Ich bin Mutter – Filmkritik

I am Mother…. Dieser Film, der im August in Deutschland anlaufen soll und gestern in der Preview lief, erfüllt immerhin ganz klar den Allison-Bechdel-Test. Mutter, Tochter, eine Fremde und die Jungfrau Maria, alles was wichtig ist in diesem Film wird unter Frauen verhandelt. Ansonsten gibt es aber leider nicht viel Neues.

Fünf Menschenleben hängen von einer Organtransplantation ab, ein weiterer Mensch kommt ins Krankenhaus, er hat vielleicht sowieso nicht mehr lange zu leben und mit seinen Organen könnten die fünf anderen gerettet werden. Du bist dieser sechste Mensch, und du bist die Ärztin. Was würdest du tun?

Es gibt keine Antwort auf diese Frage im Film. Aber geprüft wird auf Sicherheit oder Unsicherheit im Leben. Zu vermuten: Sicherheit ist besser als Unsicherheit. Und wer sicher ist, nimmt sich das Recht, im Namen des sicheren Guten andere für dieses Gute umzubringen. So wie die Mutter, in diesem Film ein Android mit sanfter weiblicher Stimme.

Doch ein Mensch, in diesem Fall die Tochter, wird allen Erziehungsversuchen zum Trotz irgendwann erwachsen, und will eigene Entscheidungen treffen. Sie will alles wissen, was zu ihrer Welt gehört, und nicht nur ausgewählte Ausschnitte davon kennenlernen. Je mehr ihr vorenthalten wird, desto interessanter ist das Andere. Und die Tatsache, dass ihr etwas vorenthalten wird, zerreisst das Vertrauen, das sie bis dahin an ihre Mutter band.

Kein Spoiler, aber die Welt draußen ist natürlich auch kein Ponyhof…

… am Ende bleibt das Ganze aber eher ein Coming Of Age Film vor SF-Kulisse als ein Action Drama oder gar ein ernstzunehmender, inhaltlich neuer Beitrag zum Genre. Schade!

Die Veränderung, die du dir wünschst

Was, wenn an dem Ort, den du liebst, Aliens landen würden, die alle in das verwandeln könnten, was sie gern wären?

Würde sich die Natur rächen für das, was wir Menschen ihr angetan haben? Wie lange würde es dauern, bis Rache und Gewalt sich ausgetobt hätten? Gäbe es ein Danach? Würde alles ins Chaos stürzen?

Die in den USA geborene Autorin Nnedi Okorafor, deren Eltern aus Nigeria sind, hat dieses Szenario in ihre Lieblingsstadt Lagos gelegt und mit Hilfe einer Spinne einen Comic-haften Roman daraus gewoben: Lagune, erschienen 2016 im Cross-Culture-Verlag.

Insgesamt ein starkes und inspirierendes Buch, das das, was ist, nicht beschönigt, aber dann alles an Fantasie, Superheld*innenkräften und Explizitheit aufbietet, um es zu überwinden. Gewalt gegen Frauen wird bestraft – und die Gewalt gegen LGBTTI* hoffentlich eines Tages auch. Betrug, Korruption und Verbrechen gegen die Umwelt – nichts kann bleiben, wie es ist. Die fremden Wesen sind vor allem eins: Veränderung.

Nnedi Okorafor erzählt aus einer klar nicht-männerdominanten Perspektive, womit ich folgendes meine:

  • Eine Frau als Protagonistin – gleichberechtigt neben Männern, die Gewalt gegen Frauen klar ablehnen. Andere Männer sind keine Sekunde lang Sympathieträger.
  • Die Botschafterin der Aliens erscheint (meist) in Gestalt einer Frau.
  • Auch weibliche Nebenfiguren haben eigene Geschichten und ein eigenes Standing.
  • Besondere Lebensbedingungen von Frauen werden erkannt und benannt.
  • Von der Norm abweichende und auch nicht-menschliche Wesen kommen als Leidens- und entscheidungsfähige Subjekte vor, und die Gewalt, der sie aktuell in der (hier nigerianischen) Gesellschaft ausgesetzt sind, als brutal und ignorant erlebbar.

So könnten natürlich auch Menschen schreiben, die sich nicht als Frau definieren – sie tun es aber leider immer noch VIEL zu selten.

Nnedi Okorafor: Lagune. Cross Cult Verlag, 2016.

Die Entdeckung dieses Buchs verdanke ich Marion und ihrem Blog schiefgelesen.net . Für solche Anregungen lese und schreibe ich Blogs. Folgt uns und gebt weiter, was ihr gut findet, damit wir auch morgen noch Bücher lesen können, die es nicht auf den Wühltisch bei Thalia schaffen!

Loblieder auf weiblichen Ungehorsam

Von Naomi Alderman werden wir sicherlich noch einiges hören in 2018. Morgen, am 12.2. erscheint die deutsche Übersetzung ihres feministischen Sciene Fiction Romans The Power (auf deutsch: Die Gabe), über den ihre Mentorin Margret Atwood sagt: „Electrifying! Shocking! Will knock your socks off! Then you’ll think twice, about everything“. Ende April kommt die Verfilmung ihres Debütromans Disobedience (auf deutsch: Ungehorsam) ins Kino. Letzteren habe ich gerade gelesen. Und zwar extrem gerne.

Jetzt, wo ich ihn weglege, habe ich einiges über jüdisch-orthodoxes Leben gelernt – aus der Perspektive von Frauen und noch spezieller: von Lesben. Ich mochte die Sprache und das intellektuelle Selbstbewusstsein, mit dem religiöse Traditionen hinterfragt wurden, deren Wirkungen auch in andere Welten hineinreichen. Und ich lebte mit den Figuren und wünschte mir einen guten Ausgang aus ihrer schmerzhaften und sich lange zuspitzenden Lage.

Naomi Alderman, Engländerin Jahrgang 1974, wuchs selbst in einem jüdisch-orthodoxem Umfeld auf. Ein Umfeld, in dem Heiraten und Kinderkriegen religiöse Pflichten sind und Homosexualität ein Tabu. In Disobedience (Ungehorsam) erzählt sie vor diesem Hintergrund von zwei Frauen, die eine Liebesgeschichte verbindet. Die eine, Ronit, lebt inzwischen in New York, hat einen guten Job, einen verheirateten Liebhaber, ein paar oberflächliche Freundschaften und eine Therapeutin. Die andere, Esti, ist in der jüdisch-orthodoxen Gemeinde im Norden Londons geblieben, in der beide aufgewachsen sind. Und hat geheiratet. Der Tod von Ronits Vater bringt beide wieder zusammen. Beide sind nun gezwungen, sich noch einmal mit ihrem lesbischen Begehren und den Reaktionen ihrer Umwelt auseinanderzusetzen. Dies geschieht behutsam und aus verschiedenen Perspektiven. Und nebenbei entsteht ein Gefühl davon, wie diese Welt riecht, schmeckt und tickt, in welchem Rhythmus sie sich bewegt.

Analog zu diesem Rhythmus sind den einzelnen Kapiteln des Buches Zitate aus religiösen Texten vorangestellt, die im Anschluss ausgelegt und diskutiert werden. In orthodoxen Kreisen eigentlich eine den Männern vorbehaltene Aufgabe. Naomi Alderman rebelliert gegen diese Entmündigung und ging dabei so weit, dass sie mit Fertigstellung des Romans aufhörte, sich als religiös zu bezeichnen. “I went into the novel religious and by the end I wasn’t. I wrote myself out of it.”, zitiert The Guardian. Respekt.

Die fundierte Auseinandersetzung mit den Grundfesten des jüdisch-orthodoxen Menschenbilds (von dem wir vieles auch in der christlichen Tradition wiederfinden) regt aber auch unabhängig von Religion zum Nachdenken über die eigene Existenz an. Großes philosophisches Kino, um mal wieder flapsig zu sein.

A Propos Kino. Der Trailer gibt für mich eine ganz andere Stimmung wieder als ich sie lesend erlebt habe. Er wirkt klischeehaft altbacken mit seinen düsteren Farben, den dicht aufeinander folgenden dramatischen Dialogen. Die Sprache des Buches habe ich als viel moderner und bunter empfunden, mit genug Raum für Betrachtung und Sinnlichkeit. Es wäre extrem schade, wenn das im Film verloren ginge und der Inhalt des Romans auf die reine Handlung reduziert würde. Aber einen Versuch wird es wohl trotzdem wert sein, mal wieder ins Kino zu gehen.

Auf Naomi Alderman bin ich übrigens durch die interessante Reihe Women in SciFi auf bingereader.org aufmerksam geworden, wo Miss Booleana „Die Gabe“ vorgestellt hat – danke dafür!