Medienkrake

Der letzten Wochenendausgabe der Süddeutschen lag ein Heft bei, das nur bei ganz genauem Hinsehen als Werbebeilage zu erkennen war. Der Titel: „Aufbruch. Mensch und Gesellschaft im digitalen Wandel“. Herausgeber ist (nicht die Süddeutsche, sondern:) Google. Was für Pläne verfolgt Google in der Medienlandschaft – und was bedeutet das für Information und Gesellschaft?

Mehrere hundert Millionen (!) Euro hat Google allein in Europa in den vergangenen Jahren in Kooperationen mit Medienhäusern oder – unauffälliger, aber sicher nicht weniger eigennützig – in Fortbildungs- und Unterstützungsangebote investiert.

Zusammen mit dem DGB und dem Otto-Brenner-Institut haben die Netzjournalisten Ingo Dachwitz und Alexander Fanta im Oktober 2020 eine Studie darüber veröffentlicht, wie „der Datenkonzern den Journalismus umgarnt“ (zum Download unter https://www.otto-brenner-stiftung.de/fileadmin/user_data/stiftung/02_Wissenschaftsportal/03_Publikationen/AH103_Google.pdf). In zahlreichen Interviews mit zum Teil lieber anonym bleibenden Journalist*innen haben sie versucht, sich ein Bild darüber zu verschaffen, was genau Google da treibt und wo die Gefahren liegen könnten.

Das Fazit ist wenig überraschend. Digitale Medien sind technologisch sowieso schon extrem abhängig von Google, müssen es der Suchmaschine von Google recht machen, damit ihre Inhalte überhaupt gefunden werden, brauchen youtube, um ihre Videos zu vermarkten, nutzen Googles Statistiken und Trendanalysen für redaktionelle und strategische Entscheidungen, Googles Big Data zur (datenjournalistischen) Recherche, etc…. Dazu kommt nun, dass die Medienhäuser, die unter massivem Innovationsdruck stehen, sich von Google auch noch beraten und ausbilden lassen.

Mitmachen tuen notgedrungen die meisten. Google richtet inzwischen die größten Branchentreffen (mit) aus und hat Technologien im Portfolio, an denen schon heute im Journalismus kaum einer vorbeikommt. Vielleicht mag als Indiz gelten, wer sich in der Werbebeilage der Süddeutschen als Vorreiter in Sachen Digitalisierung des Journalismus von Google vorführen lässt: Deutschlandradio, Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND), funk (das Jugendprogramm der Öffentlich-Rechtlichen), Social Media Manager eines CDU-Abgeordneten, der Beauftragte des Bundeswirtschaftsministeriums für Startups (CDU), kleinere Zeitungen, die sich im „HHLab“ zusammengetan haben, Gruner +Jahr, eine Zeit-Redakteurin und Podcasterin, sogar der Postillon und die Krautreporter. In der erwähnten Studie werden weitere genannt, wie die FAZ und der Spiegel.

Die Autoren nennen Google den wohl größten Journalismus-Mäzen der Welt. Einen Mäzen, der offensichtlich diejenigen stärker fördert, die eh schon groß sind. Der großzügig und ohne sich stark einzumischen die Entwicklung von neuen Ideen fördert, sich dabei aber vorbehält, diese später zu kopieren und für eigene Ziele zu verwenden. Ideen-Vampirismus würde ich das nennen.

Die enge und einseitige Verflechtung mit dem Konzern, so legt die Studie überzeugend dar, gefährdet nicht nur die Unabhängigkeit einzelner Medien, sondern die Pluralität der Medienlandschaft überhaupt.

Google wird gleichzeitig zur am meisten genutzten Quelle und zur am meisten genutzten Plattform zur Verbreitung von Informationen. Google zahlt im Allgemeinen nichts für die wertvollen Beiträge, die Journalist*innen der Datenkrake mundgerecht zu servieren lernen. Im Gegenteil: den Gewinn, der sich durch die Aufmerksamkeit der Nutzer*innen in Form von Werbeeinnahmen generieren lässt, streicht Google fast alleine ein. Über den Wert, der im Zugriff auf die riesige Menge der so angehäuften Informationen liegt, kann ich nur spekulieren. Ich vermute, allein im Hinblick auf den Ausbau selbstlernender Systeme ist er immens. Und die bislang stärkste Lobby für eine gesetzliche Regulierung der Geschäftspraktiken des „Duopols“ von Google und Facebook – nämlich die Verlagsbranche – wird durch Geschenke gefügig gemacht. Vor den Augen der Öffentlichkeit.

Ich denke, dass Monopole im Bereich von Medien und Information (der „vierten Gewalt“) potentiell die Demokratie gefährden und deshalb nicht entstehen sollten. Daher halte nicht nur ich zwei Dinge für wichtig:

1 – die unabhängige Finanzierung von Alternativen, auf gesellschaftlicher Ebene durch Stärkung der Öffentlich-Rechtlichen und auf privater Ebene durch die Bereitschaft, für gute Inhalte auch zu bezahlen

2 – sinnvolle netzpolitische Regulierungen.

Das Thema ist extrem umfangreich – und ich wäre froh, wenn ich euch neugierig drauf gemacht hätte, mehr drüber rauszufinden. Ein guter Ausgangspunkt ist z.B. https://netzpolitik.org/?s=+Google . Und falls ihr suchmaschinenmäßig mal was anderes ausprobieren wollt, könntet ihr euch dies hier anschauen: https://metager.de/ .

Wie immer freue ich mich über Ergänzungen und Kommentare!

„Corona-Wahnsinn“ – who is who?

Wichtiges Update zu „Wir dachten, Hitler baut nur Autobahnen“: das Netzwerk „Lesben gegen Rechts“ hat ein Who-is-who der Corona-Demos erstellt und darin zahlreiche Verbindungen nach Rechtsaußen dokumentiert. Hier könnt ihr euch das Dokument runterladen: https://prinzessinkarl.de/wp-content/uploads/2020/06/aktualisiert-who-is-who-der-coronaleugner-formatiert.pdf

A propos „Corona-Wahnsinn“… Was ist wohl wahnsinniger: mit entschiedenen, wenn auch schmerzhaften Mitteln zu versuchen, die schlimmsten Auswirkungen einer Pandemie zu verhindern, oder einer Ansammlung rechtsextremer Arschlöcher in den Sattel zu helfen? Denn was die sonst noch wollen, außer „Zwangsimpfungen“ zu verhindern: Gleichstellungspolitiken beenden, die wenigen verbliebenen staatlichen und gewerkschaftlichen Eingriffsmöglichkeiten in den (deutschnationalen) Kapitalismus zurückschneiden, Geflüchtete verrecken lassen, Klimapolitik zurückdrehen, den Öffentlich-Rechtlichen Rundfunk abschaffen oder zur Propaganda in eigener Sache verpflichten… Naja, wer will, kann das alles selbst nachlesen.

Auf ein gutes neues Jahr!!!

Das Jahr auf diesem Blog fängt mit zwei guten Nachrichten an: ab sofort seht ihr hier keine Werbung mehr – und: so langsam wachen auch maßgebliche offizielle Stellen auf und stellen sich ihrer Verantwortung bezüglich der Nutzung von Social Media! Ich freue mich sehr über die Nachricht, dass der Landesdatenschutzbeauftragte von Baden-Württemberg, Stefan Brink, angekündigt hat, wegen rechtlicher Bedenken seinen Twitter-Account nicht mehr nutzen zu wollen. Und nicht nur das: er stößt damit einen Prozess an, der Behörden und andere öffentliche Einrichtungen dazu zwingen wird, ihren Social Media Einsatz ebenfalls zu hinterfragen und im besten Fall auch zu ändern. Und das finde ich gut so. Denn – und da bin ich ganz bei Stefan Brink – indem wir relevante Informationen über Dienste zur Verfügung stellen, die im Hintergrund auf problematische Art Nutzer*innendaten sammeln, bringen wir andere dazu, diese zu nutzen und dabei womöglich ungewollt private Daten preiszugeben. Wir stärken damit Konzerne und Mechanismen, die niemandem gut tun außer sich selbst.

Zwei Dinge möchte ich mir dann fürs neue Jahr noch wünschen: dass sich genug schlaue Köpfe zusammenfinden, um unabhängige, unkommerzielle und sichere Kommunikationskanäle anbieten zu können – Social Media eben, aber ohne Kommerz und Ausbeutung. Und dass dann auch immer mehr Menschen auf diese umsteigen!

Halten wir uns gegenseitig auf dem Laufenden, was solche Entwicklungen angeht! (A propos: was dieses Jahr so beim CCC-Kongress los war, findet ihr in Ausschnitten hier.…) Machen wir mit! Und freuen wir uns gemeinsam auf ein gutes neues Jahr!

Hilfreiche Formen des Denkens

Als unerwartet inspirierend erweist sich gerade ein Buch, das ich eher zufällig beim Stöbern in der Onleihe gefunden habe: „Denken wie Einstein“ von Theresa Bäuerlein und Shai Tubali. Ohne sie explizit zu stellen, beantwortet das Buch wichtige Fragen zum Zustand der Demokratie im Zeitalter von Copy-Paste-Kommunikation und Kurznachrichten, Social Media und automatisiertem Lernen.

Die Frage, die sich die Autor*innen stellen, lautet aber zunächst: Was unterscheidet das Denken von Leuten, die für bekannte Probleme geniale Lösungen gefunden haben, vom Denken der vielen anderen, die daran gescheitert sind? Was können wir von Ihnen lernen?

Exemplarisch werden hierfür 10 Persönlichkeiten betrachtet, die als herausragende Denker*innen gelten.

Die folgenden Zitate sind als Notizen fürs eigene Weiterdenken gedacht und sollen gleichzeitig einen Eindruck davon vermitteln, was Theresa Bäuerlein und Shai Tubali herausarbeiten wollen.

So geht es zum Beispiel im Abschnitt über Albert Einstein vor allem um die Begrenztheit sprachlichen Denkens:

Entdeckungen setzen die Bereitschaft voraus, dass der Entdecker eine Wahrheit akzeptieren kann, die außerhalb bereits bekannten und vertrauten Wissens liegt. (S.18)

Das sprachliche Denken kreiert erst allerlei Kategorien in der Realität und verfängt sich dann in ihnen. (S.35)

Es gibt mindestens vier nicht-sprachliche Mittel, von denen Einstein ausführlich Gebrauch machte: …die Musik, …Phantasie und Visualisierung,… Meditation und Intuition… (S.38).

Die Beschäftigung mit Friedrich Nietzsche führt zu einer Warnung vor Bequemlichkeit:

Die Bequemlichkeit des bereits Bekannten lässt sich nicht leicht von Wahrheit unterscheiden. Kognitive Leichtigkeit (Anm.: ein Begriff von Daniel Kahnemann, immerhin selbst Nobelpreisträger) bestimmt, dass etwas wahr ist, wenn’s sich ‚wahr anfühlt‘, ‚gut anfühlt‘ und ‚mühelos anfühlt‘. (S.58)

Das ist selbstverständlich

…gefährlich, da unser Denken dann eine ‚Wahrheit‘ will, die in Wirklichkeit nur ein demütiger Diener des emotionalen Zustands ist, den wir haben möchten, entsprechend machen wir horrende Fehler in unseren Urteilen und Voraussagen. Nietzsche hatte den Verdacht, dass das Bewertungssystem des Menschen so funktionierte, und Kahnemanns Forschung bestätigt es. … wenn man glauben will, dass eine Schlussfolgerung richtig ist – und man wird es glauben wollen, wenn sich das gut anfühlt -, dann glaubt man auch jedem Argument, das sie stützt, selbst wenn das Argument schlecht ist. (S.59)

Nietzsche wehrte sich sein Leben lang gegen diese Form der Bequemlichkeit und schrieb bereits in jungen Jahren seiner Schwester:

„Willst du Seelenruhe und Glück erstreben, nun so glaube, willst du ein Jünger der Wahrheit sein, so forsche.“ (Zitiert nach S. 47)

Der Preis dafür ist Unbequemlichkeit, Arbeit, und leider bei uns allzu oft, wie auch bei Nietzsche, Ausgrenzung und Einsamkeit.

Sehr interessant fand ich auch den Abschnitt über Barbara McClintock. Hier geht es vor allem ums Zuhören und darum, Störungen und Abweichungen von der Regel ganz besonders willkommen zu heißen.

Die Biologen hofften … auf eine statische, leichter zu verstehende DNA. McClintocks Arbeit dagegen zeigte ein lebhaftes und unberechenbares System auf: nicht nur die DNA wirkte auf die Zelle ein, Elemente der Zelle könnten auch die DNA beeinflussen. Die Gene lagen nicht einfach ruhig und unverrückbar da, sondern konnten sich spontan von einer Seite zur nächsten bewegen, sogar von einem Chromosom zum nächsten, und dabei ständig neue Impulse mitbringen und die genetische Ordnung neu strukturieren. (S.83)

‚Hasty Generalizations‘ passieren immer dann, wenn man anhand begrenzter Erfahrungen eine Theorie oder ein Modell entwickelt. Man zieht dann Schlüsse, die nicht alle Variablen berücksichtigen, aber den Anspruch erheben, ein Phänomen in seiner Gesamtheit zu beschreiben. (S.87)

McClintocks Denkart könnte uns lehren, dass eine statistische Abweichung mindestens genauso viel Erkenntnisgewinn bringen kann wie statistische Genauigkeit. (S.90)

Für sie gab es überhaupt keine Abweichungen. Was wir uns als abnormales Verhalten eines Organismus vorstellen, war für sie ein Hinweis auf eine höhere und komplexere Ordnung, die einfach noch nicht verstanden wurde. (S.76)

Organisches Denken besitzt eine Qualität des Zuhörens. (S.78)

Zu guter Letzt sei hier noch der Teil um Hannah Arendt erwähnt. Hier steht natürlich der Appell an die Verantwortung der/des Einzelnen im Vordergrund und die Frage danach, was totalitäre Systeme möglich macht. Die „Banalität des Bösen“ verweist nämlich wieder auf Denkfaulheit, stellt deren Fatalität in einen gesellschaftlichen Kontext, namentlich in den Kontext von Holocaust und Totalitarismus.

Einer der hartnäckigsten kognitiven Fehler des menschlichen Gehirns ist der Glaube, dass eine Aussage oder eine Erfahrung, die sich immer wiederholt, wahr sein muss. In seinen Anfängen ist das fast schon lustig, man nennt es dann ‚Attentional Bias’… Der Effekt aber, der wohl am besten Arendts tiefste Sorge beschreibt, ist der ‚Bandwagon-‚ oder ‚Mitläufereffekt’… Je mehr Menschen eine bestimmte Sache tun oder glauben, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass auch andere das tun werden. Sie würden auf die gleiche Weise handeln, egal, was sie selbst glauben oder welche eigenen Informationen sie haben, diese würden sie ignorieren oder sich darüber hinwegsetzen…(S.193)

Auf einer tieferen Ebene erkannt Arendt, dass der Totalitarismus ein anti-politischer Prozess ist, der dazu führt, dass alles Denken aufhört. Dies kann auch dann passieren, wenn Menschen ohne jeden Zwang von außen in einen Zustand der Gedankenlosigkeit verfallen und politischer Beteiligung aus dem Weg gehen. (S.184)

Weitere Kapitel befassen sich mit Sigmund Freud, Leonardo da Vinci, Sokrates, Charles Darwin, Jiddu Krishnamurti und Giordano Bruno.

Ich finde, dieses Buch verdient es, gelesen, verschenkt und weiterempfohlen zu werden: „Denken wie Einstein“ von Theresa Bäuerlein und Shai Tubali. Erschienen bereits 2015.

Außerdem hier noch der Link zu „Schnelles Denken – langsames Denken“ von Daniel Kahnemann, dessen Untersuchungen einiges von dem, was Theresa Bäuerlein und Shai Tubali zusammengetragen haben, durch aktuelle psychologische Forschung untermauern.

Cyber War – Syrien als Lehrstück

Wie schafft es eine Journalistin heute noch, Menschen im vermeintlich sicheren Europa für den Krieg in Syrien zu interessieren?

Juliana Ruhfus, Dokumentarfilmerin bei Al Jazeera, die zuletzt einen Film über den Cyberwar in Syrien gedreht hatte, stellte sich genau diese Frage. Und wusste sehr schnell, dass die Antwort mobil und interaktiv sein sollte.
Im Oktober 2016, nach nur 3 Monaten Entwicklungszeit, präsentierte sie #Hacked – ein Online-Spiel, das einer einfachen Grundidee folgt: Finde soviel du kannst über den Krieg im Internet raus, ohne dabei selbst gehackt zu werden. Hintergrund ist die reale Situation in Syrien.
Im Spiel nimmst du die Rolle der JournalistIn ein, die von KollegInnen, Websites und InformantInnen mit Hinweisen versorgt wird. Dabei bringst du dich und andere permanent in Gefahr, von den kriegführenden Parteien gehackt oder in die Irre geführt zu werden.
Brisant an dem Spiel: alle Angriffe und Hacks haben so tatsächlich stattgefunden. Und alle Informationen über den Krieg in Syrien und die immer noch existierenden Kräfte des Arabischen Frühlings sind real.
Ich habe gerade erst angefangen zu „spielen“, und doch schon mehr über den Krieg in Syrien erfahren als in den ganzen letzten Monaten, wo jeder Versuch, zu begreifen, in Trümmerbildern versandete. Wenn ich das Spiel beende, werde ich dazu noch vieles über die Gefahren der Kommunikation im Web gelernt haben (und wie man sich davor bestmöglich schützen kann). Bereits jetzt habe mich emotional neu auf diese Themen eingelassen.

Das Projekt begeistert mich. Well es das Potential hat, uns aus der Lethargie zu reißen. Weil das Engagement der Macherin in jedem Moment spürbar ist.

Und so wollte ich auch wissen, wer und was genau dahinter steckt.

Augenfällig fand ich beim Lesen eines sehr ausführlichen Artikels über die Entstehung des Games, dass es offensichtlich vor allem Frauen waren, die das Projekt entwickelt haben: Juliana Ruhfus, als treibende Kraft, Nataly Rios Goico als erfahrene Game-Konzepterin, Ilze Juhnevica und Zahra Warsame, Designerinnen bei Al Jazeera.

Keine Klischees an dieser Stelle. Einfach mal beobachten. Und vielleicht mit der aktuellen Werbung der Bundeswehr vergleichen.