Jemand hätte sie einmal in den Arm nehmen müssen. Ein Buch zum Muttertag.

“Okaasan – meine unbekannte Mutter“ heißt das 2010 erschienene Buch von Milena Michiko Flašar. Die 1980 geborene Autorin erzählt darin von einer Tochter, die ihre demente Mutter beim Sterben begleitet und ihr dabei noch einmal ganz neu begegnet. Außerdem begegnet sie in dieser Situation vielen anderen Menschen, die ihr vom Sterben ihrer Mütter erzählen, und, in einem zweiten Teil, schließlich der Mutter aller Mütter.

Der erste Teil begeisterte mich sofort durch seine sehr genaue und zugleich zarte Sprache. Sie erinnerte mich an die sehr intensive Zeit, als meine Mutter starb, in der jeder Moment eine viel tiefere Bedeutung hatte, Achtsamkeit das Gebot der Stunde war und Kleinlichkeit keinen Platz mehr hatte. In der, wie in dem Buch, eine wieder entdeckte Liebe den Grundtenor gab.

Diese Behutsamkeit, auch der Leserin gegenüber, geht im zweiten Teil leider vollständig verloren. Nach dem Tod der Mutter reist die Tochter, einer Art Schicksalswink folgend, in ein indisches Ashram. Was nun folgt ist eine Art Erleuchtungstagebuch. Ob das inhaltlich interessant ist, muss jede selbst entscheiden, sprachlich jedenfalls war es für mich ab da mit dem Genuss zu Ende. Was ich sehr sehr schade fand, denn die Autorin kann es besser!

Ich empfehle das Buch bedingungslos für seinen ersten Teil, in den ich euch jetzt noch kurz reinhören lasse. Der zweite Teil muss ja nicht gelesen werden!

Von ihren Geschwistern wurde Miyuki M. die Mondprinzessin genannt und sie meinten es durchaus ernst damit. Ihnen war aufgefallen, dass ihre Schwester sich von ihnen unterschied und dass ihre Seele von einer untypischen Schüchternheit war, so wie die eines flüchtigen Reisenden, der nicht vorhat, länger zu bleiben. Aus bravem Anstand fanden sie es bedenklich, dass jemand sich auf dieser Erde nicht zu Hause fühlte, und ließen sie ihr Befremden mit der üblichen Grausamkeit einer zahlenmäßig überlegenen Mehrheit spüren.

Aus “Okaasan – meine unbekannte Mutter“ von Milena Michiko Flašar

Milena Michiko Flašar hat inzwischen weitere Bücher geschrieben ¬ ich bin gespannt!

Nicht vergessen: #supportyourlocalbookstore !

Ich packe meinen Koffer…

Simone Hirth (Jahrgang 1985) lässt in ihrem gerade erschienenen Roman Bananama ein Mädchen sprechen, das noch keine zehn Jahre alt ist und mit ihren Aussteiger-Eltern völlig isoliert vom Rest der Welt irgendwo auf dem Land lebt. Die Eltern haben beide einen gewaltigen Hau. Die Mutter fängt zigtausend Sachen an, darf dabei nicht gestört werden und macht dennoch nichts zu Ende, weil sie „gerade nicht den Kopf dafür frei“ hat. Der Vater fährt ständig zu Tauschbörsen und vermittelt sein aus dem Internet zusammengeklaubtes Halbwissen, verwurschtelt mit einer ziemlich halbgar anmutenden Ideologie, in unerschütterlicher Borniertheit an die Tochter. Die natürlich auch nicht in die Schule gehen darf. Gefühle, Erfahrungen, Widersprüche werden unter den Tisch gekehrt. Keine Geschwister, keine Freundinnen, keine Oma, kein Haustier: die Einsamkeit des Mädchens ist abgrundtief und allumfassend.

Das Kind entwickelt notgedrungen seine eigenen Strategien, sich unter diesen Rahmenbedingungen zurechtzufinden. In diese Entwicklung gehört auch die Aneignung von Sprache. Doch wo Wort und Erleben nicht zusammenpassen, ist das Wort vergiftet. Dafür schenkt uns die Autorin eindrückliche Bilder. So wird das Kind zu Anfang allerlei Wörter begraben – in Einmachgläsern unter dem großen Walnussbaum. Dort landen zum Beispiel die Angst und das Mitleid. Später wird immer wieder etwas in erdachte Koffer gepackt, in der Vorahnung eines Aufbruchs, als Proviant für ein eigenes Leben. Das ist toll und sehr nachvollziehbar.

Gefehlt hat mir bei alledem aber leider: Dynamik. In Überschriften werden zwar immer wieder Ereignisse in Aussicht gestellt, aber die geweckten Erwartungen werden regelmäßig enttäuscht. Vielleicht soll es uns als LeserInnen nicht anders gehen als dem Kind in der Erzählung? Die ihr hier eintretet, lasset alle Hoffnung fahren? Bitter.

Auch das Ende hat mich nicht ganz überzeugt, kam für mich unvermittelt und viel zu knapp daher. Ich hätte mir mehr Zeit gewünscht, um mich zu verabschieden. Begraben.

Aus diesem Buch packe ich jedoch in meinen Koffer: die Gabe der Beobachtung und den Drang, sich selbst einen Reim auf die Welt zu machen, als Keim der Rebellion.

Den wunderschönen Einband hat Christine Fischer gestaltet.

Loblieder auf weiblichen Ungehorsam

Von Naomi Alderman werden wir sicherlich noch einiges hören in 2018. Morgen, am 12.2. erscheint die deutsche Übersetzung ihres feministischen Sciene Fiction Romans The Power (auf deutsch: Die Gabe), über den ihre Mentorin Margret Atwood sagt: „Electrifying! Shocking! Will knock your socks off! Then you’ll think twice, about everything“. Ende April kommt die Verfilmung ihres Debütromans Disobedience (auf deutsch: Ungehorsam) ins Kino. Letzteren habe ich gerade gelesen. Und zwar extrem gerne.

Jetzt, wo ich ihn weglege, habe ich einiges über jüdisch-orthodoxes Leben gelernt – aus der Perspektive von Frauen und noch spezieller: von Lesben. Ich mochte die Sprache und das intellektuelle Selbstbewusstsein, mit dem religiöse Traditionen hinterfragt wurden, deren Wirkungen auch in andere Welten hineinreichen. Und ich lebte mit den Figuren und wünschte mir einen guten Ausgang aus ihrer schmerzhaften und sich lange zuspitzenden Lage.

Naomi Alderman, Engländerin Jahrgang 1974, wuchs selbst in einem jüdisch-orthodoxem Umfeld auf. Ein Umfeld, in dem Heiraten und Kinderkriegen religiöse Pflichten sind und Homosexualität ein Tabu. In Disobedience (Ungehorsam) erzählt sie vor diesem Hintergrund von zwei Frauen, die eine Liebesgeschichte verbindet. Die eine, Ronit, lebt inzwischen in New York, hat einen guten Job, einen verheirateten Liebhaber, ein paar oberflächliche Freundschaften und eine Therapeutin. Die andere, Esti, ist in der jüdisch-orthodoxen Gemeinde im Norden Londons geblieben, in der beide aufgewachsen sind. Und hat geheiratet. Der Tod von Ronits Vater bringt beide wieder zusammen. Beide sind nun gezwungen, sich noch einmal mit ihrem lesbischen Begehren und den Reaktionen ihrer Umwelt auseinanderzusetzen. Dies geschieht behutsam und aus verschiedenen Perspektiven. Und nebenbei entsteht ein Gefühl davon, wie diese Welt riecht, schmeckt und tickt, in welchem Rhythmus sie sich bewegt.

Analog zu diesem Rhythmus sind den einzelnen Kapiteln des Buches Zitate aus religiösen Texten vorangestellt, die im Anschluss ausgelegt und diskutiert werden. In orthodoxen Kreisen eigentlich eine den Männern vorbehaltene Aufgabe. Naomi Alderman rebelliert gegen diese Entmündigung und ging dabei so weit, dass sie mit Fertigstellung des Romans aufhörte, sich als religiös zu bezeichnen. “I went into the novel religious and by the end I wasn’t. I wrote myself out of it.”, zitiert The Guardian. Respekt.

Die fundierte Auseinandersetzung mit den Grundfesten des jüdisch-orthodoxen Menschenbilds (von dem wir vieles auch in der christlichen Tradition wiederfinden) regt aber auch unabhängig von Religion zum Nachdenken über die eigene Existenz an. Großes philosophisches Kino, um mal wieder flapsig zu sein.

A Propos Kino. Der Trailer gibt für mich eine ganz andere Stimmung wieder als ich sie lesend erlebt habe. Er wirkt klischeehaft altbacken mit seinen düsteren Farben, den dicht aufeinander folgenden dramatischen Dialogen. Die Sprache des Buches habe ich als viel moderner und bunter empfunden, mit genug Raum für Betrachtung und Sinnlichkeit. Es wäre extrem schade, wenn das im Film verloren ginge und der Inhalt des Romans auf die reine Handlung reduziert würde. Aber einen Versuch wird es wohl trotzdem wert sein, mal wieder ins Kino zu gehen.

Auf Naomi Alderman bin ich übrigens durch die interessante Reihe Women in SciFi auf bingereader.org aufmerksam geworden, wo Miss Booleana „Die Gabe“ vorgestellt hat – danke dafür!

Als Kind in Wackersdorf, mit 30 an der Kasse

Nachdem ich jetzt mehrere Bücher wieder weggelegt habe (u.a. Zadie Smith weil mich das Leben mit einer POP-Ikone auf Dauer langweilt, Lauren Groff weil zu hetero, Eva Dolan weil die politisch aktive junge Frau einem Widerling verfallen ist, der sie mies behandelt), habe ich endlich mal wieder ein Buch zum verschlingen entdeckt: „Das wussten wir schonvon Noemi Schneider.

An der Kasse keines gewöhnlichen, sondern natürlich eines verpackungsfreien Supermarkts treffen wir die Ich-Erzählerin dieses äußerst kurzweiligen und frechen Romans. Eigentlich ist sie Filmemacherin, nur ist Kultur halt eben auch ein Business, in das sie irgendwie nicht reinpasst mit ihren Ideen.

Ihre Mutter, deren Mitgefühl für Flüchtlinge größer zu sein scheint, als das Mitgefühl für die eigene Tochter, überlässt ihr Gartenhaus einem von der Abschiebung bedrohten Salafisten just in dem Moment, als die Erzählerin sich ihre Wohnung nicht mehr leisten kann. Von da aus nimmt eine Geschichte ihren Lauf, die der deutschen Mittelschicht aller Altersstufen sowie sozialen und Mainstream-Medien den Spiegel vorhält und dabei nicht mit wundervoll bizarren Szenen geizt.

Aus Sicht der in den 1980ern geborenen Kinder erleben wir eine politisch linksorientierte und inzwischen gut situierte und selbstgerechte Elterngeneration, die die emotionale Befindlichkeit und die Lebenswirklichkeit ihrer Kinder kaum wahrnimmt. Trotzdem handelt es sich hier nicht um eine überhebliche Abrechnung mit allem, was den Kindern da hinterlassen wird. Stattdessen ist immer spürbar, wieviel Sympathie und Einverständnis die Tochter den Ansichten ihrer immer noch aktiven Mutter in vielen Aspekten entgegenbringt. Und wieviel anarchistische Freude an unkonventionellen Lösungen sie doch geerbt hat. Am Ende gilt es, dieses Erbe in die Gegenwart zu übertragen und den Missständen der Gesellschaft, so wie die jüngere Generation sie antrifft, mit zeitgemäßen Mitteln und auf eigene Art entgegenzutreten. Eine gewisse Distanz allerdings bleibt. Nachvollziehbar.

Wenn ihr hören wollt, wie das klingt: hier liest die Autorin selbst:

… und wenn ihr jetzt noch mehr Motivation braucht: Barbara Junge von der taz war auch ganz begeistert und hat Noemi Schneider 2017 auf der Leipziger Buchmesse getroffen:

Ich habe schon jetzt keine Lust, ne nette Omi zu sein!

Mit wem willst du frühstücken? Mit wem willst du fernsehen? Kreativ sein? Dein Leben verbringen? Das sind wichtige Fragen, und wenn du auf alles nur sagen kannst: Ich kann es mir nicht aussuchen, dann bist du entweder im Gefängnis oder im Altenheim.

Unmissverständlich: Anita Augustin ist zornig. Zornig über den Umgang mit alten Menschen in unserer Gesellschaft, zornig über die Bilder, die Jüngere von „Seniorinnen und Senioren“ entwerfen, zornig über das Romantisieren, wie es in letzter Zeit immer mal wieder vorkommt: die liebe Oma, die ihre Enkel hütet und Lebensweisheiten vermittelt, der Opa, der noch einmal das ganz große Abenteuer wagt. Schön für die, die das können, aber was ist mit denen, die keine Lust haben, eine nette Omi zu sein, oder die es schlicht nicht können?

„Der Zwerg reinigt den Kittel“ ist eine bitter-sarkastische Gewaltphantasie, geboren aus Empörung und Wut, die eine angesichts der Zustände in den „Menschenmülldeponien“ unserer Gesellschaft überkommen können. Die kettenrauchende Rentnerin, aus deren Sicht hier erzählt wird, bewahrt sich allerdings eines bis zum Schluss: ihren Witz und die Kontrolle darüber, wie ihre Geschichte erzählt wird. Ein letzter Rest ihrer Autonomie.

„Menschenmüll “ ist ein Zitat aus diesem ungewöhnlichen Buchtrailer, in dem die Autorin sich, ihr Handwerk und das Buch vorstellt:

„Der Zwerg reinigt den Kittel“ ist Punk, und wem Punk gut tut, weil manches einfach nicht anders zu kommentieren ist als kotzend, und nicht anders zu ertragen als in Gemeinschaft mit anderen, die auch ungefiltert Scheisse brüllen können, dem oder der wird auch dieses Buch „gefallen“. Und dann kannst du hin und wieder auch lachen.

Rassismus am Roten Fluss

Muss mir erstmal Staub und Weizenspreu aus den Klamotten klopfen: Anders als die Figuren in Katie hat Cash, die Protagonistin des 2017 erschienenen Romans Am roten Fluss mich komplett in ihre Welt mitgenommen.

Cash, wie ihre Autorin Marcie Rendon Stammesangehörige der Anishinabe White Earth Nation, ist ein touhges junges Weib: mit 19 Jahren hat sie bereits gelernt, sich gegen Widerstände und Ungerechtigkeiten im Leben alleine durchzuschlagen. Den Zumutungen weiblicher Rollenbilder der Weißen hat sie sich früh entzogen, lieber hält sie mit den Kerlen mit, die sich in dieser Region der USA sämtlich als Farmarbeiter verdingen. Wir sind in den 1970er Jahren. Es riecht nach Weizen und harter Arbeit, und immer wieder auch nach abgestandenen Bieren und Rauch in den Bars, in denen Cash ihren Feierabend am Billardtisch verbringt. Country-Musik ist zu hören und ein rauer Umgangston, mal eher kumpelhaft und respektvoll, mal voller Verachtung für diese ungewöhnliche junge Frau. Mit Cash fahre ich im Pickup endlose, gerade Straßen entlang, genieße die friedlichen Momente dieser Fahrten und sehe dabei riesige, fruchtbare Anbauflächen vorüberziehen und den baumgesäumten Lauf des Roten Flusses, der das Land durchzieht und nährt. Es ist, als wäre ich tatsächlich dort gewesen.

Mich für ein paar Stunden völlig in diese mir bis dahin ganz unbekannte Welt hineinzuziehen, ist der erste große Verdienst der Autorin und des ÜbersetzerInnen-Duos (Laudan&Szelinski).

Dann wird die Leiche eines indianischen Landarbeiters gefunden und Cash von einer inneren Stimme direkt zu dessen Familie gerufen. Was sie dort erlebt, hat zu viele Parallelen zu ihrer eigenen Kindheit, als dass es sie kalt lassen könnte: Armut, Alkoholismus und eine drohende Zwangs-Inobhutnahme der Kinder. Was das bedeutet, weiß Cash aus eigener Erfahrung: den Verlust von Heimat, familiären Beziehungen und kultureller Verwurzelung, Rassismus, Misshandlungen und Ausbeutung in weißen Pflegefamilien, Einsamkeit, Einsamkeit. Das ist auch das große Thema des Romans, die Aufklärung des Mordes passiert – so empfand ich es – mehr so nebenbei.

Der zweite Aspekt, für den ich Marcie Redon also danken möchte: hier wird ein politisches Thema nachvollziehbar, nämlich welche Traumata durch die Politik der USA gegenüber der indigenen Bevölkerung über Generationen hinweg entstanden sind. Die Autorin gibt in einem Nachwort Hinweise, wo Betroffene und UnterstützerInnen weitere Informationen zum Thema finden können. Unter Donald Trump wird dies weiterhin dringend nötig sein.

Zu guter Letzt verdanke ich dem Buch die Anregung für meinen nächsten Blogartikel. Bleibt also dran!

Aufgegeben. Über mich und Katie.

Die Rezension eines Buchs sagt wahrscheinlich mindestens so viel über die, die sie schreibt, wie über das Buch selbst. Mir zum Beispiel fehlte einfach die Geduld für Katie, den neuen Roman von Christine Wunnicke, auf den ich über die SWR Bestenliste gekommen bin. Kurz vor Seite 100 von 176 habe ich aufgegeben.

Bis dahin ist es der Autorin nicht gelungen, mich für eine der handelnden Personen tiefer zu interessieren. Ich fand sie alle relativ unsympathisch, irgendwie herzlos, habe ihre Motive nicht verstanden. Die Beschreibung der aus heutiger Sicht teilweise hanebüchenen Theorien und slapstickhaft überzeichneten Vorgehensweisen der (männlichen) Wissenschaftler im 19. Jahrhundert war zwar mitunter extrem lustig, aber alleine nicht genug, um mich bei der Stange zu halten. Dabei ist die Grundidee bestechend: Aus der Distanz zu zeigen, wie gründlich wissenschaftliche Theorien sich eines Tages als absurd erweisen können und wie wenig sie sich in der Rückschau manchmal von vermeintlicher Esoterik unterscheiden.

Was sagt das nun über mich? Dass Themen zwar mein Grundinteresse an einem Buch triggern können, dass ich aber auch mit Herz und Gefühl dabei sein möchte. Das heißt für mich zum Beispiel, die Personen so sehr zu mögen oder so faszinierend zu finden, dass ich mit ihnen mitfiebere, in eine fiktive Welt so organisch einzutauchen, dass ich sie nur ungern wieder verlassen möchte, auf sich (mir) stellende Fragen unbedingt eine Antwort finden zu wollen, süchtig nach der Sprache zu werden. Nichts davon war bei Katie so richtig der Fall.

„Es liest sich wie eine Übersetzung aus dem 19. Jahrhundert“, sagt Daniela Strigl bei der Buchvorstellung im SWR und findet das – im Gegensatz zu mir – gut. Vielleicht muss eine viktorianische Literatur lieben, um diesen Roman zu mögen oder zu verstehen? Dann oute ich mich hier als eine, die dies nicht tut.

Kein besser, kein schlechter, aber da mich niemand dafür bezahlt oder dazu zwingt, Bücher zu Ende zu lesen, die ich nicht mag, tue ich es auch nicht. Selbst wenn ich so nie erfahren werde, ob Katie nicht doch auch mich noch hätte verführen können.

Komischer Kauz – von Vögeln statt vom Vögeln

Die deutschsprachige Autorin Marjana Gaponenko (Jahrgang 1981, geboren in der Ukraine) stellt uns einen komischen Kauz vor. Der Roman „Wer ist Martha?“ lässt uns an seinem Abgang aus dieser Welt teilhaben. Luka Lewadski, jetzt 96 Jahre alt, hat sich schon als Jugendlicher entschieden, dem schnöden und schmerzhaften Zwischenmenschlichen den Rücken zu kehren und sich lieber mit Vögeln zu befassen, worin er es tatsächlich zu einiger Meisterschaft gebracht hat. Als sein Arzt ihm mitteilt, dass er Lungenkrebs hat, beschließt er, seine Ersparnisse und seinen guten Namen zu nutzen, um die letzten Tage seines Lebens nicht im Krankenhaus, sondern in der Luxussuite des besten Wiener Hotels zu verbringen – bezahlen wird er am Ende ohnehin mit dem Leben. Diese mutige und verschmitzte Entscheidung zusammen mit seiner Vogelverrücktheit macht ihn sympathisch, auch wenn er ansonsten ein ziemlich überheblicher Misanthrop zu sein scheint. Und so wollte ich wissen, wie es ihm denn nun in seinen letzten Tagen ergeht. Und wer zum Teufel Martha ist.

Spoiler: die Vogelperspektive auf sein Leben bleibt ihm wie uns letztendlich verwehrt, Erinnerungen und Bilanzen bleiben ausschnitt- und flatterhaft, am Ende lesen wir wie im Fieber ins Nichts hinein und wissen nicht mehr, ob wir uns in Realität, Fiktion oder Traum befanden. Ich zumindest bleibe verwirrt zurück, und unzufrieden. Als fehlte etwas am Schluss.

Dazwischen: eine reiche Sprache, Wissenswertes und Kurioses über Vögel, ein bißchen Musikgeschichte und ein paar wenige, aber sehr zarte Begegnungen, die andeuten, was ihm als Misanthrop entgangen sein könnte im Leben.

Ich suche ja immer wieder leidenschaftlich nach Frauen, die schreiben können und mir etwas zu sagen haben. Bei Marjana Gaponenko finde ich ersteres, aber bewegt hat das Buch nichts in mir. Sauschade eigentlich. Und ein bißchen im Widerspruch dazu, dass sie von sich selbst in einem Interview sagt, sie schreibe, weil sie sich für die Zusammenhänge dieser Welt interessiert. Habe ich etwas übersehen? Oder ist das Buch einfach nicht für mich?

Stattdessen mache ich mir Gedanken, warum Frauen, die es im Literaturbetrieb zur Veröffentlichung in einem großen Verlag, zu Besprechungen in renommierten Medien und zu dem einen oder anderen Preis schaffen, in ihrem Werk so scheinbar regelmäßig Männern die größte Aufmerksamkeit zukommen lassen. Wäre diese Geschichte anders geworden, wenn die Protagonistin weiblich gewesen wäre? Falls ja, inwiefern? Und hätte das Buch dann dieselbe Beachtung gefunden? Das würde ich die Autorin zu gerne persönlich fragen.

Mensch Jungs, ihr blickt doch gar nix….

In dem wundervollen Kurzroman „Die Kieferninseln“ von Marion Poschmann führen uns zwei sehr von sich selbst überzeugte Männer vor, wie Leben nicht geht, und das ist mitunter brüllend komisch. Während der eine sämtlichen Ehrgeiz in eine möglichst stilvolle Vernichtung seiner selbst steckt, prahlt der andere mit der Entdeckung einer Welt, von der er nie etwas anderes bemerkt als die Diskrepanz zu seinen eigenen Vorstellungen. Die Frau soll sich das alles anhören und ihm über die so erzeugte Einsamkeit hinweghelfen, Rederecht bekommt sie nicht.

Wenn eine Frau eine solche Geschichte so schreibt, dann hat sie – zumindest intellektuell – diese Art Mann und diese Art Beziehung weit hinter sich gelassen. Das ist aber nur eine Ebene des Vergnügens. Die Bilder, mit denen sie uns zeigt, wie es um ihre Protagonisten bestellt ist, sind frisch und skurril, eigen genug, um zu bleiben. Die Sprache, in der sie zu uns sprechen, ist ebenso punktgenau entlarvend wie die äußere Handlung. Die Beschreibung der Schauplätze (Japan, zwischen Tokio und den namensgebenden Kieferninseln) in sich schon ein Genuss. Marion Poschmann kann Roman.

https://www.suhrkamp.de/buecher/die_kieferninseln-marion_poschmann_42760.html

So könnte es gehen!

Die australische Künstlerin Alex Martinis Roe hat am Samstag im Badischen Kunstverein Karlsruhe, wo sie noch bis zum 26.11.2017 zu sehen ist, Ergebnisse einer kollaborativen Arbeit präsentiert. Thema der Arbeit: Welche kollektiven Praktiken kennzeichnen feministische Bewegungen? Um nach vorne zu denken, hat sie im Rahmen ihrer Ausstellung zu einem Workshop eingeladen und Feminist*innen aus Karlsruhe gebeten, jeweils in Zweiergruppen Vorschläge zu erarbeiten. Diese sollten Praxen gegenseitiger Unterstützung benennen, die Unterschiede überbrücken helfen und gleichzeitg einem gemeinsamen Ziel verpflichtet sind. Dabei sollten die Workshop Teilnehmer*innen von ihren eigenen Erfahrungen und Bedürfnissen ausgehen. Heraus kamen ein paar, wie ich finde, relativ leicht umsetzbare Ideen, die nicht nur im feministischen Kontext interessant sind:

# Lasst uns anderen gegenüber aufmerksam, respektvoll und in unseen Folgerungen vorsichtig sein. Das können wir zeigen, indem wir das, was wir hören, in eigenen Worten wiedergeben und hinterfragen, ob wir es richtig verstanden haben!

# Lasst uns konkret und nicht überheblich sein und anhand persönlicher Beispiele erklären, wie wir zu unseren Ansichten gelangt sind.

# Lasst uns eine neue Form des Feedbacks ausprobieren, um die patriarchalen Strukturen in uns selbst zu erkennen und zu ändern: Sucht euch eine Partnerin, die euer Verhalten in der Gruppe beobachtet und euch hinterher solidarisch und konstruktiv Feedback dazu gibt.

# Lasst uns uns gegenseitig unterstützen, indem wir andere in schwierigen Angelegenheiten coachen! Und selbst auch andere darum bitten, dies für uns zu tun!

Alex Martinis Roe hat mich total beeindruckt mit ihrer Klarheit, ihrer Verbundenheit zu feministischen Kollektiven in verschiedenen Teilen der Welt und dem deutlich spürbaren Wunsch, etwas in Bewegung zu bringen. Möge ihr und ihrer Arbeit Erfolg beschieden sein!

Und mögen wir uns davon inspirieren lassen!