Ein Sack Reis in China

Metronormativität heißt: alles allein aus der Perspektive von Stadtbewohner:innen zu betrachten. Dabei brauchen wir das Land. Von dort kommt unser Essen. Dort erholen wir uns. Dort liegen die Rohstoffe für unser ganzes Leben. Vielleicht weil diese Abhängigkeit im Alltag der städtischen Konsument:innen kaum erfahrbar ist, wird sie im politischen Denken oft ausgeblendet. Das ist schräg – und fatal.

Xiaowei Wang, US-Amerikanerin mit chinesischen Wurzeln – hat mir nicht nur diesen Begriff beigebracht. In ihrem kürzlich erschienenen Buch geht es um die Frage, wie es im zeitgenössischen China um das Verhältnis zwischen Stadt und Land bestellt ist. Das ist nicht nur deshalb interessant, weil China Digitalisierung und Anschluss an kapitalistisch organisierte Weltmärkte im Schnelldurchlauf vormacht. China ist gleichzeitig Agrarmacht und muss es bleiben, da der Staat einen Großteil der Weltbevölkerung, nämlich mehr als 2 Milliarden Menschen, zu ernähren hat. Wie geht das? Was bedeutet es für die einzelnen Menschen, vor allem auch auf dem Land?

Die Erfahrungen, die Xiaowei Wang auf ihren Reisen nach China gesammelt hat, hat sie in einem Buch mit dem Titel „Blockchain Chicken Farm“ veröffentlicht. Wer es liest, kann einen Blick hinter die Kulissen dessen erhaschen, was im Westen oft nur in Bildern von Megacities ohne Luft zum Atmen oder in Gestalt von chinesischen Billigangeboten bei Amazon auftaucht.

Eine Stärke des leider bislang nur auf Englisch vorliegenden Buchs liegt in seiner ganz haptischen, wenig dozierenden Darstellung. Anhand von Portraits einzelner Menschen werden unterschiedliche Facetten des Themas sichtbar. Da ist zum Beispiel der Bauer, der seit jeher freilaufende Hühner züchtet, aber vor dem Problem steht, dass die gutsituierten Konsument:innen in der entfernten Stadt immer misstrauischer werden, was die Qualität der Lebensmittel angeht. Seine Lösung: die Zusammenarbeit mit einem Hightech- Unternehmen, das einen Herkunftsnachweis per Blockchain-Verfahren umsetzt (dieser Geschichte verdankt das Buch seinen Titel). Später begegnen wir einem Polizisten, der vom automatisierten Profiling erzählt, in dessen Fokus vor allem die Landflüchtigen geraten, die es schwer haben, in den Städten mit überteuerten Wohnungen und für sie erschwertem Bildungszugang Fuß zu fassen. Der aus dem Profiling häufig folgenden Kriminalisierung ist ein junger Mann entkommen, der als Drohnenpilot zurück aufs Land ging und dort mit der Ausbringung von Pestiziden ein gutes Auskommen zunächst ein sehr gutes Auskommen fand. Wie prekär jedoch auch dieses Konzept ist wird deutlich, wenn wir ihn auf eine Tagung begleiten, auf der der technologische Fortschritt gezeigt wird, durch den auch diese Arbeit bald überflüssig werden wird.

Es ist ein weiteres Verdienst des Buchs, globale und politische Bezüge sichtbar zu machen. So schildert Xiaowei Wang zum Beispiel die Veränderungen in einem extrem abgelegenen Dorf, in dem es durch den Internetanschluss plötzlich möglich schien, Halloween-Kostüme für den Verkauf in den USA zu schneidern und damit eine ganz neue Einkommensquelle zu erschließen. Doch dann fehlten Straßen, so dass die Lieferzeiten unerträglich lang und die Kund:innen verärgert waren. Erst nach staatlichen Investitionen in die materielle Infrastruktur konnte der Plan wirklich erfolgreich werden.

Blockchain Chicken Farm ist jedoch kein Loblied auf den Kapitalismus, auch nicht auf dessen chinesische Variante. Der Preis der kapitalistischen „Freiheiten“ ist auch in China besonders hoch für die große Masse derjenigen, denen der Zugang zu Kapital, Bildung, Infrastruktur und Unterstützung der Partei bzw. des Staates fehlt. Die Schattenseite zeigt sich darin, das der Staat das Elend nur noch verwaltet, und in eben all den verzweifelten, oft scheiternden individuellen Versuchen, wenigstens einen kleinen Anteil an dem in den Städten zur Schau getragenen „Wohlstand“ auf eigene Weise zu erlangen.

Bislang völlig außerhalb meines Fokus werden in diesem Zusammenhang sogenannte Multilevelmarketing– (a.k.a. Schneeball- oder Direktvertriebs-) Systeme thematisiert – dabei gibt es sie auch hier (Tupperware, Thermomix, Haka, etc.). Gemeint ist ein global existierendes Geschäftsmodell, das den Vertrieb über selbständige Subunternehmer regelt, die mit dem Kauf der Produkte (Waschmittel, Nahrungsergänzungsmittel, Perlen… egal) in Vorleistung treten und sich dabei oft hoch verschulden. Diese Subunternehmer können sich nur Entlastung verschaffen, indem sie ihrerseits wieder Subunternehmer rekrutieren, von deren Verkäufen sie dann Provision erhalten, usw. In China wie in den USA sind dies laut Xiaowei Wang oftmals Menschen, die auf dem normalen Arbeitsmarkt keine Chance haben, häufig eben auch, weil sie in abgelegenen ländlichen Gebieten leben.

An dieser Stelle habe ich nebenbei etwas Interessantes über die USA erfahren. Denn Xiaowei Wang schildert, wie in derartigen Unternehmen sektenähnliche soziale Gemeinschaften mit eigenen, zum Teil auf „alternativen Fakten“ beruhenden Weltbildern entstehen und dass Donald Trump mit solchen Geschäften groß geworden ist. Hier wird ein möglicher Zusammenhang mit Trumps Wahlerfolgen in den Raum gestellt, weil diese staatenweise wohl mit der Verbreitung solcher Strukturen (Trump Network, ACN,…) korrelieren. Interessante Spur in Sachen rechtspopulistischer Mobilisierung. Davon hatte ich vorher noch nie etwas gehört.

Blockchain Chicken Farm bietet neue Perspektiven und damit viel Stoff, um in ganz verschiedene Richtungen weiterzudenken und zu recherchieren. Ich bin gespannt auf eure Gedanken dazu!

Ein Leben auf Seiten der Frauen in Ägypten – Nawal El Saadawi

Ihr Mut, ihre Kompromisslosigkeit, ihre Beharrlichkeit machten sie seit den 1960er Jahren zu einer der unbequemsten und bekanntesten Feministinnen der arabischen Welt. Sie war im Gefängnis, auf dem Tahrirplatz, im Exil in den USA und kurze Zeit auch einmal Präsidentschaftskandidatin. Gestern, am 21.3.21, ist die 1931 geborene ägyptische Frauenrechtlerin, Ärztin, Psychiaterin und Autorin Nawal El Saadawi gestorben.

Eins der eindrucksvollsten feministischen Bücher, die ich jemals gelesen habe, ist ihre Erzählung „Ich spucke auf euch. Bericht einer Frau am Punkt Null“. Darin erzählt eine zum Tod verurteilte Frau ihrer Anwältin, weshalb sie es ablehnt, den Präsidenten um Begnadigung zu bitten. Denn der Mord an ihrem Zuhälter, für den sie hingerichtet werden soll, war der einzig mögliche Befreiungsschlag nach einem von sexualisierter Gewalt geprägten Leben. Eine schonungslos erzählte Geschichte, an deren Anfang ein kleines Mädchen von älteren weiblichen Verwandten genitalverstümmelt wird und an deren Ende die Leserin versteht, was für ein Akt der Würde es ist, sich zu wehren und niemanden dafür um Verzeihung zu bitten.

Nawal El Saadawi hat die Welt besser gemacht. Ihre Worte haben Generationen von Frauen in verschiedenen Teilen der Welt vieles klarer und manches mit anderen Augen sehen lassen. Sie hat viel bewegt und für die, die nach ihr kommen, Möglichkeiten geschaffen. Möge ihr Geist fruchtbar bleiben – und ihr Körper in Frieden ruhen.

Wenn ihr mehr wissen wollt:

Es gibt eine arte-Doku mit dem Titel „Die Löwin vom Nil“ über sie, die ich allerdings noch nicht gesehen habe: https://youtu.be/-43jG8x9qoI

Ein Interview mit Channel 4 (UK), in dem sie ausführlich zu Wort kommt, findet sich hier: https://www.youtube.com/watch?v=djMfFU7DIB8

Ihre Bücher sind auf deutsch derzeit leider nur antiquarisch erhältlich.

Medienkrake

Der letzten Wochenendausgabe der Süddeutschen lag ein Heft bei, das nur bei ganz genauem Hinsehen als Werbebeilage zu erkennen war. Der Titel: „Aufbruch. Mensch und Gesellschaft im digitalen Wandel“. Herausgeber ist (nicht die Süddeutsche, sondern:) Google. Was für Pläne verfolgt Google in der Medienlandschaft – und was bedeutet das für Information und Gesellschaft?

Mehrere hundert Millionen (!) Euro hat Google allein in Europa in den vergangenen Jahren in Kooperationen mit Medienhäusern oder – unauffälliger, aber sicher nicht weniger eigennützig – in Fortbildungs- und Unterstützungsangebote investiert.

Zusammen mit dem DGB und dem Otto-Brenner-Institut haben die Netzjournalisten Ingo Dachwitz und Alexander Fanta im Oktober 2020 eine Studie darüber veröffentlicht, wie „der Datenkonzern den Journalismus umgarnt“ (zum Download unter https://www.otto-brenner-stiftung.de/fileadmin/user_data/stiftung/02_Wissenschaftsportal/03_Publikationen/AH103_Google.pdf). In zahlreichen Interviews mit zum Teil lieber anonym bleibenden Journalist*innen haben sie versucht, sich ein Bild darüber zu verschaffen, was genau Google da treibt und wo die Gefahren liegen könnten.

Das Fazit ist wenig überraschend. Digitale Medien sind technologisch sowieso schon extrem abhängig von Google, müssen es der Suchmaschine von Google recht machen, damit ihre Inhalte überhaupt gefunden werden, brauchen youtube, um ihre Videos zu vermarkten, nutzen Googles Statistiken und Trendanalysen für redaktionelle und strategische Entscheidungen, Googles Big Data zur (datenjournalistischen) Recherche, etc…. Dazu kommt nun, dass die Medienhäuser, die unter massivem Innovationsdruck stehen, sich von Google auch noch beraten und ausbilden lassen.

Mitmachen tuen notgedrungen die meisten. Google richtet inzwischen die größten Branchentreffen (mit) aus und hat Technologien im Portfolio, an denen schon heute im Journalismus kaum einer vorbeikommt. Vielleicht mag als Indiz gelten, wer sich in der Werbebeilage der Süddeutschen als Vorreiter in Sachen Digitalisierung des Journalismus von Google vorführen lässt: Deutschlandradio, Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND), funk (das Jugendprogramm der Öffentlich-Rechtlichen), Social Media Manager eines CDU-Abgeordneten, der Beauftragte des Bundeswirtschaftsministeriums für Startups (CDU), kleinere Zeitungen, die sich im „HHLab“ zusammengetan haben, Gruner +Jahr, eine Zeit-Redakteurin und Podcasterin, sogar der Postillon und die Krautreporter. In der erwähnten Studie werden weitere genannt, wie die FAZ und der Spiegel.

Die Autoren nennen Google den wohl größten Journalismus-Mäzen der Welt. Einen Mäzen, der offensichtlich diejenigen stärker fördert, die eh schon groß sind. Der großzügig und ohne sich stark einzumischen die Entwicklung von neuen Ideen fördert, sich dabei aber vorbehält, diese später zu kopieren und für eigene Ziele zu verwenden. Ideen-Vampirismus würde ich das nennen.

Die enge und einseitige Verflechtung mit dem Konzern, so legt die Studie überzeugend dar, gefährdet nicht nur die Unabhängigkeit einzelner Medien, sondern die Pluralität der Medienlandschaft überhaupt.

Google wird gleichzeitig zur am meisten genutzten Quelle und zur am meisten genutzten Plattform zur Verbreitung von Informationen. Google zahlt im Allgemeinen nichts für die wertvollen Beiträge, die Journalist*innen der Datenkrake mundgerecht zu servieren lernen. Im Gegenteil: den Gewinn, der sich durch die Aufmerksamkeit der Nutzer*innen in Form von Werbeeinnahmen generieren lässt, streicht Google fast alleine ein. Über den Wert, der im Zugriff auf die riesige Menge der so angehäuften Informationen liegt, kann ich nur spekulieren. Ich vermute, allein im Hinblick auf den Ausbau selbstlernender Systeme ist er immens. Und die bislang stärkste Lobby für eine gesetzliche Regulierung der Geschäftspraktiken des „Duopols“ von Google und Facebook – nämlich die Verlagsbranche – wird durch Geschenke gefügig gemacht. Vor den Augen der Öffentlichkeit.

Ich denke, dass Monopole im Bereich von Medien und Information (der „vierten Gewalt“) potentiell die Demokratie gefährden und deshalb nicht entstehen sollten. Daher halte nicht nur ich zwei Dinge für wichtig:

1 – die unabhängige Finanzierung von Alternativen, auf gesellschaftlicher Ebene durch Stärkung der Öffentlich-Rechtlichen und auf privater Ebene durch die Bereitschaft, für gute Inhalte auch zu bezahlen

2 – sinnvolle netzpolitische Regulierungen.

Das Thema ist extrem umfangreich – und ich wäre froh, wenn ich euch neugierig drauf gemacht hätte, mehr drüber rauszufinden. Ein guter Ausgangspunkt ist z.B. https://netzpolitik.org/?s=+Google . Und falls ihr suchmaschinenmäßig mal was anderes ausprobieren wollt, könntet ihr euch dies hier anschauen: https://metager.de/ .

Wie immer freue ich mich über Ergänzungen und Kommentare!

Zettelwirtschaft

Im Englischen gibt es die Warnung: „Don’t bite the hand that feeds you!“. Ich bin mit ihr aufgewachsen, auch wenn ich jetzt im deutschen Sprachraum lebe. Sie beschreibt ganz gut das Dilemma einer eingesperrten Primatin. Ich hatte jedenfalls immer den Blick einer traurigen Gorillafrau im Londoner Zoo vor Augen, wenn ich diesen Spruch hörte.

Aber ich will von mir reden. Ich bin ein Blatt Papier, und ich habe nur ein Leben. Solange ich denken kann, beschäftigt mich die Frage: Was soll auf diesem Blatt geschrieben stehen?

„Hilfe, ich bin ein Blatt und ich habe nur ein Leben!“? Nein, soviel ist klar.

„Heb mich auf, ich bin berühmt!“? Nur eine Variante der ersten Idee. Also nein.

„AaBb“ usw.? Okay, schreiben lernen ist wichtig. Schönschrift schon weniger. Aber sollte ich nicht für Größeres geschöpft worden sein?

„Ich liebe dich!“. Immerhin würde ich auf diese Art zumindest einen Menschen glücklich machen. Hoffentlich. Es sind auch andere Wirkungen denkbar.

„Hände hoch – dies ist ein Überfall! Schließen Sie einfach den Tresor auf und legen Sie alles Geld in diese Tasche. Wir geben Ihnen auch was ab – denn wir sind die Guten!“. Haben wir nicht alle einmal Robin Hood und Co. bewundert und wollten die Ungerechtigkeiten dieser Welt bekämpfen? Das führt zur Frage, ob es mir egal ist, wer mich am Ende beschreibt. Ist es natürlich nicht!

Nicht beschrieben werden will ich zum Beispiel von Leuten, die glauben, nur sie hätten Besseres verdient.

Die Vorstellung, eines Tages von einem solchen Menschen missbraucht zu werden, besudelt mit von rasender Hand in mich gedrückten Großbuchstaben, erzeugte meine frühesten Albträume. Sie kamen immer in schwarz-weiß: ich weiß, die Tinte schwarz.

Vor kurzem aber wurden meine Albträume bunt. In ihnen bin ich ein kleines Zettelchen mit einem Klebstreifen auf dem Rücken. Wir kleben zu dutzenden aufeinander und um uns herum stehen lauter Leute, die sich etwas ausdenken sollen.

„Hey, ihr habt 10 Minuten Zeit, eure besten Ideen aufs Papier zu bringen!“, tönt es gutgelaunt aus Moderatorenmund. Ich rieche Achselschweiß, nicht jede*r hat es bis hierhin geschafft, alle wollen es gut machen. Auch ich bin vor Aufregung ganz grün!

Ein Zettelchen nach dem anderen wird abgerissen und mit Gedankenrohkost bekritzelt, möglichst schnell, möglichst viel, sortiert, ausgewählt und „verfeinert“ wird später. Nachgedacht wenn’s dumm läuft gar nicht. Die Frage, die die Leute beantworten sollen, lautet: „Wie können wir in 4 Wochen unsere Umsätze verdoppeln?“

Die meisten Wörter, die auf uns landen, kenne ich aus den Medien, vor allem den „sozialen“, und aus meiner Muttersprache.

Da greift eine etwas faltige Hand nach mir und schreibt zögerlich und zittrig: „vermutlich nur durch Zahlentricks….“. Au weia. Ich schäme mich mit ihr und werde ganz pink, denn wir wissen beide, das wir dafür im besten Fall ignoriert werden. Mein letztes Stündlein hat geschlagen, ich werde von ihr selbst zerknüllt und in den bereitstehenden Papierkorb geschmissen. Es heißt, von hier aus geht es direkt in den Reißwolf oder ins Krematorium.

In einer anderen Variante des Albtraums lebe ich etwas länger, weil jemand „Die Menschen draußen fragen, was sie von uns wollen?“ auf mich draufgeschrieben hat. Einen Moment später finde ich mich an einer Wand wieder. Schon kommt der Besitzer der Moderatorenstimme und „gruppiert mich um“. Ich hänge jetzt neben einer Leidensgenossin, auf der steht: „Barrierefreie Angebote umsetzen“. Wir verdrehen beide die Augen und rollen uns ein wenig zusammen, weil wir wissen, was jetzt kommt. Es gibt ein „Voting“, die Menschen kleben Punkte auf diejenigen von uns, die sie für lebenswert halten. Meine Nachbarin und ich bekommen keinen einzigen. Damit sind auch wir gestorben.

Eine Gruppe von Überlebenden winkt zum Abschied. Auf ihnen steht: „Show happy people, don’t talk about problems!“, „Weniger Text, mehr Emotion!“. Auf einem ist ein euphorisches Smiley, sonst nichts.

Auf dem Flug in den Papierkorb wachsen mir Flügel. Ich werde zu einem wunderschönen Papierflieger und bin stolz auf meine Aufschrift „bite the hand that feeds“.

Nach diesem Traum wachte ich auf und spürte, jetzt war es soweit. Ich hörte das Klicken eines Kugelschreibers, fühlte das Gewicht einer Hand auf mir und die zögernde Suche nach dem richtigen Anfangspunkt auf meiner Haut. Ganz oben am Rand? Oder weiter in der Mitte? Oben! Da hatte jemand vor, mehr als eine kurze Notiz zu hinterlassen, stellte ich euphorisch fest und gab mich hin. Ich machte mich ganz groß und weit, bereit, mit einem ganzen Roman beschrieben zu werden! Ich wollte es – so sehr! Das erste Wort stand. Ein zweites kam hinzu. Dann noch eins und noch eins, immer mehr Buchstaben, mit einer fast schmerzenden Entschlossenheit drückten sie sich in mich hinein, eng aneinandergereiht und nahmen mir den Atem. Gut so! Fast wollte ich schreien, als der Kuli ins Stocken geriet und kurz darauf mit wilden Bewegungen ein ganzes Wort unter einem Hagel von Strichen verschwinden ließ. Und dennoch waren auch seine Buchstaben tief in mich eingegraben, freute ich mich klammheimlich. Ich würde sie bewahren solange ich lebte. Sie waren es, die ich mir als erste genauer ansah. Ich kannte das Wort. Es ist aus der Zeit gefallen, aber dennoch aktuell. Ich wusste auch, warum es nicht stehenbleiben konnte.

Und da wurde mir klar, ich würde nicht umsonst gelebt haben. Der Druck des Kulis wurde nun weicher, tastender, noch mehr Worte, am Ende mehr durchgestrichene als nackte, und so wurde ich voll, sogar von beiden Seiten. Ich landete nicht im Papierkorb, sondern auf einem Stapel mit anderen Papieren, die ganz ähnlich aussehen. Manche von ihnen liegen bereits seit mehreren Wochen hier.

Nun ist es also entschieden. Ein zweites Leben gibt es nicht für mich. Aber dieses ist noch nicht vorbei.

PPS: Musik zum Text (Skeleton Crew)

Mehr Feminismus!

Heute war ein schöner Tag. So viele Menschen auf der Kundgebung zum internationalen Frauentag! Die meisten junge Feminist*innen, schätzungsweise unter 30. Frischer Wind, so viele mutige und kreative Beiträge, auch wütende, auch selbstbewusste. Ich freue mich.

Inhalte? Gewalt gegen Frauen – leider immer noch Alltag – benennen, stoppen, bekämpfen, anprangern – international wie auch hier. Selbstbestimmungsrecht über den eigenen Körper – Abschaffung des § 218, endlich, komplett. Mehr Frauen in Führungspositionen? Nicht auf Kosten anderer! Insbesondere nicht, solange der Lebensstandard der einen auf unterbezahlter, meist migrantischer Frauenarbeit beruht (in der Pflege, zb „24-Stunden-Kräfte“, beim Putzen, der Kinderbetreuung, uvm,…). Überhaupt Pflege: Zeit für eine Care Revolution!

Forderungen, für die sich schon Generationen vor uns eingesetzt haben – ohne die wir nicht da wären, wo wir heute sind. Und dennoch bleibt so viel zu tun. Gut, dass immer welche nachkommen und dass wir so viele sind!

Das Auto-Auto und das Auto

Ist autonomes oder automatisiertes Fahren wirklich eine smarte Idee? Kann künstliche ‚Intelligenz‘ tatsächlich menschliche ersetzen, und wenn ja, wozu? Fragen beim Anblick dieser Szene:

Autonomes Fahrzeug küsst wehrloses unselbständiges….

Wie ich durch diesen Un- und Zufall erst herausbekam, testet der KVV in Karlsruhe derzeit den Einsatz selbstfahrender Fahrzeuge als Shuttle für kleinere Gruppen von Fahrgästen. Da, so heißt es in einem kurzen Artikel des SWR, komplett autonomes Fahren in Deutschland noch nicht erlaubt ist, seien sogenannte Sicherheitsfahrer an Bord gewesen. Doch der Wille des autonomen Fahrzeugs war offensichtlich stärker – es ließ sich nicht davon abbringen, seinem fluchtunfähigen, da weder autonomen noch fremdgesteuerten Artgenossen auf den Lack zu rücken.

Beruhigend ist das nicht.

Aber es hat auch sein Gutes. Hier wird körperlich manifest, was state of the art ist. (Und jetzt bitte keine Ausreden – es handelt sich nämlich nicht um Spielzeug aus einem Testlabor, sondern um das, was realen, unschuldig am Straßenrand parkenden Autos heute schon zugemutet wird).

Angesichts dieser real erlebten Autonomie eines Fahrzeugs gaukeln uns die Szenarien, die wir in der Moralmaschine des MIT nach Herzenslust beurteilen dürfen, viel zu viel menschliche Mitsprachemöglichkeit vor. Es fühlt sich natürlich immer gut an, gefragt zu werden – aber schon bist du involviert und hast die versteckte Prämisse geschluckt. Die lautet: das Automobil soll (oder müssen wir schon sagen: will?) autonom werden.

Autonomous food delivery robots on campus in Madison,Wisconsin

Aber wollen wir das auch? Brauchen wir das? Oder kann das wieder weg?

Wenn ein Beitrag verschwindet….

Liebe Menschen, es ist schon wieder passiert, ich hatte einen Beitrag versehentlich zu früh bzw. mit falschem Datum veröffentlicht. Doch wenn ich das korrigiere, findet ihr ihn nicht mehr. Was ich dagegen tun kann, weiß ich nicht – und bin für Tipps sehr dankbar. Was ihr tun könnt: auf die Startseite meines Blogs gehen und schauen, ob ihr ihn dort wiederfindet und (unter neuem Link) öffnen könnt. Sorry & danke für eure Hinweise!

Und hier geht es zum letzen Opfer: Forecasting – moderne Hellseherei?

Forecasting – moderne Hellseherei?

Passend zum Jahreswechsel eine Anekdote aus Brüssel. Wo die Europäische Kommission sich unter anderem von einer ganzen Abteilung professioneller „Hellseher*innen“ beraten lässt. Forecasting heisst das im modernen Management-Sprech. Klingt beinahe fantastisch. Aber was steckt dahinter?

Moderne Hellseher*innen befragen weder das Orakel von Delphi noch eine Kristallkugel, sondern – wie könnte es heutzutage anders sein – vor allem Daten. Daten aus der Vergangenheit, aus denen sie (oder die von ihnen angewendeten Algortihmen) etwas über mögliche Zukünfte lernen wollen.

Solche Algorithmen, die irgendwas aus einer großen Menge von Daten „lernen“ und daraus Vorhersagen über Zukünftiges und/oder Unbekanntes ableiten, stehen heute prinzipiell allen zur Verfügung. Wozu es dabei jedoch menschliche Intelligenz und eine Haltung braucht, ist …. genau genommen ALLES drumherum.

ALLES fängt mit der Zielsetzung an. Geht es darum herauszufinden, wie bestehende Unternehmen ihre Gewinne steigern könnten, oder wollen wir herausfinden, was wir tun können, um einen drohenden Klimakollaps zu verhindern?

Abhängig davon müssen die richtigen, dh. die für die Beantwortung dieser Frage relevanten Daten besorgt und aufbereitet werden. Hier ist die nächste Stelle, an der Diskriminierungen vorgenommen werden, und dies sollte besser bewusst getan werden.

Im nächsten Schritt werden wieder Weichen gestellt. Welche Rechenmodelle werden verwendet, um all die Daten in Modellen abzubilden, die dann eventuell Klassifizierungen unbekannter Daten oder Projektionen in die Zukunft erlauben? Gehen wir von gleichförmigen Entwicklungen aus? Wieviele und welche Einflussgrößen halten wir vorab schon für relevant? Für Zufälle ist zu diesem Zeitpunkt kaum noch Platz jenseits einer statistischen Wahrscheinlichkeit von Abweichungen.

Überhaupt: Abweichungen. Wie gehen wir damit um? Halten wir sie für nebensächlich und vernachlässigbar, oder sind sie nicht manchmal auch der wichtigste Ansatz für Veränderung?

Um es hier nicht zu lang zu machen: am Ende steht schließlich der Umgang mit den Ergebnissen. Und da habe ich einen dieser modernen Hellseher*innen in Brüssel etwas sehr Beeindruckendes sagen hören: Dass sein Selbstverständnis beinhalte, die schlimmsten möglichen Szenarien aufzuzeigen, um daraus ableiten zu können, was wir heute tun müssen, um ihr Eintreffen zu verhindern.

Das finde ich stark.

In diesem Sinne wünsche ich uns allen einen kritischen Blick in die Zukunft gepaart mit dem Willen, selbst anzupacken und sie besser zu machen!

Und wer immer als Hellseher*in auftritt, sollte Rechenschaft darüber ablegen, was seine/ihre Fragen, Ziele, Daten und Vorschläge sind.

Cat content für die Ohren

Für die langen Spaziergänge nach der Arbeit (falls ihr das Glück habt, so leben zu können im Moment) – oder auch für andere Gelegenheiten, in denen ihr gern was auf die Ohren kriegt – habe ich einen suuuuuper Tipp! Und zwar das gerade erst von SWR2 produzierte Hörspiel „The cat inside“ nach der gleichnamigen Novelle von William S. Burroughs.

Der Titel täuscht nicht. Es geht um Katzen und darum was passiert, wenn wir sie als Gefährtinnen in unser Leben lassen. William S. Burroughs, us-amerikanischer Autor, Ikone der Beat-Generation und der Popkultur, zeigt sich hier als Liebender und widmet seinen Text ganz den Katzen, mit denen er sein Leben teilen durfte.

Die Umsetzung als Hörspiel trägt einzelne Momente collagenhaft zusammen. Auf der einen Seite Geschichten aus der jahrtausendealten Beziehung zwischen Katze und Mensch, die (Triggerwarnung!) auch unvorstellbar grausame Seiten von Menschen zum Vorschein bringen, auf der anderen Seite ganz persönliche Schilderungen, die zeigen, wie Katzen uns eigentlich zu besseren Menschen machen wollen. Musik und akkustische Akzente werden sparsam und stimmig eingesetzt. Für mich war jeder Moment ein Hörgenuss.

Hört mal rein! Da sind Rundfunkbeiträge richtig gut investiert worden, finde ich.

The cat inside. Ein Hörspiel von SWR2.

Update: Mal wieder in eine Bar!!!

Falls ihr meinen letzten Beitrag „Mal wieder in eine Bar gehen!“ nicht gefunden habt (ich hab ihn aus Versehen zunächst unter einem falschen Datum veröffentlicht), der richtige Link ist: https://prinzessinkarl.wordpress.com/2020/11/22/digital-bar/