klicken, nicht teilen).
  • Vom aktiven und passiven Wahlrecht Gebrauch machen.
  • Innerhalb der Gewerkschaften und anderer demokratischer Strukturen für mehr Demokratie und Transparenz kämpfen – oder neue gründen.
  • Für das, woran wir glauben, aktiv werden und gut argumentieren lernen.

Beim letzten Punkt muss ich mir an die eigene Nase fassen. Die letzten Jahre war ich es so müde, Fakten und Ereignissen hinterherzurecherchieren, wo es gefühlt eh nichts brachte: keine neuen Erkenntnisse über das System, in dem wir leben, keine sichtbare Handlungs-, geschweige denn Veränderungsoption. Mit dieser Art von Resignation muss jetzt Schluss sein. Denn ich kann mich dabei ertappen, dass ich Diskussionen mit Vertreter*innen rechtspopulistischer Positionen auch deshalb meide, weil ich fürchte, dass mir die Argumente ausgehen und ich nur noch aus dem Bauch heraus argumentieren kann. Und das fühlt sich ganz schön hilflos an.

Für Fairness und Gerechtigkeit zu sein, ist zwar ein schönes Feature, aber es muss eben auch implementiert werden. Oder, für Nicht-Informatiker*innen: Gut gemeint ist noch lange nicht gut gemacht. Und daran sollten wir arbeiten.

Links:

https://www.weltkino.de/filme/fahrenheit-119

Die Anstalt zur Diskussion um öffentlich-rechtliche Medien in Deutschland

Wie Schüler*innen Fake news erkennen können – Medienaufklärung an Schulen

Lern doch erstmal Deutsch, bevor du Frauen vergewaltigst.

Heute Abend am Baggersee. Ich allein auf der Suche nach Erfrischung und Feierabendentspannung. Und wie ich da so sitze, nackt in einer kleinen Bucht, und den Fröschen beim Quaken zusehe, kommt plötzlich aus dem Wasser etwas angeröchelt. Es handelt sich um einen Mann. Keinen ertrinkenden, wie die Geräusche, die er von sich gibt, zunächst glauben machen könnten (wenn eine mal nicht gleich misstrauisch sein will), sondern einen wichsenden. Der mich unverhohlen anstarrt und Anstalten macht, genau vor mir anzulanden (wo er nicht herkam, denn seine Sachen liegen hier nicht). Ich empfinde das als Angriff. Stehe auf, wickel mir mein Tuch um und raffe geschwind mein Zeugs zusammen, diese Bucht ist mir eindeutig zu abgelegen um allein mit ihm sein zu wollen. Schon ist er direkt vor mir. Ich so:“Verpiss dich!“ Und gleichzeitig drei Schritte auf den Weg, der hier vorbeiführt. Da sind noch Leute, gerade am Gehen. Der Typ bleibt stehen, und ich gehe los, auf dem Weg in Richtung menschlicher Stimmen.

Die Stimmen kommen von Leuten, die immer hier sind. Seit 30 Jahren, wie ich später erfahren werde. Ich sage ihnen, dass ich ihr Nähe suche, weil da “so ein komischer Typ“ ist. Sie wissen sofort, wenn ich meine. Und dann geht es los: Ja, “der schleicht hier schon seit zwei Tagen rum“, “der gehört nicht hierher“, und dann: “ein Polacke, der soll erstmal Deutsch lernen“…

Ich bin sprachlos. Einerseits total froh, weil ich mich jetzt sicherer fühle, andererseits kein Bock, Anlass für fremdenfeindliches Sprücheklopfen zu sein.

Ein bisschen versuche ich dann doch noch, diese Leute mal dran zu erinnern, dass auch sie fast überall fremd sind und “nicht hingehören“, und dass das eine (fremd sein) nicht ursächlich mit dem anderen (Frauen belästigen) zu tun hat.

Im Nachhinein kommt es mir aber doch ein bisschen absurd vor, mit Leuten diskutieren zu müssen, die in so einer Situation meinen, der Mann müsse erstmal Deutsch lernen!

*Ganz großes Kopfschütteln*