Passend zum Jahreswechsel eine Anekdote aus Brüssel. Wo die Europäische Kommission sich unter anderem von einer ganzen Abteilung professioneller „Hellseher*innen“ beraten lässt. Forecasting heisst das im modernen Management-Sprech. Klingt beinahe fantastisch. Aber was steckt dahinter?
Moderne Hellseher*innen befragen weder das Orakel von Delphi noch eine Kristallkugel, sondern – wie könnte es heutzutage anders sein – vor allem Daten. Daten aus der Vergangenheit, aus denen sie (oder die von ihnen angewendeten Algortihmen) etwas über mögliche Zukünfte lernen wollen.
Solche Algorithmen, die irgendwas aus einer großen Menge von Daten „lernen“ und daraus Vorhersagen über Zukünftiges und/oder Unbekanntes ableiten, stehen heute prinzipiell allen zur Verfügung. Wozu es dabei jedoch menschliche Intelligenz und eine Haltung braucht, ist …. genau genommen ALLES drumherum.
ALLES fängt mit der Zielsetzung an. Geht es darum herauszufinden, wie bestehende Unternehmen ihre Gewinne steigern könnten, oder wollen wir herausfinden, was wir tun können, um einen drohenden Klimakollaps zu verhindern?
Abhängig davon müssen die richtigen, dh. die für die Beantwortung dieser Frage relevanten Daten besorgt und aufbereitet werden. Hier ist die nächste Stelle, an der Diskriminierungen vorgenommen werden, und dies sollte besser bewusst getan werden.
Im nächsten Schritt werden wieder Weichen gestellt. Welche Rechenmodelle werden verwendet, um all die Daten in Modellen abzubilden, die dann eventuell Klassifizierungen unbekannter Daten oder Projektionen in die Zukunft erlauben? Gehen wir von gleichförmigen Entwicklungen aus? Wieviele und welche Einflussgrößen halten wir vorab schon für relevant? Für Zufälle ist zu diesem Zeitpunkt kaum noch Platz jenseits einer statistischen Wahrscheinlichkeit von Abweichungen.
Überhaupt: Abweichungen. Wie gehen wir damit um? Halten wir sie für nebensächlich und vernachlässigbar, oder sind sie nicht manchmal auch der wichtigste Ansatz für Veränderung?
Um es hier nicht zu lang zu machen: am Ende steht schließlich der Umgang mit den Ergebnissen. Und da habe ich einen dieser modernen Hellseher*innen in Brüssel etwas sehr Beeindruckendes sagen hören: Dass sein Selbstverständnis beinhalte, die schlimmsten möglichen Szenarien aufzuzeigen, um daraus ableiten zu können, was wir heute tun müssen, um ihr Eintreffen zu verhindern.
Das finde ich stark.
In diesem Sinne wünsche ich uns allen einen kritischen Blick in die Zukunft gepaart mit dem Willen, selbst anzupacken und sie besser zu machen!
Und wer immer als Hellseher*in auftritt, sollte Rechenschaft darüber ablegen, was seine/ihre Fragen, Ziele, Daten und Vorschläge sind.