Lern doch erstmal Deutsch, bevor du Frauen vergewaltigst.

Heute Abend am Baggersee. Ich allein auf der Suche nach Erfrischung und Feierabendentspannung. Und wie ich da so sitze, nackt in einer kleinen Bucht, und den Fröschen beim Quaken zusehe, kommt plötzlich aus dem Wasser etwas angeröchelt. Es handelt sich um einen Mann. Keinen ertrinkenden, wie die Geräusche, die er von sich gibt, zunächst glauben machen könnten (wenn eine mal nicht gleich misstrauisch sein will), sondern einen wichsenden. Der mich unverhohlen anstarrt und Anstalten macht, genau vor mir anzulanden (wo er nicht herkam, denn seine Sachen liegen hier nicht). Ich empfinde das als Angriff. Stehe auf, wickel mir mein Tuch um und raffe geschwind mein Zeugs zusammen, diese Bucht ist mir eindeutig zu abgelegen um allein mit ihm sein zu wollen. Schon ist er direkt vor mir. Ich so:“Verpiss dich!“ Und gleichzeitig drei Schritte auf den Weg, der hier vorbeiführt. Da sind noch Leute, gerade am Gehen. Der Typ bleibt stehen, und ich gehe los, auf dem Weg in Richtung menschlicher Stimmen.

Die Stimmen kommen von Leuten, die immer hier sind. Seit 30 Jahren, wie ich später erfahren werde. Ich sage ihnen, dass ich ihr Nähe suche, weil da “so ein komischer Typ“ ist. Sie wissen sofort, wenn ich meine. Und dann geht es los: Ja, “der schleicht hier schon seit zwei Tagen rum“, “der gehört nicht hierher“, und dann: “ein Polacke, der soll erstmal Deutsch lernen“…

Ich bin sprachlos. Einerseits total froh, weil ich mich jetzt sicherer fühle, andererseits kein Bock, Anlass für fremdenfeindliches Sprücheklopfen zu sein.

Ein bisschen versuche ich dann doch noch, diese Leute mal dran zu erinnern, dass auch sie fast überall fremd sind und “nicht hingehören“, und dass das eine (fremd sein) nicht ursächlich mit dem anderen (Frauen belästigen) zu tun hat.

Im Nachhinein kommt es mir aber doch ein bisschen absurd vor, mit Leuten diskutieren zu müssen, die in so einer Situation meinen, der Mann müsse erstmal Deutsch lernen!

*Ganz großes Kopfschütteln*

Eine lesbische Liebesgeschichte aus dem Iran

Lieben dürfen, wen ich will. Leben dürfen, mit wem ich will. Wen kann das – und aus welchen Gründen – stören? Leider genügt es nicht, einfach den Kopf zu schütteln über dererlei Meinungsterrorismus. Denn oft genug ist er gepaart mit Macht – kultureller, politischer und im schlimmsten Fall staatlicher Macht. So zum Beispiel im Iran, wo (Stand heute) Menschen aufgrund ihrer gleichgeschlechtlichen Liebe getötet werden.

Deborah Ellis, eine kanadische Psychotherapeutin, die mit Geflüchteten arbeitet, hat in ihrem Buch „Wenn der Mond am Himmel steht, denk ich an dich“ die reale Geschichte einer jungen iranischen Frau zu einem, aus verschiedenen Gründen lesenswerten, Roman verdichtet. Zum einen ist da natürlich der seltene Einblick in Alltagswelten des heutigen Iran. (Einen Kommentar zu einem aktuellen, auch von einer Frau geschriebenen Sachbuch zu diesem Thema, findet ihr unten – das konnte ich mir in diesem Zusammenhang einfach nicht verkneifen.) Zum anderen ist die Erzählung von Deborah Ellis aber auch geprägt von großer Zartheit und der Poesie einer ersten Liebe, die sich gegen alle Widerstände ihren Weg bahnt. Trotz der thematisch wirklich schweren Kost habe ich das Buch gerne und in einem Rutsch durchgelesen, wie schon lange keine lesbische coming-out-Geschichte mehr. Jugendlichen wie Erwachsenen kann ich es uneingeschränkt empfehlen!

Ein guter Anlaufpunkt, um sich über die Lage/Verfolgung von lesbischen, schwulen, und transsexuellen Menschen zu informieren ist die Länderseite von Queeramnesty.

(Als aktuelles, 2017 erschienenes Sachbuch zum Alltag im heutigen Iran, das vor allem gegen die hier – in den deutschsprachigen Ländern?- verbreiteten Klischees angehen und „moderne“ Tendenzen aufzeigen will, lief mir „Der neue Iran“ von Charlotte Wiedemann über den Weg.ü Leider bin ich bisher nur dazu gekommen, mal hineinzuschnuppern. Eine Suche nach dem Begriff Homosexualität ergab 0 Treffer, einen Treffer gab es für homosexuell im Zusammenhang mit einem anscheinend bekannten Schwulentreff in einem öffentlichen Park in Teheran. Ich schließe daraus, dass die Autorin vermutlich keine Betroffene, also Lesbe, ist und auf diesem Auge eher blind. Das wiederum stellt dann für mich auch ein wenig die Glaubwürdigkeit ihrer Einschätzung zu anderen Diskriminierungsthemen in Frage, zb was den Antisemitismus im Iran angeht. Obwohl das Buch von deutschen Kulturleitmedien wie Deutschlandfunk, Zeit und FAZ positiv aufgenommen wurde, würde ich es daher bei allem Interesse zumindest mit kritischem Blick lesen. Wenn ich eines Tages dazu komme…)

Beide hier erwähnten Bücher gibt es übrigens in der Onleihe oder im Buchladen eures Vertrauens!

DEBORAH ELLIS

Wenn der Mond am Himmel steht, denk ich an dich

Übersetzt von Edith Beleites

Ab 13 Jahren

Taschenbuch, Broschur, 256 Seiten

Intelligente, frauenbezogene Heldinnen. Zoe Beck liefert.

Intelligente, frauenbezogene Heldinnen. Dass diese Kombination immer noch eine Ausnahme im Krimi-Sortiment und auf den Bestenlisten ist, fällt umso mehr auf, wenn eine*r einmal ein Positivbeispiel begegnet, wie bei Zoe Beck’s “Die Lieferantin“.

In diesem Roman kämpft ein von Frauen geführtes Netzwerk gegen patriarchal organisierte Drogenbosse. Und gegen eine korrupte Regierung, die durch ihre Drogenpolitik der Mafia ein Geschäftsmodell erlaubt, das keine Leichen scheut.

Der Plot ist jenseits von Legalität angesiedelt, in einer Welt, in der der Staat und seine Gesetze nurmehr den Falschen dienen. Faschistoide weiße Schlägertrupps bedrohen Andersdenkende und Andersaussehende,. Wer kann, dröhnt sich zu. Es geht nicht um die Aufklärung von Verbrechen, sondern darum, Schlimmeres zu verhindern. Und dennoch. Es gibt Menschen, und in diesem Buch sind es ausnahmslos Frauen, denen das Schicksal anderer nicht scheißegal ist. Die anderen helfen, sich politisch engagieren oder im Verborgenen dafür sorgen, dass Suchtkranke zumindest reinen Stoff erhalten.

„Die Lieferantin“ ist – schnörkellos geschrieben und erzählt – ein Page Turner, der subversiv nachwirkt. Kruden gesellschaftlichen Verhältnissen wird, vermittelt durch einen Krimiplot, eine Vision entgegengesetzt. Die Vision, dass es immer eine Alternative gibt zum Wegschauen und Stillhalten.

Wie das Ganze ausgeht, müsst ihr selber lesen.

Ich wünsche mir mehr Bücher wie dieses!

Weitere Infos zum Buch und zur Autorin auf den Verlagsseiten.

Jemand hätte sie einmal in den Arm nehmen müssen. Ein Buch zum Muttertag.

“Okaasan – meine unbekannte Mutter“ heißt das 2010 erschienene Buch von Milena Michiko Flašar. Die 1980 geborene Autorin erzählt darin von einer Tochter, die ihre demente Mutter beim Sterben begleitet und ihr dabei noch einmal ganz neu begegnet. Außerdem begegnet sie in dieser Situation vielen anderen Menschen, die ihr vom Sterben ihrer Mütter erzählen, und, in einem zweiten Teil, schließlich der Mutter aller Mütter.

Der erste Teil begeisterte mich sofort durch seine sehr genaue und zugleich zarte Sprache. Sie erinnerte mich an die sehr intensive Zeit, als meine Mutter starb, in der jeder Moment eine viel tiefere Bedeutung hatte, Achtsamkeit das Gebot der Stunde war und Kleinlichkeit keinen Platz mehr hatte. In der, wie in dem Buch, eine wieder entdeckte Liebe den Grundtenor gab.

Diese Behutsamkeit, auch der Leserin gegenüber, geht im zweiten Teil leider vollständig verloren. Nach dem Tod der Mutter reist die Tochter, einer Art Schicksalswink folgend, in ein indisches Ashram. Was nun folgt ist eine Art Erleuchtungstagebuch. Ob das inhaltlich interessant ist, muss jede selbst entscheiden, sprachlich jedenfalls war es für mich ab da mit dem Genuss zu Ende. Was ich sehr sehr schade fand, denn die Autorin kann es besser!

Ich empfehle das Buch bedingungslos für seinen ersten Teil, in den ich euch jetzt noch kurz reinhören lasse. Der zweite Teil muss ja nicht gelesen werden!

Von ihren Geschwistern wurde Miyuki M. die Mondprinzessin genannt und sie meinten es durchaus ernst damit. Ihnen war aufgefallen, dass ihre Schwester sich von ihnen unterschied und dass ihre Seele von einer untypischen Schüchternheit war, so wie die eines flüchtigen Reisenden, der nicht vorhat, länger zu bleiben. Aus bravem Anstand fanden sie es bedenklich, dass jemand sich auf dieser Erde nicht zu Hause fühlte, und ließen sie ihr Befremden mit der üblichen Grausamkeit einer zahlenmäßig überlegenen Mehrheit spüren.

Aus “Okaasan – meine unbekannte Mutter“ von Milena Michiko Flašar

Milena Michiko Flašar hat inzwischen weitere Bücher geschrieben ¬ ich bin gespannt!

Nicht vergessen: #supportyourlocalbookstore !

Frances McDormand versus Policemen

Aktuell und brisant – nicht nur in der Filmindustrie: Frauen werden vergewaltigt und umgebracht, und was passiert? Viel zu selten werden die Schuldigen gefunden, noch seltener zur Rechenschaft gezogen – und das Umfeld geht zur Tagesordnung über. In „Three Billboards outside Ebbing, Missouri“ rebelliert eine Mutter dagegen – entschlossen und ziemlich unerbittlich.

Allein, auf der anderen Seite stehen keine Bilderbuchschurken, sondern erst einmal nur die Dorfpolizei. Homophobe Rassisten mitunter, aber eben auch mit eigenen Sorgen, Träumen, Schwächen. (Hier entstehen die witzigen Momente des Films, zum Brüllen komisch gespielt von Sam Rockwell).

Auf der anderen Seite steht aber bald auch der eigene Sohn, dem die Aktionen der Mutter eher peinlich sind und der daneben kaum einen eigenen Umgang mit dem Tod der Schwester finden kann.

Und ohne Sexismus und Rassismus kleinzureden – was betont werden muss – hält sich der Film nicht bei dem unverzeihlich Bösen auf (dem Vergewaltiger und Mörder), sondern zeigt die Graustufen, wo Menschen einander auch Schmerz zufügen, manchmal aus dem eigenen Schmerz heraus blind für den der anderen werden.

„Three Billboards outside Ebbing, Missouri“ ist im positiven Sinne beeindruckend weil am Ende ein zutiefst menschenfreundlicher Film, der den meisten seiner – großartig gespielten – Figuren die Fähigkeit zugesteht, Fehler zu erkennen und zu versuchen, etwas wieder gut zu machen. Auf glaubwürdige Art, also jenseits von großem Pathos, mitunter unbeholfen und ohne Ecken und Kanten zu verlieren.

Das macht zwar die Toten nicht mehr lebendig, aber die Welt, die bleibt, ein Stückchen lebenswerter *.

* Und dieser Ansatz unterscheidet sich wohltuend von Aufrufen zu Selbstjustiz und Migrantenhatz, die eben keine valide Antwort auf den Mord an einer Frau sind. Wer kann möge deshalb am Samstag, den 3.3.2018 nach Kandel in der Pfalz kommen, um gegenrassistische und ultrarechte Instrumentalisierung von sexueller Gewalt zu demonstrieren!

Wer die Katze nicht ehrt…

Wer die Katze nicht ehrt, ist den Oscar nicht wert! Shape of Water (auf deutsch: Das Flüstern des Wassers), der neue Film von Guillermo del Toro, wird als Märchen für Erwachsene angepriesen und 2018 als Oscar-Kandidat gehandelt. Ich fand ihn im letzten Drittel unnötig brutal und behalte den Oscar daher lieber für mich 😉

Shape of Water ist eine in phantasievollen Bildern erzählte Liebesgeschichte, deren Figuren an Die Schöne und das Biest denken lassen, nur passen sie in unsere Zeit und sind am anderen Ende der sozialen Hierarchien verortet. Und das durchaus mit politischer Absicht. Wie der Regisseur in einem Interview sagt:

…es ist ein Film gegen Ausgrenzung – und für Diversität. Ich glaube nicht an Reinheit, sondern an wilde Kreuzungen. Sie bringen die schönsten Geschöpfe hervor. Das gilt auch fürs Kino. In „Shape of Water“ mischen sich unter anderem Fantasyfilm, Spionagethriller und Musical.

Ein sympathischer Ansatz!

Unsere HeldInnen leben prekär, sind schwarz, schwul, behindert, solidarisch, idealistisch, kreativ…. aber fast unsichtbar in einer Welt, in der militärische Belange und persönlicher Ehrgeiz das Sagen haben. Das personifizierte Böse und seine Familie dagegen sehen aus wie Ken und Barbie, er macht Karriere und berauscht sich an Macht und Konsum, Frau und Kinder sind vor allem dankbar, ergeben und adrett.

Die Ignoranz dieser Macht gegenüber den vermeintlich Ohnmächtigen erlaubt unseren HeldInnen ein Husarenstück, das uns beinahe mitten im Film applaudieren lässt. So weit, so gut.

Doch dann bekommt der Film plötzlich eine Brutalität, für die ich beim besten Willen keinen Grund finde.

In oben genanntem Interview erwähnt del Toro die Szene, in der das Biest einer Katze den Kopf abbeißt, um deutlich zu machen, dass auch Verhaltensweisen, die wir als wild empfinden, zur Andersartigkeit gehören und respektiert werden müssen. Einwand! Auf der filmischen Ebene hätte dafür auch ein anderes Bild gefunden werden können, und auf der übertragenen Ebene sollte doch klar sein, dass spätestens beim Respekt vor dem Leben der Spaß aufhört.

Spätestens ab diesem Moment wird der Film Tarantino-haft in der Darstellung von Gewalt: explizit, blutlüstern, ausgiebig. Und damit verlässt er die Ebene des Märchenhaften und verspielt die Chance, ein Gute-Laune-Film zu werden. Stattdessen waren wir einfach nur froh, als er vorbei war und der Abend bei einem Glas Sekt dann trotzdem noch romantisch wurde.

Wenn ich mir im Nachhinein den Trailer nochmal anschaue, muss ich aber doch sagen, dass der Film auch viel Gutes hat. Ein magisches Look and Feel zum Beispiel (die Stimmung, die Farben!), die Amelie-hafte Sally Hawkins als Elisa, das schmucke Biest, die gesamte Ausstattung, den Soundtrack, und dabei den gesellschaftspolitischen Anspruch. Ohne Katzenmord hätte das echt was werden können!

Ich packe meinen Koffer…

Simone Hirth (Jahrgang 1985) lässt in ihrem gerade erschienenen Roman Bananama ein Mädchen sprechen, das noch keine zehn Jahre alt ist und mit ihren Aussteiger-Eltern völlig isoliert vom Rest der Welt irgendwo auf dem Land lebt. Die Eltern haben beide einen gewaltigen Hau. Die Mutter fängt zigtausend Sachen an, darf dabei nicht gestört werden und macht dennoch nichts zu Ende, weil sie „gerade nicht den Kopf dafür frei“ hat. Der Vater fährt ständig zu Tauschbörsen und vermittelt sein aus dem Internet zusammengeklaubtes Halbwissen, verwurschtelt mit einer ziemlich halbgar anmutenden Ideologie, in unerschütterlicher Borniertheit an die Tochter. Die natürlich auch nicht in die Schule gehen darf. Gefühle, Erfahrungen, Widersprüche werden unter den Tisch gekehrt. Keine Geschwister, keine Freundinnen, keine Oma, kein Haustier: die Einsamkeit des Mädchens ist abgrundtief und allumfassend.

Das Kind entwickelt notgedrungen seine eigenen Strategien, sich unter diesen Rahmenbedingungen zurechtzufinden. In diese Entwicklung gehört auch die Aneignung von Sprache. Doch wo Wort und Erleben nicht zusammenpassen, ist das Wort vergiftet. Dafür schenkt uns die Autorin eindrückliche Bilder. So wird das Kind zu Anfang allerlei Wörter begraben – in Einmachgläsern unter dem großen Walnussbaum. Dort landen zum Beispiel die Angst und das Mitleid. Später wird immer wieder etwas in erdachte Koffer gepackt, in der Vorahnung eines Aufbruchs, als Proviant für ein eigenes Leben. Das ist toll und sehr nachvollziehbar.

Gefehlt hat mir bei alledem aber leider: Dynamik. In Überschriften werden zwar immer wieder Ereignisse in Aussicht gestellt, aber die geweckten Erwartungen werden regelmäßig enttäuscht. Vielleicht soll es uns als LeserInnen nicht anders gehen als dem Kind in der Erzählung? Die ihr hier eintretet, lasset alle Hoffnung fahren? Bitter.

Auch das Ende hat mich nicht ganz überzeugt, kam für mich unvermittelt und viel zu knapp daher. Ich hätte mir mehr Zeit gewünscht, um mich zu verabschieden. Begraben.

Aus diesem Buch packe ich jedoch in meinen Koffer: die Gabe der Beobachtung und den Drang, sich selbst einen Reim auf die Welt zu machen, als Keim der Rebellion.

Den wunderschönen Einband hat Christine Fischer gestaltet.

Loblieder auf weiblichen Ungehorsam

Von Naomi Alderman werden wir sicherlich noch einiges hören in 2018. Morgen, am 12.2. erscheint die deutsche Übersetzung ihres feministischen Sciene Fiction Romans The Power (auf deutsch: Die Gabe), über den ihre Mentorin Margret Atwood sagt: „Electrifying! Shocking! Will knock your socks off! Then you’ll think twice, about everything“. Ende April kommt die Verfilmung ihres Debütromans Disobedience (auf deutsch: Ungehorsam) ins Kino. Letzteren habe ich gerade gelesen. Und zwar extrem gerne.

Jetzt, wo ich ihn weglege, habe ich einiges über jüdisch-orthodoxes Leben gelernt – aus der Perspektive von Frauen und noch spezieller: von Lesben. Ich mochte die Sprache und das intellektuelle Selbstbewusstsein, mit dem religiöse Traditionen hinterfragt wurden, deren Wirkungen auch in andere Welten hineinreichen. Und ich lebte mit den Figuren und wünschte mir einen guten Ausgang aus ihrer schmerzhaften und sich lange zuspitzenden Lage.

Naomi Alderman, Engländerin Jahrgang 1974, wuchs selbst in einem jüdisch-orthodoxem Umfeld auf. Ein Umfeld, in dem Heiraten und Kinderkriegen religiöse Pflichten sind und Homosexualität ein Tabu. In Disobedience (Ungehorsam) erzählt sie vor diesem Hintergrund von zwei Frauen, die eine Liebesgeschichte verbindet. Die eine, Ronit, lebt inzwischen in New York, hat einen guten Job, einen verheirateten Liebhaber, ein paar oberflächliche Freundschaften und eine Therapeutin. Die andere, Esti, ist in der jüdisch-orthodoxen Gemeinde im Norden Londons geblieben, in der beide aufgewachsen sind. Und hat geheiratet. Der Tod von Ronits Vater bringt beide wieder zusammen. Beide sind nun gezwungen, sich noch einmal mit ihrem lesbischen Begehren und den Reaktionen ihrer Umwelt auseinanderzusetzen. Dies geschieht behutsam und aus verschiedenen Perspektiven. Und nebenbei entsteht ein Gefühl davon, wie diese Welt riecht, schmeckt und tickt, in welchem Rhythmus sie sich bewegt.

Analog zu diesem Rhythmus sind den einzelnen Kapiteln des Buches Zitate aus religiösen Texten vorangestellt, die im Anschluss ausgelegt und diskutiert werden. In orthodoxen Kreisen eigentlich eine den Männern vorbehaltene Aufgabe. Naomi Alderman rebelliert gegen diese Entmündigung und ging dabei so weit, dass sie mit Fertigstellung des Romans aufhörte, sich als religiös zu bezeichnen. “I went into the novel religious and by the end I wasn’t. I wrote myself out of it.”, zitiert The Guardian. Respekt.

Die fundierte Auseinandersetzung mit den Grundfesten des jüdisch-orthodoxen Menschenbilds (von dem wir vieles auch in der christlichen Tradition wiederfinden) regt aber auch unabhängig von Religion zum Nachdenken über die eigene Existenz an. Großes philosophisches Kino, um mal wieder flapsig zu sein.

A Propos Kino. Der Trailer gibt für mich eine ganz andere Stimmung wieder als ich sie lesend erlebt habe. Er wirkt klischeehaft altbacken mit seinen düsteren Farben, den dicht aufeinander folgenden dramatischen Dialogen. Die Sprache des Buches habe ich als viel moderner und bunter empfunden, mit genug Raum für Betrachtung und Sinnlichkeit. Es wäre extrem schade, wenn das im Film verloren ginge und der Inhalt des Romans auf die reine Handlung reduziert würde. Aber einen Versuch wird es wohl trotzdem wert sein, mal wieder ins Kino zu gehen.

Auf Naomi Alderman bin ich übrigens durch die interessante Reihe Women in SciFi auf bingereader.org aufmerksam geworden, wo Miss Booleana „Die Gabe“ vorgestellt hat – danke dafür!

Mein Lieblingsgenre im Film

Über Binger Readers wundervolle Serie #WomenInScifi wurde ich auf die Bloggerin Miss Booleana aufmerksam und fand bei ihr den Aufruf zu einer interessanten Blogparade namens Name your Genre. Ich musste nicht lange überlegen: mein Lieblingsgenre im Film sind anarchistische Geschichten mit weiblichen Heldinnen und gerne auch skurrilem Einschlag. Kein griffiger Titel, was? Also eigentlich meine ich sowas wie Gaunerkomödien, nur halt eben mit weiblichen Heldinnen. Gaunerinnenkomödie klingt allerdings furchtbar. Auf Englisch ist es einfacher: wenn Gaunerkomödie tatsächlich Crime Caper heißt, und ich die Wikipedia-Definition von Caper Stories richtig verstehe, dann wäre der Begriff Lady Capers genau der richtige!

Ein paar Beispiele für dieses Genre:

Louise Hires a Contract Killer mit der wundervollen Yolande Moreau in der Hauptrolle!!! (Viel zu lang nicht mehr gesehen…):

Yolande Moreau spiel auch in Das brandneue Testament mit, die Obergaunerin hier ist aber Pili Groyne. Sie nimmt es sogar mit Gott auf (der kein lieber ist, sondern ein Arschloch, das in Brüssel wohnt).

Auch dies hier ist für mich ein Gaunerstück, hier geht es um die Aneignung Schwarzer Filmgeschichte. Von der Filmemacherin Cheryl Dunye habe ich danach leider nie wieder was gehört…

https://www.youtube.com/watch?v=uXRYhmx9AXo

Jackie Brown passt irgendwie auch in das Genre – leider mag ich Tarantino nach den Aussagen von Uma Thurman zu den Dreharbeiten bei Kill Bill auch nicht mehr so ganz gerne empfehlen. Und den Bechdel-Test besteht dieser Film wohl auch nicht. Trotzdem: Die großartige Pam Grier als Jackie Brown reißt es raus!

Als Klassiker zählt für mich – trotz des unbefriedigenden Endes – auch noch dazu: Thelma und Luise!

Und sie ist wahrscheinlich schuld:

https://m.youtube.com/watch?v=vS4DNnp8ZhM

Danke, Pipi!

Ich wünschte, mir würden noch viel mehr Filme dieses Genres einfallen, leider lässt mich mein Gedächtnis manchmal im Stich… Tipps und Ergänzungen sind also mehr als willkommen!

Als Kind in Wackersdorf, mit 30 an der Kasse

Nachdem ich jetzt mehrere Bücher wieder weggelegt habe (u.a. Zadie Smith weil mich das Leben mit einer POP-Ikone auf Dauer langweilt, Lauren Groff weil zu hetero, Eva Dolan weil die politisch aktive junge Frau einem Widerling verfallen ist, der sie mies behandelt), habe ich endlich mal wieder ein Buch zum verschlingen entdeckt: „Das wussten wir schonvon Noemi Schneider.

An der Kasse keines gewöhnlichen, sondern natürlich eines verpackungsfreien Supermarkts treffen wir die Ich-Erzählerin dieses äußerst kurzweiligen und frechen Romans. Eigentlich ist sie Filmemacherin, nur ist Kultur halt eben auch ein Business, in das sie irgendwie nicht reinpasst mit ihren Ideen.

Ihre Mutter, deren Mitgefühl für Flüchtlinge größer zu sein scheint, als das Mitgefühl für die eigene Tochter, überlässt ihr Gartenhaus einem von der Abschiebung bedrohten Salafisten just in dem Moment, als die Erzählerin sich ihre Wohnung nicht mehr leisten kann. Von da aus nimmt eine Geschichte ihren Lauf, die der deutschen Mittelschicht aller Altersstufen sowie sozialen und Mainstream-Medien den Spiegel vorhält und dabei nicht mit wundervoll bizarren Szenen geizt.

Aus Sicht der in den 1980ern geborenen Kinder erleben wir eine politisch linksorientierte und inzwischen gut situierte und selbstgerechte Elterngeneration, die die emotionale Befindlichkeit und die Lebenswirklichkeit ihrer Kinder kaum wahrnimmt. Trotzdem handelt es sich hier nicht um eine überhebliche Abrechnung mit allem, was den Kindern da hinterlassen wird. Stattdessen ist immer spürbar, wieviel Sympathie und Einverständnis die Tochter den Ansichten ihrer immer noch aktiven Mutter in vielen Aspekten entgegenbringt. Und wieviel anarchistische Freude an unkonventionellen Lösungen sie doch geerbt hat. Am Ende gilt es, dieses Erbe in die Gegenwart zu übertragen und den Missständen der Gesellschaft, so wie die jüngere Generation sie antrifft, mit zeitgemäßen Mitteln und auf eigene Art entgegenzutreten. Eine gewisse Distanz allerdings bleibt. Nachvollziehbar.

Wenn ihr hören wollt, wie das klingt: hier liest die Autorin selbst:

… und wenn ihr jetzt noch mehr Motivation braucht: Barbara Junge von der taz war auch ganz begeistert und hat Noemi Schneider 2017 auf der Leipziger Buchmesse getroffen: