Falls ihr meinen letzten Beitrag „Mal wieder in eine Bar gehen!“ nicht gefunden habt (ich hab ihn aus Versehen zunächst unter einem falschen Datum veröffentlicht), der richtige Link ist: https://prinzessinkarl.wordpress.com/2020/11/22/digital-bar/
Mal wieder in eine Bar gehen? Ist möglich!
Lange war es ruhig in diesem Blog: ich habe den Sommer so analog genossen wie nur möglich, denn ich hatte und habe die Schnauze ein wenig voll von digital…. Doch jetzt ist es abends schon dunkel, bevor ich überhaupt Feierabend mache, und die Möglichkeiten, außer Haus noch etwas zu erleben und Menschen zu sehen sind sehr sehr eingeschränkt. Und so fing der Herbst mit einem emotionalen Durchhänger an. Bis mir etwas begnete, was mich auf DIE suuuuuuuuuper Idee brachte…..
….Es war einmal ein Berliner startup namens yotribe, offensichtlich mit guten Beziehungen nach Darmstadt, wo ich es an der TU unter dem neuen und passenden Namen Wonder kennenlernte….
Wonder entwickelt digitale Räume. Räume, in denen sich Menschen frei bewegen, selbstbestimmt agieren und miteinander kommunizieren können, so wie „vor Corona“ auf den Plätzen der Innenstädte oder Szeneviertel, auf dem Weg zur Kantine, auf einer Party, oder eben in der Lieblingsbar an der Ecke.
Diese wundervolle Art der spontanen und oft unerwarteten Begegnung ist nämlich etwas ganz anderes als das, was wir Büromenschen seit Monaten in endlosen Teams- oder Zoom-Konferenzen ertragen müssen. Klar, auch die sind besser als nix, aber es fehlt so viel: mal kurz mit jemandem unter vier Augen scherzen, neue Leute kennenlernen, jenseits der offiziellen Tagesordnung auch noch das eine oder andere off-topic Gespräch führen, frei zwischen verschiedenen Gesprächspartner*innen wechseln, selbst(!)organisiert themenspezifische Kleingruppen bilden… Wonder ermöglicht sowas auch im Digitalen. Und als ich das gesehen habe, erinnerte ich mich an einen alten Traum und dachte….
ICH MACH NE BAR!!!
Auf Montagsbar.org könnt ihr lesen, wie das im Digitalen geht. Fakt ist: Corona hin oder her, wir müssen unser Feierabendbierchen nicht mehr alleine trinken! (Kaffee, Wasser oder Tee auch nicht! Bringt einfach mit, was ihr grad mögt!)
Schon die ersten Male haben gezeigt, dass das Konzept aufgeht: in meiner Bar haben sich Menschen wiedergetroffen, die weit weg voneinander leben und seit Monaten keine Gelegenheit hatten, sich zu sehen, Freundeskreise haben sich gemischt, neue kamen dazu, es gibt eine offene Bühne und in kleinem Kreis wurde auch zusammen getanzt. Viele empfinden die Bar, die jetzt regelmäßig auf hat (sonst wäre es ja keine Bar) genau wie ich als Rettung.
Erkennen, was die Rettung ist! Wenn Corona (oder auch andere widrige Umstände) physische Begegnungen erschweren, dann hilft nur Phantasie! Die digitale Bar ist auf jeden Fall ein Weg raus aus Isolation und Vereinsamung, raus aus der virtuellen Bubble und zurück in den lebendigen Austausch mit echten Menschen! Kennt ihr noch andere Wege? Dann teilt eure Ideen über die Kommentarfunktion!
Und schreibt mir an wirtin at montagsbar.org, wenn ihr mitmachen oder euch vernetzen wollt. (Wäre doch cool, wenn ne ganze Bewegung draus würde! Wir könnten auch Konzertreisen für Kleinkünstler*innen organisieren, die dann von Bar zu Bar tingeln, und und und…. so viele Möglichkeiten! Soll der blöde Corona-Winter doch kommen!)
Herzliche Grüße hinaus in die Welt! Bleibt gesund und munter und pflegt die Phantasie!
Vanillekipferl sind fertig!
Ich backe sie jedes Jahr nach dem überlieferten Familienrezept (okay, auch jedes Jahr mit kleinen Abwandlungen, und vor allem mit Vollkorn- und Rohrohzucker-Anteil) und finde, so sind sie einfach am besten!
Wenn ihr morgen in die Bar kommt, könnt ihr vielleicht noch welche probieren 😉
Und womit macht ihr euch heute das Leben schön?
Digitalisierung in der universitären Lehre 1
Natürlich ist jedes Seminar anders und dies ist vielleicht gerade erst der Anfang. Aber die pandemiebedingte Umstellung auf digitale Formate lässt erahnen, dass eine umfassende Digitalisierung der universitären Lehre sehr grundsätzliche Veränderungen mit sich bringen kann. Welche, möchte ich in einer Reihe von Blogbeiträgen gerne mit euch diskutieren. Ich bitte also schon jetzt um eure Kritik: Widersprüche sind genauso willkommen wie Ergänzungen und eure ganz individuellen Eindrücke!
Heute möchte ich 6 Punkte vorstellen, die ich bereits aus jetziger Sicht für zentral halte. Jeder dieser Punkte hat zum Teil positive, zum Teil negative, aber auf jeden Fall gravierende Auswirkungen. Die Reihenfolge stellt keine Gewichtung dar.
1. Punkt: Inhaltliche Verschiebungen
Online-Unterricht führt zusammen mit der Tatsache, dass Bibliotheken pandemiebedingt lange geschlossen waren und noch immer nur eingeschränkt zugänglich sind, zu einer Verschiebung der Textauswahl. Material, das nicht digitalisiert vorliegt, also ältere Bücher, Fachlexika, Print-Zeitschriften und ähnliches, geraten aus dem Fokus. Stattdessen werden Seminare an online verfügbaren Inhalten orientiert, typischer Weise an Aufsätzen, die vorwiegend über den Marktführer Elsevier abzurufen sind. Für derartiges Material gelten unter Umständen aber andere inhaltliche und Ranking-Kriterien als für den klassischen Bibliotheksbestand. In diesem Zusammenhang stellen sich für mich verschiedene Fragen: Geht hierdurch auf lange Sicht Wissen verloren? Gehen mit dieser formalen Veränderung womöglich inhaltliche Veränderungen einher? Ändern sich Zugangsmöglichkeiten? Wem gehört das Wissen, wenn nicht mehr staatlichen Bibliotheken? Inwiefern erleben wir hier eine subkutane Privatisierung von Wissen?
2. Punkt: Urheberrechte und Inhaltsbesitz
Neben der bereits unter 1 erwähnten Problematik fällt auf, dass Digitalisierung die Frage nach dem Schutz geistigen Eigentums neu stellt. Nicht nur das von den Lehrenden geteilte Unterrichtsmaterial, auch die Arbeiten der Studierenden, können potentiell samt und sonders von anderen kopiert, verwendet, entstellt oder weiterverbreitet werden. Nun gibt es zwar Software, die das verhindert, diese wird jedoch nur teilweise eingesetzt. Es wird also in einer digitalisierten Universität dringender denn je, sich die Frage zu stellen, inwiefern geistiges Eigentum ein schützenswertes Gut darstellt, und, falls es das sein soll, wie es effektiv geschützt werden kann und wem wir als Gesellschaft diesen Schutz anvertrauen (privaten Unternehmen, dem Staat, oder…?).
3. Punkt: Verhinderung von Vorurteilen auf Grund physischer Merkmale
Solange Online-Lehre bedeutet, dass Studierende und Lehrende einander nicht von Angesicht zu Angesicht begegnen, könnte Vorurteilen auf Grund äußerlicher Merkmale (Kleidung, Alter, Hautfarbe, Tattoos, etc) zunächst einmal der Boden entzogen werden. Damit könnten stärker als im Präsenzunterricht tatsächlich die selben Kriterien für alle angewendet werden, alle Studierenden sich auf Augenhöhe begegnen. Hat sich in Deutschland zwar noch nicht durchgesetzt, aber eine gute Idee in eine ähnliche Richtung sind ja Bewerbungsunterlagen ohne Fotos. Die Frage hier ist, ob dies bejaht und gewollt ist, oder ob dieser Effekt über kurz oder lang durch mehr Video-Präsenz-Veranstaltungen wieder verloren gehen wird.
4. Punkt: Einschränkung von Beteiligungsmöglichkeiten
Gleichzeitig führt aber die Tatsache, dass letztlich alle alleine vor ihrem Bildschirm sitzen und sich höchsten virtuell begegnen dazu, dass informelle, zufällige und nicht überwachbare Begegnungen fast gar nicht mehr stattfinden. Eine mögliche Konsequenz davon ist, dass sich Widerstand gegen potentielle Ungerechtigkeiten, problematische oder fehlende Inhalte, schlechte Bedingungen und ähnliches kaum mehr organisieren lässt (oder ganz neue Wege finden muss). Teile und herrsche in einer ganz neuen Ausprägung.
5. Punkt: Erweiterte Kontrollmöglichkeiten
Was auch immer im digitalen Raum stattfindet, kann 1) potentiell für immer gespeichert und 2) immer digital analysiert und ausgewertet werden. Dinge „versenden“ sich nicht, und das kann dazu führen, dass Einzelne sich besser überlegen, was wo und wie sie etwas äußern. Vielleicht wird dadurch die Hürde höher, Fragen zu stellen oder abweichende Meinungen kundzutun? Werden durch diese Tatsache innere Zensurmechanismen verstärkt? Entsteht dadurch unter Umständen auch ein grundsätzlich höherer Arbeitsaufwand? Leidet die Lebendigkeit akademischer Diskussionen darunter?
6. Punkt: Fluch und Segen der Asynchronizität
Die Möglichkeit, das Arbeitspensum stärker an den eigenen zeitlichen Verfügbarkeiten ausrichten zu können, wenn Lehrveranstaltungen keine Präsenzveranstaltungen sind, schafft natürlich verbesserte Bedingungen für Menschen, die Studium oder Lehre (besonders in Zeiten von Covid-19) zum Beispiel mit Kinderbetreuung, der Pflege von Angehörigen oder einer Berufstätigkeit vereinbaren müssen. Hieraus könnten bessere Zugangsmöglichkeiten für bislang benachteiligte soziale Gruppen zu universitärer Bildung entstehen. Doch wie können asynchrone Formen lebendigen Austauschs aussehen? Was braucht es, um auch unter diesen Bedingungen die Begegnung mit anderen zu fördern?
Ausblick
Die Möglichkeiten der Digitalisierung sind, auch im Bereich universitärer Lehre, immens. Leider bieten sie auch ein Einfallstor für feindliche Übernahmen durch ökonomische Interessen und für Einschränkungen der geistigen Freiheit. Sich über solche Gefahren im Detail bewusst zu werden, ist ein wichtiger Schritt bei der Entwicklung von Konzepten, die wissenschaftlicher Arbeit und demokratischen Bewegungen dienen, und nicht ihren Feinden.
Ich würde hierfür gerne Kriterien sammeln und hoffe daher auf eure Rückmeldungen. Wie habt ihr, sofern ihr betroffen seid, die Digitalisierung der Lehre erlebt? Wo seht ihr Gefahren und Risiken, wo Verbesserungen und Potentiale?
Im Hinblick auf den nächsten Beitrag zu diesem Thema würde mich auch interessieren: mit welchen Formaten der digitalen Lehre (und das kann gerne auch home schooling außerhalb der Uni betreffen) habt ihr gute, und mit welchen eher schlechte Erfahrungen gemacht? Was fehlt? Wie soll es eurer Meinung nach weitergehen mit der Digitalisierung im Bildungswesen?
Warum individuelle Freiheit ein maskulinistisches Konzept ist
Das Pochen auf individuelle Freiheiten ist weder im Zusammenhang mit Corona noch im Hinblick auf die Zerstörung der Lebensbedingungen auf der Erde ein Merkmal konstruktiver Lösungsvorschläge. Nicht falsch verstehen: hier geht es nicht um den Ruf nach einer Diktatur. Sondern darum, dass wir dringend aufhören sollten, uns als einzelne, unabhängige Wesen zu verstehen. Leben ist, – genau wie Verstehen – nur in wechselseitiger Abhängigkeit und in Beziehung möglich.
Die US-amerikanische Politikwissenschaftlerin Wendy Brown hat sich in ihrem 1995 erschienenen und leider nie ins Deutsche übersetzten Buch States of Injury ausführlich mit dem Begriff der „individuellen Freiheit“ beschäftigt. Sie zeigt, dass dieser Begriff im Kontext des Liberalismus (als dem vorherrschenden Narrativ des Kapitalismus) systematisch auf der Unterordnung von Frauen basiert.
Ihre Kernthesen lauten:
1. Der Liberalismus baut auf einer klaren Arbeitsteilung auf.
2. Auf diese Weise ist es der Liberalismus, der gewisse Eigenschaften und Aktivitäten an Geschlechtszugehörigkeiten bindet, und zwar indem er diese Arbeitsteilung ideologisch mit „Natur“ begründet.
3. Die vermeintlich neutral verwendeten Begriffe des politischen Lebens („Freiheit“ und „Gleichheit“) verschleiern diese Ordnung der Gesellschaft und den dahinter stehenden Maskulinismus.
4. Feminismus innerhalb des Liberalismus kann nur existieren, indem die liberale Arbeitsteilung andere untergeordnete Gruppen anstelle der (bürgerlichen) Frauen einsetzt.
Folgendermaßen verläuft ihre Argumentation:
Historisch wurde mit dem Übergang vom Feudalismus zum Liberalismus und durch Industrialisierung und die Ausweitung kapitalistischer Produktionsweisen die Trennung zwischen familiengebundener Haushaltsarbeit und öffentlich sichtbarer Lohnarbeit immer schärfer. Dies führte zur Aufteilung der Gesellschaft in deutlich getrennte Sphären – auf der einen Seite Ökonomie und Zivilgesellschaft, auf der anderen die Familie.
Der Zivilgesellschaft und der Familie steht im Liberalismus der Staat gegenüber, der sich aus den anderen Bereichen rauszuhalten hat, solange dort nicht alle gegen alle kämpfen, denn der Mensch sei ja dem Menschen ein Wolf, so wird erzählt. Warum dieses Narrativ nicht für die Familie gelte, fragt Wendy Brown sodann. Weil es sich hier um eine Sphäre handle, in der Wettbewerb und Interessenkollisionen per Definition nicht vorkommen, denn es entspreche ja der „natürlichen“ Rolle von Frauen und Kindern, sich den Bedürfnissen und Interessen der Männer unterzuordnen und für deren Erhalt und gute Laune zu sorgen. Dafür stehe nicht zuletzt das Bild vom Hafen (der Ehe) inmitten der ansonsten stürmischen See des (zivilen, männlichen) Lebens.
Da das eine (kapitalistische Produktionsformen) nicht ohne das andere (Fürsorge und Reproduktion) funktioniert, wird die genderbasierte Zuschreibung von bestimmten Pflichten und Tätigkeitsbereichen zur unbedingten Voraussetzung für die Konstitution des liberalen, diese Produktionsformen bejahenden Subjekts.
Das liberale Subjekt als Basiseinheit liberaler Gesellschaftsvorstellungen ist ein Individuum, das als souverän und autark gilt. Bedürftigkeiten und Abhängigkeiten werden absichtsvoll ausgeklammert. Autarkie, das Handeln im eigenen Interesse, die Orientierung hin auf Dinge und Gewinn werden Männern zugeschrieben, weshalb Frauen, denen Zugehörigkeit, Bindung und Altruismus zugeschrieben und die als beziehungsorientiert gezeichnet werden, unsichtbar werden müssen.
Gleichheit gilt in der bürgerlich-liberalen Auffassung vor allem vor dem Gesetz, was im selben Zuge bedeutet, sie gilt dort nicht, wo das Gesetz nicht hinreicht, nämlich in der Familie. Wie Brown feststellt: „Liberalism, presuming rational men, has no theory of violence practiced for reasons-psychic, erotic, etc.-independent of material gain.“ (vgl. Brown 1995, 150). Genau in diesen Bereichen verfügt das liberale Subjekt, das also deutlich männlich konnotiert ist, über seine gefährliche Freiheit.
Wenn Frauen sich genauso autark, egoistisch, besitz- und gewinnorientiert verhalten wie Männer oder sich als Lesben oder bewusst männerlos lebende Frauen der Reproduktions- und Care-Arbeit verweigern, werden sie nicht nur kritisiert und diffamiert (und damit zurück an den ihnen zugedachten Platz verwiesen). Da, wenn das alle täten, die Gesellschaft als Ganze und die Familie im Besonderen nicht mehr funktionieren würde, ist ein solches Verhalten innerhalb der liberal gefassten Gesellschaft nur möglich, wenn und solange Frauen die doppelte Belastung auf sich nehmen, oder wenn die eigentlich ihnen zugeschriebenen Arbeiten von anderen, ebenfalls untergeordneten Menschen übernommen werden. Wie Brown später schreibt: „the emancipation of particular women can be ‚·purchased“ through the subordination of substitutes“ (Brown 1995, 164), beispielhaft hierfür steht die bürgerliche Frau, „as every middle and upper-class woman… has purchased her liberty, personhood, and equality through child care and ‚ household help‘ provided by women earning a fraction of their boss’s wage“ (Brown 1995, 164f). An dieser Stelle greifen Klassenunterschiede und Rassismus.
„Individuelle Freiheit“ und „Gleichheit“ erscheinen bei Brown – und der Ansatz überzeugt mich – als genuin liberale Konzepte, die unauflösbar mit Maskulinismus, Dominanz und Unterwerfung verbunden sind. Im Blick auf die Kolonialgeschichte wäre zu ergänzen: auch mit Rassismus.
Ein Denken, das darüber hinausgehen will, muss stattdessen Fürsorge, wechselseitige Abhängigkeiten und faktische Machtverhältnisse zum Ausgangspunkt nehmen.
Zu diesem Thema passt auch die aktuelle Ausstellung „Critical Zones“ im ZKM Karlsruhe, über die ich noch berichten möchte. Die Spur werde ich also weiterverfolgen – und wenn ihr wollt, nehme ich euch gerne mit!
Literatur:
Wendy Brown: States of Injury. Princeton, New Jersey: Princeton University Press, 1995.
Critical Zones im ZKM Karslruhe:
Eine „digitale Gedanken-Ausstellung“ über den Umgang mit dem Leben, kuratiert unter anderem von dem sehr sympathischen Philosophen Bruno Latour: https://critical-zones.zkm.de
Update: Verstehen als Beziehungsarbeit
Und noch ein Update in eigener Sache: falls ihr meinen letzten Beitrag „Verstehen als Beziehungsarbeit“ nicht gefunden habt (ich hab ihn aus Versehen zunächst unter einem falschen Datum veröffentlicht), der richtige Link ist https://prinzessinkarl.wordpress.com/2020/05/16/verstehen-als-beziehungsarbeit/
„Corona-Wahnsinn“ – who is who?
Wichtiges Update zu „Wir dachten, Hitler baut nur Autobahnen“: das Netzwerk „Lesben gegen Rechts“ hat ein Who-is-who der Corona-Demos erstellt und darin zahlreiche Verbindungen nach Rechtsaußen dokumentiert. Hier könnt ihr euch das Dokument runterladen: https://prinzessinkarl.de/wp-content/uploads/2020/06/aktualisiert-who-is-who-der-coronaleugner-formatiert.pdf
A propos „Corona-Wahnsinn“… Was ist wohl wahnsinniger: mit entschiedenen, wenn auch schmerzhaften Mitteln zu versuchen, die schlimmsten Auswirkungen einer Pandemie zu verhindern, oder einer Ansammlung rechtsextremer Arschlöcher in den Sattel zu helfen? Denn was die sonst noch wollen, außer „Zwangsimpfungen“ zu verhindern: Gleichstellungspolitiken beenden, die wenigen verbliebenen staatlichen und gewerkschaftlichen Eingriffsmöglichkeiten in den (deutschnationalen) Kapitalismus zurückschneiden, Geflüchtete verrecken lassen, Klimapolitik zurückdrehen, den Öffentlich-Rechtlichen Rundfunk abschaffen oder zur Propaganda in eigener Sache verpflichten… Naja, wer will, kann das alles selbst nachlesen.
Verstehen als Beziehungsarbeit
Unser Umgang mit einer neuen Krankheit, die sich pandemisch verbreitet, ist nicht anders als unser Umgang mit anderen ökologischen und ökonomischen Krisensituationen der letzten Jahrzehnte. Der bislang allerdings noch nirgends zu einer fundamentalen Wende geführt hat. Was fehlt?
Ich hatte ja von einiger Zeit schon versprochen, mal meine Arbeit „Erkenntnis als Kollateralschaden von Beziehungen“ hier hochzuladen. Gehindert hat mich daran bisher vor allem, dass ich nicht wusste, wie ich eine Verbindung herstellen könnte zu den Themen, die mich aktuell beschäftigen – und die eben auch mit Corona zusammenhängen.
So langsam allerdings dämmert mir etwas: Es sind im Kern dieselben Haltungen, die den Diskurs prägen, die mich immer wieder auf dieselbe Art verstören und die ich zunehmend für komplett untauglich halte. Sogar für desaströs. Ich meine einerseits die Vorstellung von objekthaften Wahrheiten (für die also keine Verantwortung zu übernehmen ist), und andererseits die Vorstellung von individueller Freiheit.
In „Erkenntnis als Kollateralschaden von Beziehungen“, einem Text der in Theoretischer Philosophie an der TU Darmstadt entstanden ist, geht es vorrangig um den ersten Bereich. Genauer gesagt um aktuelle Arbeiten feministischer Philosophinnen zur Frage nach der Beziehung zwischen uns und der Welt, und inwiefern die Art dieser Beziehung bereits vorgibt, was wir überhaupt für Erkenntnisse gewinnen können. Ihr werdet dort auch Vinciane Despret wiederfinden. Beispiele kommen aus der Genetik, der Verhaltensforschung und der Anthropologie.
Hier könnt ihr den Text lesen und runterladen: „Erkenntnis als Kollateralnutzen des Zusammenlebens“.
Auf vielleicht noch fatalere Art wird der öffentliche Diskurs immer wieder von einer Vorstellung individueller Freiheit geprägt, die es aus feministischer, ökologischer und sozialer Sicht hart zu kritisieren gilt. Hierzu entdecke ich gerade Wendy Brown, Politikwissenschaftlerin aus den USA (und außerdem Lebensgefährtin von Judith Butler, die hierzulande wohl bekannter ist). Eine ihrer Kernthesen ist, dass „individuelle Freiheit“ ein genuin neoliberales Konzept ist, das zudem unauflösbar mit Maskulinismus, Dominanz und Unterwerfung verbunden ist. Mehr dazu demnächst in diesem Blog!
Einheitslohn! zum 1. Mai 2020
Für alle? Ja, für alle! Denn eine Stunde Lebenszeit ist eine Stunde Lebenszeit, egal ob für die Care-Arbeiterin, die Professorin oder die IT-lerin! Vielleicht nicht ganz egal, ob jung oder alt? Und woher kommt dann der Anreiz, den eigenen Job gut zu machen und Verantwortung zu übernehmen? Und was hat Systemrelevanz damit zu tun?
Argumete für den Einheitslohn
Neben der mir nur gerecht scheinenden Vorstellung, dass letztlich die Zeit be/entlohnt werden sollte, die jede*r in – gesellschaftlich gewollte – Arbeit steckt, und zwar für alle gleich, gibt es noch ein paar weitere Argumente für den Einheitslohn. Komplizierte Tarifverhandlungen, Beitragsberechnungen und Steuerregelungen könnten stark vereinfacht werden. Keine*r müsste aus finanziellen Gründen eine Arbeit machen, die ihr oder ihm gar nicht (oder nicht mehr) liegt (in Kombination mit einem – niedriger anzusetzenden – Grundeinkommen erst recht nicht). Auch mit Care-Arbeit könnte ein Lebensunterhalt bestritten werden. Ungleiche Bezahlung von Frauen und Männern sowie Hierarchien zwischen unterschiedlichen Berufsgruppen gehörten der Vergangenheit an – alle verdienten denselben Respekt und hätten dieselben Möglichkeiten, ihr Leben zu gestalten. Die Frage danach, wer bestimmt, welche Arbeit in der Gesellschaft insgesamt überhaupt gemacht werden muss/sollte, käme aufs Tablett.
Aber Verantwortumg!?
Aber, höre ich Einwände, Leistung muss sich doch auch lohnen! Und lange Ausbildungszeiten! Und die Übernahme von besonderer Verantwortung!
Mögliche Antworten auf diese Fragen aus der konkreten Praxis sind zum Beispiel in diesem Erfahrungsbericht über eine Hamburger Firma enthalten. Hier werden Menschen aus einem Hamburger Unternehmen interviewt, das das Modell Einheitslohn seit Jahren praktiziert, und zwar erfolgreich, sowohl betriebswirtschaftlich als auch von der Zufriedenheit der Beschäftigten her.
Dort wurde über Verantwortung intern diskutiert. Als der Lkw-Fahrer für sich geltend machte, dass er auch Verantwortung trage, nämlich dafür, dass die Ware am Ende heil und pünktlich bei der Kundschaft ankomme, wurde allen Beteiligten klar, dass das Geschäft nur dann funktioniert, wenn jede*r an ihrem/seinem Platz Verantwortung für die eigene Aufgabe übernimmt. Es gibt also gar keine einzelne, herausgestellte Position, der allein für das Thema Verantwortung eine besondere Entlohnung gebührt – vielmehr sind Erfolg oder Misserfolg von allen am Produkt Beteiligten gemeinsam zu verantworten.
Nicht ohne soziale Grundsicherungen!
Trotzdem ist diese Hamburger Firma für mich kein Vorbild, denn dort findet das Prinzip der einheitlichen Entlohnung außerhalb eines sozial gesicherten Rahmens statt, konkret: ohne, dass die Mitarbeitenden sozialversichert sind. Das finde ich gefährlich und unpolitisch. Mir scheint im Gegensatz wichtig: Arbeit generell und Einheitslohn im Besondren geht nicht ohne eine soziale Grundsicherung, besser noch ein bedingungsloses Grundeinkommen, und nicht ohne einen gesicherten Zugang zu Gesundheits- und Bildungseinrichtungen für alle. Ganz kurz gesagt (und dazu ließen sich ganze Artikel schreiben): Grundeinkommen für alle, die nicht arbeiten können, ein Gesundheitssystem, das allen hilft, die es brauchen, und was die Bildung angeht…
Bildung
Stand jetzt sind Bildungschancen eng mit Herkunft sprich finanziellen Möglichkeiten und Ansprüchen der Eltern verknüpft. Dies könnte durch ein gesichertes Grundeinkommen und einen allgemeinen Zugang zu Bildung umgangen werden. Und wenn alle studieren können, die das wollen (und wann sie wollen), dann wäre einerseits der akademische Nachwuchs ( z.B. in Schulen und Medizin) gesichert, andererseits fiele das Argument weg, dass längere Ausbildungen ein höheres Gehalt rechtfertigen, denn sie wären/sind ja gesellschaftlich finanziert.
Dieser Gedanke passt gut zu Zeiten, in denen nicht zuletzt technologische Entwicklungen ständige Veränderung in der Arbeitswelt erfordern. Der Gedanke ist auch nicht neu. Bereits im kleinen Band „Von der Freundschaft – Michel Foucault im Gespräch“ von 1984 las ich:
Foucault: „Ich glaube jedenfalls, daß eine fruchtbare Kritik nicht mit den ständigen Klageliedern der Leute zu vermengen ist. Was die konkreten Vorschläge angeht… vor allem dies: daß das Recht auf Wissen nicht einem Lebensalter und bestimmten Kategorien von Individuen vorbehalten sein darf, sondern dass man es ohne Stillstand und in vielfältigen Formen muß ausüben können.“ Christian de la Campagne (Le Monde): „Ist dieser Wissensdurst nicht zweideutig? Was sollen die Leute denn schließlich mit all dem Wissen machen, das sie bekommen?“ Foucault: „…Heute müsste man den Unterricht so gestalten, dass er dem Einzelnen ermöglicht, sich nach eigenem Ermessen zu verändern, was aber nur unter der Bedingung möglich ist, dass die Lehre eine ‚permanent‘ angebotene Möglichkeit ist.“
Dienst nach Vorschrift bringt niemanden weiter
Ein anderes funktionierendes Beispiel für ein bereits mit Einheitslohn arbeitendes Unternehmen wurde in der Süddeutschen vorgestellt. Ich empfehle den lesenswerten Bericht auch wegen der darin enthaltenen Kritik an dem neoliberalen Kurs der Gewerkschaften, die Machtstrukturen und Hierarchien viel grundsätzlicher in Frage stellen sollten. Der hierarchische Führungsstil in Unternehmen wie in Gewerkschaften führt nur dazu, dass die Menschen Dienst nach Vorschrift machten, wird einer der Gründer des Unternehmens zitiert. Sein Fazit: „Das bringt die Unternehmen aber nicht weiter.“ Eine andere Folge: Vereinzelung, Standesdünkel und Frust statt gleicher Rechte und Solidarität auch unter den Beschäftigten.
Basisdemokratie und Einheitslohn
In beiden erwähnten Beispielen ist die Einführung eines Einheitslohns eng mit basisdemokratischen Organisationsstrukturen verknüpft, und das ist, denke ich, gut so. Vielleicht auch anders gar nicht machbar. Denn nur so können alle in das Gefühl von Gerechtigkeit hineinwachsen, immer wieder neu, in der direkten Auseinandersetzung mit den anderen, die es betrifft. Damit Neid und Missgunst, das Gefühl, übervorteilt zu werden oder einfach Unzufriedenheit gar nicht erst aufkommen können, braucht es Transparenz und Durchlässigkeit. Fragen müssen diskutiert und gemeinsam beantwortet werden, aber eben auch gestellt – und so wären alle gleichermaßen in der Verantwortung für das, was passiert.
Systemrelevantes Fazit
Einheitslohn ist ein Konzept, das sich im Kleinen (also in einzelnen Unternehmen) jetzt sofort beginnen lässt und das im Großen schließlich seine ganze Sprengkraft beweisen könnte. Wenn alle bewusst Teil am Erfolg oder Misserfolg des Ganzen haben – das Ganze ist auf verschiedenen Ebenen gedacht das Unternehmen genauso wie die Gesellschaft mit all ihren Gemeinschaftseinrichtungen wie Gesundheitssystem und Bildung -, dann gibt es keine Rechtfertigung mehr für Standes- oder Gehaltsunterschiede. Wenn alle gleichen Zugang zu Gesundheitsversorgung, Konsum und Bildung haben, auch nicht für Neid und Hass. Die Unternehmen würden denen gehorchen, die darin Verantwortung übernehmen, sprich arbeiten. Alle zusammen würden wir entscheiden, was wir für systemrelevant, heißt: entlohnenswert, halten, und was nicht. Diese Arbeiten würden wir uns untereinander gerecht aufteilen. Wer mehr arbeitet als durchschnittlich erforderlich, bekommt mehr Geld, wer nicht arbeiten kann, weniger, aber nie nix. Wahrscheinlich käme keine 40-Stunden-Woche dabei raus- stattdessen hätten die meisten bei gleicher Verteilung der erforderlichen Arbeit viel mehr Freizeit als bisher. Wir alle, die wir hier leben (egal ob mit oder ohne Papiere) könnten gemeinsam die Welt gestalten, wie sie uns gefällt. Und Pippi Langstrumpf unseren Präsidentinnenpalast widmen.
Ps: für Risiken und Nebenwirkungen in Bezug auf den Kapitalismus fragen Sie Ihre Ärztin, Ihren Apotheker oder irgendeine*n andere/n, der/dem Sie vertrauen!
Das ist meine Meinung. Ich habe mich Anfang dieses Jahrhunderts einmal für einen Job beworben, nur weil in der Stellenausschreibung Einheitslohn und kollektive Selbstverwaltung in Aussicht gestellt wurden. Heute bin ich anderswo angestellt und gehaltsmäßig vielleicht eher in der oberen Mitte, wäre aber jederzeit bereit, weniger Lohn zu akzeptieren, wenn ein Mittelwert berechnet würde und alle dasselbe bekämen. Wie seht ihr das? Was denkt ihr zum Thema Einheitslohn? Meint ihr auch, das wäre gesamtgesellschaftlich eine gute Idee?
Wir dachten, Hitler baut nur Autobahnen…
Leute! Immer wieder bekomme ich Videos weitergeleitet, die Stimmung machen gegen die angeblich irrwitzigen Anti-Corona-Maßnahmen. Leute, schaut doch mal, von wem diese Videos kommen! Fragt euch doch auch mal, wer oder was DA dahinter steckt.
Ich fürchte, dass es genau diese Stimmungsmache ist, die uns noch in die Vollkatastrophe treiben kann. Zum Beispiel in die Arme eines Egomaniacs oder einer rechtsradikalen Bewegung, für die das Recht auf Meinungsfreiheit wirklich genau da aufhört, wo es nicht die eigene ist.
Überlegt doch mal! Gibt es hier in Deutschland aktuell wirklich einen Maulkorb? Haben wir es nicht verhältnismäßig gut, die wir nicht durch einen Vollidioten regiert werden, der mit dem Leben von hunderttausenden spielt, und dem die Leute, die in den Krankenhäusern arbeiten scheißegal sind? Wo die Maßnahmen einigermaßen nachvollziehbar begründet werden, wo es (bislang) geschafft wurde, Verhältnisse wie in Italien oder New York zu vermeiden und wo versucht wird, kurzfristig zu helfen, wo Not entsteht? (Zumindest vor der eigenen Haustür – und diese Einschränkung ist traurig genug!).
Überlegt doch mal! Haben unsere Regierungsparteien in den letzten Jahrzehnten jemals den Eindruck erweckt, der deutschen Wirtschaft mutwillig schaden zu wollen? Gibt es irgendeinen nicht hanebüchenen Grund, warum sie das jetzt tun sollten, wenn nicht, weil sie über die Brisanz dieser nie dagewesenen globalen Situation ausnahmsweise einmal einig sind? Und womöglich ausgerechnet haben, dass ein zu spätes Eingreifen noch viel höhere soziale und ökonomische Kosten haben könnte?
Wo ist der Vorschlag, wie es besser gehen könnte? Konsens-Entscheidung von 80 Millionen? Oder Diktat derer, die statt Angst vor dem Virus und seinen schwer abzusehenden gesamtgesellschaftlichen Folgen eine noch viel größere Angst vor dem vermeintlich vermeidbaren eigenen finanziellen Abstieg haben? Diktat derer, die meinen, nichts Schlimmeres fürchten zu müssen als weniger konsumieren zu können und eine Weile auf andere Rücksicht zu nehmen? Die sich für eine Mehrheit halten, weil ihre Videos viele Klicks erreichen?
Bei der Stimmungsmache gegen alles arbeiten leider Rechte und manche, die sich selber als Linke bezeichnen, zusammen. Wenn aber am Ende die Rechten davon profitieren, die auf so eine Gelegenheit nur gewartet haben, dann werden wir sehen, dass wir die mit ein paar Klicks, Online-Petitionen und weitergeleiteten Videos nicht so schnell wieder los werden!
Deshalb bitte, recherchiert ein wenig, woher die Videos kommen, bevor ihr sie weiterleitet, nehmt euch die Zeit und lest auch das Kleingedruckte, und überlegt, ob ihr diese Quellen wirklich stark machen wollt!
Wisst ihr auch von manipulativen Videos aus dubiosen/rechten Quellen? Dann teilt hier eure Erfahrungen und Infos dazu!