Ein Leben auf Seiten der Frauen in Ägypten – Nawal El Saadawi

Ihr Mut, ihre Kompromisslosigkeit, ihre Beharrlichkeit machten sie seit den 1960er Jahren zu einer der unbequemsten und bekanntesten Feministinnen der arabischen Welt. Sie war im Gefängnis, auf dem Tahrirplatz, im Exil in den USA und kurze Zeit auch einmal Präsidentschaftskandidatin. Gestern, am 21.3.21, ist die 1931 geborene ägyptische Frauenrechtlerin, Ärztin, Psychiaterin und Autorin Nawal El Saadawi gestorben.

Eins der eindrucksvollsten feministischen Bücher, die ich jemals gelesen habe, ist ihre Erzählung „Ich spucke auf euch. Bericht einer Frau am Punkt Null“. Darin erzählt eine zum Tod verurteilte Frau ihrer Anwältin, weshalb sie es ablehnt, den Präsidenten um Begnadigung zu bitten. Denn der Mord an ihrem Zuhälter, für den sie hingerichtet werden soll, war der einzig mögliche Befreiungsschlag nach einem von sexualisierter Gewalt geprägten Leben. Eine schonungslos erzählte Geschichte, an deren Anfang ein kleines Mädchen von älteren weiblichen Verwandten genitalverstümmelt wird und an deren Ende die Leserin versteht, was für ein Akt der Würde es ist, sich zu wehren und niemanden dafür um Verzeihung zu bitten.

Nawal El Saadawi hat die Welt besser gemacht. Ihre Worte haben Generationen von Frauen in verschiedenen Teilen der Welt vieles klarer und manches mit anderen Augen sehen lassen. Sie hat viel bewegt und für die, die nach ihr kommen, Möglichkeiten geschaffen. Möge ihr Geist fruchtbar bleiben – und ihr Körper in Frieden ruhen.

Wenn ihr mehr wissen wollt:

Es gibt eine arte-Doku mit dem Titel „Die Löwin vom Nil“ über sie, die ich allerdings noch nicht gesehen habe: https://youtu.be/-43jG8x9qoI

Ein Interview mit Channel 4 (UK), in dem sie ausführlich zu Wort kommt, findet sich hier: https://www.youtube.com/watch?v=djMfFU7DIB8

Ihre Bücher sind auf deutsch derzeit leider nur antiquarisch erhältlich.

Mehr Feminismus!

Heute war ein schöner Tag. So viele Menschen auf der Kundgebung zum internationalen Frauentag! Die meisten junge Feminist*innen, schätzungsweise unter 30. Frischer Wind, so viele mutige und kreative Beiträge, auch wütende, auch selbstbewusste. Ich freue mich.

Inhalte? Gewalt gegen Frauen – leider immer noch Alltag – benennen, stoppen, bekämpfen, anprangern – international wie auch hier. Selbstbestimmungsrecht über den eigenen Körper – Abschaffung des § 218, endlich, komplett. Mehr Frauen in Führungspositionen? Nicht auf Kosten anderer! Insbesondere nicht, solange der Lebensstandard der einen auf unterbezahlter, meist migrantischer Frauenarbeit beruht (in der Pflege, zb „24-Stunden-Kräfte“, beim Putzen, der Kinderbetreuung, uvm,…). Überhaupt Pflege: Zeit für eine Care Revolution!

Forderungen, für die sich schon Generationen vor uns eingesetzt haben – ohne die wir nicht da wären, wo wir heute sind. Und dennoch bleibt so viel zu tun. Gut, dass immer welche nachkommen und dass wir so viele sind!

Warum individuelle Freiheit ein maskulinistisches Konzept ist

Das Pochen auf individuelle Freiheiten ist weder im Zusammenhang mit Corona noch im Hinblick auf die Zerstörung der Lebensbedingungen auf der Erde ein Merkmal konstruktiver Lösungsvorschläge. Nicht falsch verstehen: hier geht es nicht um den Ruf nach einer Diktatur. Sondern darum, dass wir dringend aufhören sollten, uns als einzelne, unabhängige Wesen zu verstehen. Leben ist, – genau wie Verstehen – nur in wechselseitiger Abhängigkeit und in Beziehung möglich.

Die US-amerikanische Politikwissenschaftlerin Wendy Brown hat sich in ihrem 1995 erschienenen und leider nie ins Deutsche übersetzten Buch States of Injury ausführlich mit dem Begriff der „individuellen Freiheit“ beschäftigt. Sie zeigt, dass dieser Begriff im Kontext des Liberalismus (als dem vorherrschenden Narrativ des Kapitalismus) systematisch auf der Unterordnung von Frauen basiert.

Ihre Kernthesen lauten:

1. Der Liberalismus baut auf einer klaren Arbeitsteilung auf.

2. Auf diese Weise ist es der Liberalismus, der gewisse Eigenschaften und Aktivitäten an Geschlechtszugehörigkeiten bindet, und zwar indem er diese Arbeitsteilung ideologisch mit „Natur“ begründet.

3. Die vermeintlich neutral verwendeten Begriffe des politischen Lebens („Freiheit“ und „Gleichheit“) verschleiern diese Ordnung der Gesellschaft und den dahinter stehenden Maskulinismus.

4. Feminismus innerhalb des Liberalismus kann nur existieren, indem die liberale Arbeitsteilung andere untergeordnete Gruppen anstelle der (bürgerlichen) Frauen einsetzt.

Folgendermaßen verläuft ihre Argumentation:

Historisch wurde mit dem Übergang vom Feudalismus zum Liberalismus und durch Industrialisierung und die Ausweitung kapitalistischer Produktionsweisen die Trennung zwischen familiengebundener Haushaltsarbeit und öffentlich sichtbarer Lohnarbeit immer schärfer. Dies führte zur Aufteilung der Gesellschaft in deutlich getrennte Sphären – auf der einen Seite Ökonomie und Zivilgesellschaft, auf der anderen die Familie.

Der Zivilgesellschaft und der Familie steht im Liberalismus der Staat gegenüber, der sich aus den anderen Bereichen rauszuhalten hat, solange dort nicht alle gegen alle kämpfen, denn der Mensch sei ja dem Menschen ein Wolf, so wird erzählt. Warum dieses Narrativ nicht für die Familie gelte, fragt Wendy Brown sodann. Weil es sich hier um eine Sphäre handle, in der Wettbewerb und Interessenkollisionen per Definition nicht vorkommen, denn es entspreche ja der „natürlichen“ Rolle von Frauen und Kindern, sich den Bedürfnissen und Interessen der Männer unterzuordnen und für deren Erhalt und gute Laune zu sorgen. Dafür stehe nicht zuletzt das Bild vom Hafen (der Ehe) inmitten der ansonsten stürmischen See des (zivilen, männlichen) Lebens.

Da das eine (kapitalistische Produktionsformen) nicht ohne das andere (Fürsorge und Reproduktion) funktioniert, wird die genderbasierte Zuschreibung von bestimmten Pflichten und Tätigkeitsbereichen zur unbedingten Voraussetzung für die Konstitution des liberalen, diese Produktionsformen bejahenden Subjekts.

Das liberale Subjekt als Basiseinheit liberaler Gesellschaftsvorstellungen ist ein Individuum, das als souverän und autark gilt. Bedürftigkeiten und Abhängigkeiten werden absichtsvoll ausgeklammert. Autarkie, das Handeln im eigenen Interesse, die Orientierung hin auf Dinge und Gewinn werden Männern zugeschrieben, weshalb Frauen, denen Zugehörigkeit, Bindung und Altruismus zugeschrieben und die als beziehungsorientiert gezeichnet werden, unsichtbar werden müssen.

Gleichheit gilt in der bürgerlich-liberalen Auffassung vor allem vor dem Gesetz, was im selben Zuge bedeutet, sie gilt dort nicht, wo das Gesetz nicht hinreicht, nämlich in der Familie. Wie Brown feststellt: „Liberalism, presuming rational men, has no theory of violence practiced for reasons-psychic, erotic, etc.-independent of material gain.“ (vgl. Brown 1995, 150). Genau in diesen Bereichen verfügt das liberale Subjekt, das also deutlich männlich konnotiert ist, über seine gefährliche Freiheit.

Wenn Frauen sich genauso autark, egoistisch, besitz- und gewinnorientiert verhalten wie Männer oder sich als Lesben oder bewusst männerlos lebende Frauen der Reproduktions- und Care-Arbeit verweigern, werden sie nicht nur kritisiert und diffamiert (und damit zurück an den ihnen zugedachten Platz verwiesen). Da, wenn das alle täten, die Gesellschaft als Ganze und die Familie im Besonderen nicht mehr funktionieren würde, ist ein solches Verhalten innerhalb der liberal gefassten Gesellschaft nur möglich, wenn und solange Frauen die doppelte Belastung auf sich nehmen, oder wenn die eigentlich ihnen zugeschriebenen Arbeiten von anderen, ebenfalls untergeordneten Menschen übernommen werden. Wie Brown später schreibt: „the emancipation of particular women can be ‚·purchased“ through the subordination of substitutes“ (Brown 1995, 164), beispielhaft hierfür steht die bürgerliche Frau, „as every middle and upper-class woman… has purchased her liberty, personhood, and equality through child care and ‚ household help‘ provided by women earning a fraction of their boss’s wage“ (Brown 1995, 164f). An dieser Stelle greifen Klassenunterschiede und Rassismus.

„Individuelle Freiheit“ und „Gleichheit“ erscheinen bei Brown – und der Ansatz überzeugt mich – als genuin liberale Konzepte, die unauflösbar mit Maskulinismus, Dominanz und Unterwerfung verbunden sind. Im Blick auf die Kolonialgeschichte wäre zu ergänzen: auch mit Rassismus.

Ein Denken, das darüber hinausgehen will, muss stattdessen Fürsorge, wechselseitige Abhängigkeiten und faktische Machtverhältnisse zum Ausgangspunkt nehmen.

Zu diesem Thema passt auch die aktuelle Ausstellung „Critical Zones“ im ZKM Karlsruhe, über die ich noch berichten möchte. Die Spur werde ich also weiterverfolgen – und wenn ihr wollt, nehme ich euch gerne mit!

Literatur:

Wendy Brown: States of Injury. Princeton, New Jersey: Princeton University Press, 1995.

Critical Zones im ZKM Karslruhe:

Eine „digitale Gedanken-Ausstellung“ über den Umgang mit dem Leben, kuratiert unter anderem von dem sehr sympathischen Philosophen Bruno Latour: https://critical-zones.zkm.de

Update: Verstehen als Beziehungsarbeit

Und noch ein Update in eigener Sache: falls ihr meinen letzten Beitrag „Verstehen als Beziehungsarbeit“ nicht gefunden habt (ich hab ihn aus Versehen zunächst unter einem falschen Datum veröffentlicht), der richtige Link ist https://prinzessinkarl.wordpress.com/2020/05/16/verstehen-als-beziehungsarbeit/

„Corona-Wahnsinn“ – who is who?

Wichtiges Update zu „Wir dachten, Hitler baut nur Autobahnen“: das Netzwerk „Lesben gegen Rechts“ hat ein Who-is-who der Corona-Demos erstellt und darin zahlreiche Verbindungen nach Rechtsaußen dokumentiert. Hier könnt ihr euch das Dokument runterladen: https://prinzessinkarl.de/wp-content/uploads/2020/06/aktualisiert-who-is-who-der-coronaleugner-formatiert.pdf

A propos „Corona-Wahnsinn“… Was ist wohl wahnsinniger: mit entschiedenen, wenn auch schmerzhaften Mitteln zu versuchen, die schlimmsten Auswirkungen einer Pandemie zu verhindern, oder einer Ansammlung rechtsextremer Arschlöcher in den Sattel zu helfen? Denn was die sonst noch wollen, außer „Zwangsimpfungen“ zu verhindern: Gleichstellungspolitiken beenden, die wenigen verbliebenen staatlichen und gewerkschaftlichen Eingriffsmöglichkeiten in den (deutschnationalen) Kapitalismus zurückschneiden, Geflüchtete verrecken lassen, Klimapolitik zurückdrehen, den Öffentlich-Rechtlichen Rundfunk abschaffen oder zur Propaganda in eigener Sache verpflichten… Naja, wer will, kann das alles selbst nachlesen.

Verstehen als Beziehungsarbeit

Unser Umgang mit einer neuen Krankheit, die sich pandemisch verbreitet, ist nicht anders als unser Umgang mit anderen ökologischen und ökonomischen Krisensituationen der letzten Jahrzehnte. Der bislang allerdings noch nirgends zu einer fundamentalen Wende geführt hat. Was fehlt?

Ich hatte ja von einiger Zeit schon versprochen, mal meine Arbeit „Erkenntnis als Kollateralschaden von Beziehungen“ hier hochzuladen. Gehindert hat mich daran bisher vor allem, dass ich nicht wusste, wie ich eine Verbindung herstellen könnte zu den Themen, die mich aktuell beschäftigen – und die eben auch mit Corona zusammenhängen.

So langsam allerdings dämmert mir etwas: Es sind im Kern dieselben Haltungen, die den Diskurs prägen, die mich immer wieder auf dieselbe Art verstören und die ich zunehmend für komplett untauglich halte. Sogar für desaströs. Ich meine einerseits die Vorstellung von objekthaften Wahrheiten (für die also keine Verantwortung zu übernehmen ist), und andererseits die Vorstellung von individueller Freiheit.

In „Erkenntnis als Kollateralschaden von Beziehungen“, einem Text der in Theoretischer Philosophie an der TU Darmstadt entstanden ist, geht es vorrangig um den ersten Bereich. Genauer gesagt um aktuelle Arbeiten feministischer Philosophinnen zur Frage nach der Beziehung zwischen uns und der Welt, und inwiefern die Art dieser Beziehung bereits vorgibt, was wir überhaupt für Erkenntnisse gewinnen können. Ihr werdet dort auch Vinciane Despret wiederfinden. Beispiele kommen aus der Genetik, der Verhaltensforschung und der Anthropologie.

Hier könnt ihr den Text lesen und runterladen: „Erkenntnis als Kollateralnutzen des Zusammenlebens“.

Auf vielleicht noch fatalere Art wird der öffentliche Diskurs immer wieder von einer Vorstellung individueller Freiheit geprägt, die es aus feministischer, ökologischer und sozialer Sicht hart zu kritisieren gilt. Hierzu entdecke ich gerade Wendy Brown, Politikwissenschaftlerin aus den USA (und außerdem Lebensgefährtin von Judith Butler, die hierzulande wohl bekannter ist). Eine ihrer Kernthesen ist, dass „individuelle Freiheit“ ein genuin neoliberales Konzept ist, das zudem unauflösbar mit Maskulinismus, Dominanz und Unterwerfung verbunden ist. Mehr dazu demnächst in diesem Blog!

Vermessene Zeit

Ich habe sie verschlungen, die Bücher von Ingrid Strobl (Sag nie, du gehst den letzten Weg, Ich hätte sie gerne noch vieles gefragt und Die Angst kam erst danach). Jetzt ist ein neues erschienen: Vermessene Zeit, in dem sie ihre eigene Geschichte als Arbeiterkind und in den 1980ern radikalisierte Feministin reflektiert.

Ingrid Strobls aktuelles Buch ist eine kritische Aufarbeitung ihrer eigenen Erfahrungen. Ende der 1980er Jahre wurde die Journalistin verhaftet, weil sie einen Wecker gekauft hatte, der später bei einem Anschlag einer militanten Gruppe gegen die Lufthansa als Profiteurin von Abschiebungen und Sex-Tourismus verwendet wurde. Der Anschlag war so geplant, dass keine Menschen verletzt wurden, die Täterinnen wurden nie erwischt. Aber Ingrid Strobl saß monatelang in Haft. Sie hat nie verraten, für wen sie den Wecker gekauft hat.

Und dafür wurde sie damals sehr gefeiert. Es war die Zeit von Arthur und Anna, und es war eine Zeit, zu der viele mehr oder weniger junge Menschen (inklusive mir) begriffen hatten, dass Kapitalismus, Sexismus und Rassismus Scheisse sind und dachten, dass eine revolutionäre Veränderung dieser Verhältnisse nötig und möglich ist.

Ingrid Strobl hält diese Vorstellung aus heutiger Sicht für vermessen und kann sich selber nicht mehr erklären, warum sie damals mit so radikalen Aktionen sympathisierte (nachzulesen auch in diesem Interview). Das ist aber der aus meiner Sicht uninteressantere Teil des Buches, auch, weil sie keine genaueren Analysen oder Kritiken liefert.

Interessant fand ich dagegen die Schilderung ihrer Zeit im Knast, der Mitgefangenen, der Solidarität von draußen, aber auch ihrer eigenen Haltung und Verhaltensweisen. Unter anderem hat sie ja diese Zeit der weitgehenden Isolation genutzt, um ihr Buch über Frauen im Widerstand gegen den Faschismus (Sag nie, du gehst den letzten Weg) fertig zu schreiben. Und sie hat über ihre Mitgefangenen ganz andere weibliche Lebensrealitäten kennengelernt. Das sind wertvolle Erfahrungen, und es ist gut, dass sie sie teilt.

Das Buch kann als eine Ergänzung zu dem sehenswerten Dokumentarfilm „Frauen bildet Banden“ gelesen werden, der im letzten Jahr erschienen ist und die Geschichte der Roten Zora (einer Revolutionären Frauengruppe) erzählt. Allerdings mit einer anderen Parteilichkeit, nämlich unter Einbeziehung der Perspektive von Frauen auf der ganzen Welt, die die militanten Aktionen dieser Gruppe als positiven Akt der Solidarität oder der Selbstermächtigung erlebt haben.

Ingrid Strobl: VERMESSENE ZEIT. Der Wecker, der Knast und ich. Erschienen im März 2020.

Frauen – Bücher – Highlights 2018

Kerstin Herbert hat in ihrem Blog zu einer interessanten Blogparade aufgerufen, an der ich mich gerne beteilige. Mit „diesem Jahr“ ist darin das Jahr 2018 gemeint 😉

  • Wie hoch ist Deine „Frauenquote“? Wieviele Bücher hast Du in diesem Jahr gelesen und/oder rezensiert? Wieviele davon wurden von Autorinnen verfasst?

Ich hatte 2018 einen Vorsatz, nämlich, ausschließlich Bücher von Frauen zu lesen. Frauen brauchen einfach mehr Leser*innen! Zwei oder drei Mal habe ich heimlich eine Ausnahme gemacht, aber „rezensiert“ (naja, eher in meinem Blog etwas darüber mitgeteilt) habe ich tatsächlich 100% Literatur weiblicher Urheber*innenschaft. Ich habe dafür mehr recherchieren müssen, aber wurde oft mit so tollen Entdeckungen belohnt, dass ich das weiter so halten werde. Auch 2019 werden hier ausschließlich Frauen promotet.

  • Welches Buch einer Autorin ist Dein diesjähriges Lesehighlight? (Warum?)

Wenn ich schummeln darf, fällt mir als erstes „Die Kieferninseln“ von Marion Poschmann ein. Das hab ich allerdings schon in den letzten Tagen von 2017 gelesen – und zwar in einer ziemlich durchwachten Nacht im Krankenhaus, frisch operiert, mit ständig seufzenden und stöhnenden Mitpatientinnen im Zimmer. „Die Kieferninseln“ haben mich gerettet, und ich musste trotz all dem immer mal wieder lachen – ein echtes Highlight!

Wenn ich nicht schummeln darf, wird es sehr schwer, denn ich hab 2018 einige Bücher sehr genossen, jeweils zu ihrer Zeit. Ich liebe ja Blicke über den Tellerrand, und als solches fand ich Noemie Schneider „Das wissen wir schon“ ziemlich klasse. Der Tellerrand in diesem Fall: meine eigene Generation. Erhellend, die mal aus einer anderen Perspektive anschauen zu können!

In der Kategorie „Skurril und hintergründig“ fand ich unter allem, was ich 2018 gelesen habe, eindeutig Gianna Molinari am besten.

Sachbuch: Cindy Engel „Wild Health – Gesundheit aus der Wildnis“, ein sehr gut geschriebenes Buch über die Beobachtung von Selbstmediktion bei Tieren, dem ich allerdings bislang noch keinen Blogbeitrag gewidmet habe.

Und meinen persönlichen Krimipreis vergebe ich zu gleichen Teilen an Zoe Beck „Die Lieferantin“ und an Katherine V. Forrest „Wüstenfeuer“.

  • Welche  weibliche Lebensgeschichte bzw. Biografie hat Dich in diesem Jahr besonders beeindruckt (und warum?)

Hier möchte ich zwei Bücher nennen: Jacqueline Woodsons „Ein anderes Brooklyn“ und Deborah Ellis‘ „Wenn der Mond am Himmel steht, denk ich an dich“. Eigentlich beides eher Coming-of-Age-Geschichten, aber mal ehrlich: ist das nicht der Grundbaustein und das Interessanteste an jeder Biographie?

Jacqueline Woodson erzählt, wie es war, in den 1970er Jahren als Schwarze Frau in Brooklyn groß zu werden – inmitten von Drogen, Armut, Rassismus, Sexismus und Gewalt. Wer verstehen will, wozu in so einer Welt eine möglichst große Bandbreite starker weiblicher Role Models und Identifikationsfiguren gut ist, bekommt mit der Lektüre von „Ein anders Brooklyn“ eine gute Vorstellung.

Deborah Ellis arbeitet in Toronto als Psychotherapeutin und engagiert sich unter anderem für geflüchtete Frauen. In „Wenn der Mond am Himmel steht, denk ich an dich“ erzählt sie die auf wahren Begebenheiten beruhende Geschichte einer jungen Iranerin, die sich in eine Mitschülerin verliebt. Es ist zugleich Liebesgeschichte, Dokumentation gesellschaftlicher Verhältnisse im Iran und Pamphlet gegen die Verfolgung und Unterdrückung von Homosexualität. Einen besonderen Eindruck hat dieses Buch in mir hinterlassen, weil die Protagonistin uns einen nicht christlich und weiß, sondern islamisch geprägten Blick auf das Leben im heutigen Iran und seine Schattenseiten ermöglicht.

  • Welches Buch einer Autorin möchtest Du in 2019 unbedingt lesen?

Mein eigenes 😉

Frauenbewegt und von Männern umringt

Schade. Ich hatte mir mehr versprochen von Mary Shelley, dem jetzt in deutsche Kinos gekommenem Biopic über die Autorin von Frankenstein oder der moderne Prometheus (Hier gehts zum Trailer).

Ich hasse eigentlich Kostümfilme, insbesondere solche, die im prä-/viktorianischen 19. Jahrhundert spielen. Aber vielleicht, so dachte ich, könnte ich diese langweilig standardisierte Ästhetik verkraften, wenn’s um einen feministisch motivierten Plot geht. Schließlich war Mary Godwin Wollstonecraft, spätere Shelley, als Tochter von Mary Wollstonecraft und dem anarchistischen Schriftsteller William Godwin ein Kind von Feminismus und Freigeist, und die Regisseurin, Haifaa Al Mansour, versprach eine auf die Gleichberechtigung von Frauen fokussierte Erzählung des Stoffs, denn davon handelte bereits der erste Film der Saudi-arabischen Regisseurin

Dieses Versprechen wird im Film auch eingelöst und wir erleben mit der Protagonistin, wie eng das Korsett gesellschaftlicher Vorurteile gegenüber Frauen geschnürt ist, in einer Welt, auf deren Bühnen nur Männer sich bewegen. Das musste Mary Shelley erleben, der man die Autorinnenschaft an Frankenstein lang nicht zutraute.

Aber der Ruf nach Gleichberechtigung allein ist nicht genug. Zum einen, weil der männerzentrierte Blick davon nicht berührt wird – Allison Bechdel lässt grüßen und wir müssen wieder einmal zusehen, wie auch noch so eigenwillige Frauenfiguren letztlich von der Anerkennung durch Männer abhängen. Zum anderen, weil durch die Historisierung des Themas immer noch geltende, höchstens ein wenig subtilere Benachteiligungen im Literaturbetrieb verschleiert werden. Auch wo wir offiziell gleichberechtigt sind, haben wir lange noch nicht dieselben Chancen und Bedingungen.

Gegengift: Virginie Despentes‘ King Kong Theorie. Wütender, aktueller, punkiger Essay, der von aktuellen Erfahrungen als Opfer sexualisierter Gewalt, als Prostituierte und als Autorin berichtet und daraus nach einer radikaleren feministischen Orientierung sucht. So schreibt Virginie Despentes 2006:

In den Büchern von Frauen gibt es nur selten Dreistigkeit oder Feindseligkeit gegenüber den Männern. Sie sind zensiert.

Genau das ist es, was auch an dem Film über Mary Shelley angesichts der Ungerechtigkeiten und Verletzungen, die sie erfährt, so unbefriedigend ist.

Despentes weiter:

Ich gehöre zu diesem Geschlecht, das nicht einmal das Recht hat, seinem Ärger Luft zu machen. Colette, Duras, Beauvoir, Yourcenar, Sagan, eine ganze Geschichte von Autorinnen, die sich bemühen, vertrauenswürdig zu sein, sich für Ihr Schreiben zu entschuldigen, indem sie wieder und wieder sagen, wie sehr sie sie mögen, achten und lieben, und dass sie vor allem – egal was sie schreiben – nicht allzu viel Unruhe stiften wollen. Wir wissen alle, was sonst passiert: die Meute wird sich um dich kümmern, und zwar gründlich. (…) Man soll mir nicht erzählen, dass die Dinge sich so sehr geändert hätten, dass es anders geworden wäre. Nicht mir. Was ich als Schriftstellerin ertragen muss, ist doppelt so viel wie ein Schriftsteller.

Hinschauen

Hinschauen, ganz genau hinschauen, ganz genau und gerade da, wo es weh tut. Wo es einer den Magen umdreht. Darum geht es in „Wer dann noch lachen kann“ von Birgit Vanderbeke.

Ich habe dieses Buch auf einem Bücherflohmarkt gefunden und wusste gleich: kein Gute-Laune-Buch, aber sicherlich gut. Als ich mich endlich aufgerafft habe, es zu lesen, entpuppte es sich als Page-Turner – mit Tiefenwirkung.

Sprachlich leicht und zugleich präzise, inhaltlich persönlich und zugleich politisch, erzählt Birgit Vanderbeke von häuslicher Gewalt – auch wenn das Mädchen, das sie erleidet, dies für ein vergleichsweise „kleines Pech“ hält im Vergleich zu Kriegen, Hunger und Vertreibung/Flucht.

Doch alle Geschichten von Gewalt und Krieg müssen erzählt werden. Sie werden erzählt, so oder so, zuerst durch den Körper, und wenn man Glück hat und eine/n, die/der zuhört, auch mit Worten.

Birgit Vanderbekes Mädchen hat dieses Glück, zunächst in Form ihrer eigenen Stimme aus der Zukunft (dem Beweis, das sie überleben wird, was ihr gerade widerfährt), und später in Gestalt des „Mikrochinesen“. Was es mit dem auf sich hat, müsst ihr schon selber lesen. Ich finde, es lohnt sich!

Gewalt gegen Kinder in Deutschland nimmt laut Kriminalstatistik eher zu als ab. 2017 sind in Deutschland 143 Kinder zu Tode geprügelt worden. Der Polizei wurden allein 2017 über 4000 Fälle von schweren Misshandlungen und über 13000 Fälle von sexueller Gewalt bekannt. Die vermutete Dunkelziffer ist riesig. Die Täter/innen sind in den meisten Fällen die eigenen Eltern oder nahe Verwandte. Im Internet gibt es mehr als 80000 Seiten mit Abbildungen von Gewalt gegen Kinder. (Quelle: Tagesschau). Auch hier gilt: nicht weg-, sondern hinschauen – und eingreifen. Das hat Birgit Vanderbeke mit diesem starken Buch noch einmal ganz deutlich gemacht, Handlungsanleitungen inklusive.