Und noch ein Update in eigener Sache: falls ihr meinen letzten Beitrag „Verstehen als Beziehungsarbeit“ nicht gefunden habt (ich hab ihn aus Versehen zunächst unter einem falschen Datum veröffentlicht), der richtige Link ist https://prinzessinkarl.wordpress.com/2020/05/16/verstehen-als-beziehungsarbeit/
Schlagwort: Erkenntnistheorie
Verstehen als Beziehungsarbeit
Unser Umgang mit einer neuen Krankheit, die sich pandemisch verbreitet, ist nicht anders als unser Umgang mit anderen ökologischen und ökonomischen Krisensituationen der letzten Jahrzehnte. Der bislang allerdings noch nirgends zu einer fundamentalen Wende geführt hat. Was fehlt?
Ich hatte ja von einiger Zeit schon versprochen, mal meine Arbeit „Erkenntnis als Kollateralschaden von Beziehungen“ hier hochzuladen. Gehindert hat mich daran bisher vor allem, dass ich nicht wusste, wie ich eine Verbindung herstellen könnte zu den Themen, die mich aktuell beschäftigen – und die eben auch mit Corona zusammenhängen.
So langsam allerdings dämmert mir etwas: Es sind im Kern dieselben Haltungen, die den Diskurs prägen, die mich immer wieder auf dieselbe Art verstören und die ich zunehmend für komplett untauglich halte. Sogar für desaströs. Ich meine einerseits die Vorstellung von objekthaften Wahrheiten (für die also keine Verantwortung zu übernehmen ist), und andererseits die Vorstellung von individueller Freiheit.
In „Erkenntnis als Kollateralschaden von Beziehungen“, einem Text der in Theoretischer Philosophie an der TU Darmstadt entstanden ist, geht es vorrangig um den ersten Bereich. Genauer gesagt um aktuelle Arbeiten feministischer Philosophinnen zur Frage nach der Beziehung zwischen uns und der Welt, und inwiefern die Art dieser Beziehung bereits vorgibt, was wir überhaupt für Erkenntnisse gewinnen können. Ihr werdet dort auch Vinciane Despret wiederfinden. Beispiele kommen aus der Genetik, der Verhaltensforschung und der Anthropologie.
Hier könnt ihr den Text lesen und runterladen: „Erkenntnis als Kollateralnutzen des Zusammenlebens“.
Auf vielleicht noch fatalere Art wird der öffentliche Diskurs immer wieder von einer Vorstellung individueller Freiheit geprägt, die es aus feministischer, ökologischer und sozialer Sicht hart zu kritisieren gilt. Hierzu entdecke ich gerade Wendy Brown, Politikwissenschaftlerin aus den USA (und außerdem Lebensgefährtin von Judith Butler, die hierzulande wohl bekannter ist). Eine ihrer Kernthesen ist, dass „individuelle Freiheit“ ein genuin neoliberales Konzept ist, das zudem unauflösbar mit Maskulinismus, Dominanz und Unterwerfung verbunden ist. Mehr dazu demnächst in diesem Blog!
Die richtigen Fragen stellen
Ein kurzweiliges und aufschlussreiches Buch über Verhaltensforschung an Tieren, von dem wir viel über Kommunikation und unseren Zugang zur Welt lernen können: Vinciane Desprets „Was würden Tiere sagen, würden wir die richtigen Fragen stellen?“.
Despret betreibt quasi Verhaltensforschung an Verhaltensforscher*innen und kommt zu dem Schluss, dass Tierversuche seit Konrad Lorenz häufig faktisch Verblödungsstrategien sind, weil den Tieren von vorne herein die Möglichkeit abgesprochen (und im grausamsten Fall genommen) wird, aus einem eigenen Wollen heraus zu handeln. So jedoch, belegt sie an ungezählten Beispielen, können wir eigentlich nie etwas substantiell Neues erfahren, sondern erhalten immer nur Bestätigungen für das, was wir an Vorurteilen schon mitbrachten. Ist das schlau?
Um einen kleinen Eindruck vom zu erwartenden Lektürespaß zu vermitteln, hier ein paar Kostproben. Das Buch enthält über 20 verschiedene Texte, die unabhängig voneinander gelesen werden können und Fragen stellen wie: Schließen Tiere Kompromisse?Sollte Betrug ein Beweis für richtiges Verhalten sein? Ist das, was Vögel machen, Kunst? Oder: Haben Pinguine ein coming out?
Unter dem Titel Können Tiere aufbegehren? zum Beispiel lesen wir die Geschichte von den Scheiße werfenden Affen. Aufmerksamen Wissenschaftlern war nämlich nicht entgangen, dass sich die Schimpansen, wenn sie ihnen zum ersten Mal gegenübertraten, der unerfreulichen Angewohnheit hingaben, sie mit Kot zu bewerfen. Jedoch, so schreibt Despret, bereitete diese Gewohnheit dieser Wissenschaft tatsächlich „den Königsweg zum Wissen“ und führte nach 20 Jahren gewissenhafter Beobachtung und Dokumentation zu einer bahnbrechenden Erkenntnis: Schimpansen sind bei dieser Tätigkeit in der Mehrzahl Rechtshänder. Was vielleicht eine bessere Forschungsfrage gewesen wäre, stand ja bereits im Titel.
Ich mochte diese Geschichte genauso wie die weniger plakativen. Es gibt traurige darunter, wie die von dem verwaisten kleinen Äffchen, dass beinahe gestorben wäre, weil die Anwesenden Menschen nicht auf die Idee kamen, dass ihm körperliche Nähe fehlen könnte. Es gibt grausame Geschichten, die zeigen, wie weit manche Menschen zu gehen bereit sind, um ihre eigenen Vorurteile bestätigt zu sehen, wie die von den Ratten im Labyrinth. Und daneben stehen zahlreiche Geschichten, die einfach nur zum Staunen und immer wieder auch zum Freuen sind.
Am Ende bleibt vielleicht die Erkenntnis, wie sehr das, was wir sehen, davon beeinflusst ist, was wir unserem Gegenüber zutrauen. Je enger das gefasst ist, desto dümmer bleiben wir.
Despret, Vinciane (2019): Was würden Tiere sagen, würden wir die richtigen Fragen stellen? Münster: Unrast. https://www.unrast-verlag.de/neuerscheinungen/was-wuerden-tiere-sagen-wuerden-wir-ihnen-die-richtigen-fragen-stellen-detail
Unter anderem dieses Buch hat übrigens eine philosophische Arbeit inspiriert, die ich unlängst geschrieben habe: Erkenntnis als Kollateralnutzen von Beziehungen. Ich werde sie euch demnächst hier vorstellen.
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