Frances McDormand versus Policemen

Aktuell und brisant – nicht nur in der Filmindustrie: Frauen werden vergewaltigt und umgebracht, und was passiert? Viel zu selten werden die Schuldigen gefunden, noch seltener zur Rechenschaft gezogen – und das Umfeld geht zur Tagesordnung über. In „Three Billboards outside Ebbing, Missouri“ rebelliert eine Mutter dagegen – entschlossen und ziemlich unerbittlich.

Allein, auf der anderen Seite stehen keine Bilderbuchschurken, sondern erst einmal nur die Dorfpolizei. Homophobe Rassisten mitunter, aber eben auch mit eigenen Sorgen, Träumen, Schwächen. (Hier entstehen die witzigen Momente des Films, zum Brüllen komisch gespielt von Sam Rockwell).

Auf der anderen Seite steht aber bald auch der eigene Sohn, dem die Aktionen der Mutter eher peinlich sind und der daneben kaum einen eigenen Umgang mit dem Tod der Schwester finden kann.

Und ohne Sexismus und Rassismus kleinzureden – was betont werden muss – hält sich der Film nicht bei dem unverzeihlich Bösen auf (dem Vergewaltiger und Mörder), sondern zeigt die Graustufen, wo Menschen einander auch Schmerz zufügen, manchmal aus dem eigenen Schmerz heraus blind für den der anderen werden.

„Three Billboards outside Ebbing, Missouri“ ist im positiven Sinne beeindruckend weil am Ende ein zutiefst menschenfreundlicher Film, der den meisten seiner – großartig gespielten – Figuren die Fähigkeit zugesteht, Fehler zu erkennen und zu versuchen, etwas wieder gut zu machen. Auf glaubwürdige Art, also jenseits von großem Pathos, mitunter unbeholfen und ohne Ecken und Kanten zu verlieren.

Das macht zwar die Toten nicht mehr lebendig, aber die Welt, die bleibt, ein Stückchen lebenswerter *.

* Und dieser Ansatz unterscheidet sich wohltuend von Aufrufen zu Selbstjustiz und Migrantenhatz, die eben keine valide Antwort auf den Mord an einer Frau sind. Wer kann möge deshalb am Samstag, den 3.3.2018 nach Kandel in der Pfalz kommen, um gegenrassistische und ultrarechte Instrumentalisierung von sexueller Gewalt zu demonstrieren!

Wer die Katze nicht ehrt…

Wer die Katze nicht ehrt, ist den Oscar nicht wert! Shape of Water (auf deutsch: Das Flüstern des Wassers), der neue Film von Guillermo del Toro, wird als Märchen für Erwachsene angepriesen und 2018 als Oscar-Kandidat gehandelt. Ich fand ihn im letzten Drittel unnötig brutal und behalte den Oscar daher lieber für mich 😉

Shape of Water ist eine in phantasievollen Bildern erzählte Liebesgeschichte, deren Figuren an Die Schöne und das Biest denken lassen, nur passen sie in unsere Zeit und sind am anderen Ende der sozialen Hierarchien verortet. Und das durchaus mit politischer Absicht. Wie der Regisseur in einem Interview sagt:

…es ist ein Film gegen Ausgrenzung – und für Diversität. Ich glaube nicht an Reinheit, sondern an wilde Kreuzungen. Sie bringen die schönsten Geschöpfe hervor. Das gilt auch fürs Kino. In „Shape of Water“ mischen sich unter anderem Fantasyfilm, Spionagethriller und Musical.

Ein sympathischer Ansatz!

Unsere HeldInnen leben prekär, sind schwarz, schwul, behindert, solidarisch, idealistisch, kreativ…. aber fast unsichtbar in einer Welt, in der militärische Belange und persönlicher Ehrgeiz das Sagen haben. Das personifizierte Böse und seine Familie dagegen sehen aus wie Ken und Barbie, er macht Karriere und berauscht sich an Macht und Konsum, Frau und Kinder sind vor allem dankbar, ergeben und adrett.

Die Ignoranz dieser Macht gegenüber den vermeintlich Ohnmächtigen erlaubt unseren HeldInnen ein Husarenstück, das uns beinahe mitten im Film applaudieren lässt. So weit, so gut.

Doch dann bekommt der Film plötzlich eine Brutalität, für die ich beim besten Willen keinen Grund finde.

In oben genanntem Interview erwähnt del Toro die Szene, in der das Biest einer Katze den Kopf abbeißt, um deutlich zu machen, dass auch Verhaltensweisen, die wir als wild empfinden, zur Andersartigkeit gehören und respektiert werden müssen. Einwand! Auf der filmischen Ebene hätte dafür auch ein anderes Bild gefunden werden können, und auf der übertragenen Ebene sollte doch klar sein, dass spätestens beim Respekt vor dem Leben der Spaß aufhört.

Spätestens ab diesem Moment wird der Film Tarantino-haft in der Darstellung von Gewalt: explizit, blutlüstern, ausgiebig. Und damit verlässt er die Ebene des Märchenhaften und verspielt die Chance, ein Gute-Laune-Film zu werden. Stattdessen waren wir einfach nur froh, als er vorbei war und der Abend bei einem Glas Sekt dann trotzdem noch romantisch wurde.

Wenn ich mir im Nachhinein den Trailer nochmal anschaue, muss ich aber doch sagen, dass der Film auch viel Gutes hat. Ein magisches Look and Feel zum Beispiel (die Stimmung, die Farben!), die Amelie-hafte Sally Hawkins als Elisa, das schmucke Biest, die gesamte Ausstattung, den Soundtrack, und dabei den gesellschaftspolitischen Anspruch. Ohne Katzenmord hätte das echt was werden können!

Ich packe meinen Koffer…

Simone Hirth (Jahrgang 1985) lässt in ihrem gerade erschienenen Roman Bananama ein Mädchen sprechen, das noch keine zehn Jahre alt ist und mit ihren Aussteiger-Eltern völlig isoliert vom Rest der Welt irgendwo auf dem Land lebt. Die Eltern haben beide einen gewaltigen Hau. Die Mutter fängt zigtausend Sachen an, darf dabei nicht gestört werden und macht dennoch nichts zu Ende, weil sie „gerade nicht den Kopf dafür frei“ hat. Der Vater fährt ständig zu Tauschbörsen und vermittelt sein aus dem Internet zusammengeklaubtes Halbwissen, verwurschtelt mit einer ziemlich halbgar anmutenden Ideologie, in unerschütterlicher Borniertheit an die Tochter. Die natürlich auch nicht in die Schule gehen darf. Gefühle, Erfahrungen, Widersprüche werden unter den Tisch gekehrt. Keine Geschwister, keine Freundinnen, keine Oma, kein Haustier: die Einsamkeit des Mädchens ist abgrundtief und allumfassend.

Das Kind entwickelt notgedrungen seine eigenen Strategien, sich unter diesen Rahmenbedingungen zurechtzufinden. In diese Entwicklung gehört auch die Aneignung von Sprache. Doch wo Wort und Erleben nicht zusammenpassen, ist das Wort vergiftet. Dafür schenkt uns die Autorin eindrückliche Bilder. So wird das Kind zu Anfang allerlei Wörter begraben – in Einmachgläsern unter dem großen Walnussbaum. Dort landen zum Beispiel die Angst und das Mitleid. Später wird immer wieder etwas in erdachte Koffer gepackt, in der Vorahnung eines Aufbruchs, als Proviant für ein eigenes Leben. Das ist toll und sehr nachvollziehbar.

Gefehlt hat mir bei alledem aber leider: Dynamik. In Überschriften werden zwar immer wieder Ereignisse in Aussicht gestellt, aber die geweckten Erwartungen werden regelmäßig enttäuscht. Vielleicht soll es uns als LeserInnen nicht anders gehen als dem Kind in der Erzählung? Die ihr hier eintretet, lasset alle Hoffnung fahren? Bitter.

Auch das Ende hat mich nicht ganz überzeugt, kam für mich unvermittelt und viel zu knapp daher. Ich hätte mir mehr Zeit gewünscht, um mich zu verabschieden. Begraben.

Aus diesem Buch packe ich jedoch in meinen Koffer: die Gabe der Beobachtung und den Drang, sich selbst einen Reim auf die Welt zu machen, als Keim der Rebellion.

Den wunderschönen Einband hat Christine Fischer gestaltet.

Loblieder auf weiblichen Ungehorsam

Von Naomi Alderman werden wir sicherlich noch einiges hören in 2018. Morgen, am 12.2. erscheint die deutsche Übersetzung ihres feministischen Sciene Fiction Romans The Power (auf deutsch: Die Gabe), über den ihre Mentorin Margret Atwood sagt: „Electrifying! Shocking! Will knock your socks off! Then you’ll think twice, about everything“. Ende April kommt die Verfilmung ihres Debütromans Disobedience (auf deutsch: Ungehorsam) ins Kino. Letzteren habe ich gerade gelesen. Und zwar extrem gerne.

Jetzt, wo ich ihn weglege, habe ich einiges über jüdisch-orthodoxes Leben gelernt – aus der Perspektive von Frauen und noch spezieller: von Lesben. Ich mochte die Sprache und das intellektuelle Selbstbewusstsein, mit dem religiöse Traditionen hinterfragt wurden, deren Wirkungen auch in andere Welten hineinreichen. Und ich lebte mit den Figuren und wünschte mir einen guten Ausgang aus ihrer schmerzhaften und sich lange zuspitzenden Lage.

Naomi Alderman, Engländerin Jahrgang 1974, wuchs selbst in einem jüdisch-orthodoxem Umfeld auf. Ein Umfeld, in dem Heiraten und Kinderkriegen religiöse Pflichten sind und Homosexualität ein Tabu. In Disobedience (Ungehorsam) erzählt sie vor diesem Hintergrund von zwei Frauen, die eine Liebesgeschichte verbindet. Die eine, Ronit, lebt inzwischen in New York, hat einen guten Job, einen verheirateten Liebhaber, ein paar oberflächliche Freundschaften und eine Therapeutin. Die andere, Esti, ist in der jüdisch-orthodoxen Gemeinde im Norden Londons geblieben, in der beide aufgewachsen sind. Und hat geheiratet. Der Tod von Ronits Vater bringt beide wieder zusammen. Beide sind nun gezwungen, sich noch einmal mit ihrem lesbischen Begehren und den Reaktionen ihrer Umwelt auseinanderzusetzen. Dies geschieht behutsam und aus verschiedenen Perspektiven. Und nebenbei entsteht ein Gefühl davon, wie diese Welt riecht, schmeckt und tickt, in welchem Rhythmus sie sich bewegt.

Analog zu diesem Rhythmus sind den einzelnen Kapiteln des Buches Zitate aus religiösen Texten vorangestellt, die im Anschluss ausgelegt und diskutiert werden. In orthodoxen Kreisen eigentlich eine den Männern vorbehaltene Aufgabe. Naomi Alderman rebelliert gegen diese Entmündigung und ging dabei so weit, dass sie mit Fertigstellung des Romans aufhörte, sich als religiös zu bezeichnen. “I went into the novel religious and by the end I wasn’t. I wrote myself out of it.”, zitiert The Guardian. Respekt.

Die fundierte Auseinandersetzung mit den Grundfesten des jüdisch-orthodoxen Menschenbilds (von dem wir vieles auch in der christlichen Tradition wiederfinden) regt aber auch unabhängig von Religion zum Nachdenken über die eigene Existenz an. Großes philosophisches Kino, um mal wieder flapsig zu sein.

A Propos Kino. Der Trailer gibt für mich eine ganz andere Stimmung wieder als ich sie lesend erlebt habe. Er wirkt klischeehaft altbacken mit seinen düsteren Farben, den dicht aufeinander folgenden dramatischen Dialogen. Die Sprache des Buches habe ich als viel moderner und bunter empfunden, mit genug Raum für Betrachtung und Sinnlichkeit. Es wäre extrem schade, wenn das im Film verloren ginge und der Inhalt des Romans auf die reine Handlung reduziert würde. Aber einen Versuch wird es wohl trotzdem wert sein, mal wieder ins Kino zu gehen.

Auf Naomi Alderman bin ich übrigens durch die interessante Reihe Women in SciFi auf bingereader.org aufmerksam geworden, wo Miss Booleana „Die Gabe“ vorgestellt hat – danke dafür!

Mein Lieblingsgenre im Film

Über Binger Readers wundervolle Serie #WomenInScifi wurde ich auf die Bloggerin Miss Booleana aufmerksam und fand bei ihr den Aufruf zu einer interessanten Blogparade namens Name your Genre. Ich musste nicht lange überlegen: mein Lieblingsgenre im Film sind anarchistische Geschichten mit weiblichen Heldinnen und gerne auch skurrilem Einschlag. Kein griffiger Titel, was? Also eigentlich meine ich sowas wie Gaunerkomödien, nur halt eben mit weiblichen Heldinnen. Gaunerinnenkomödie klingt allerdings furchtbar. Auf Englisch ist es einfacher: wenn Gaunerkomödie tatsächlich Crime Caper heißt, und ich die Wikipedia-Definition von Caper Stories richtig verstehe, dann wäre der Begriff Lady Capers genau der richtige!

Ein paar Beispiele für dieses Genre:

Louise Hires a Contract Killer mit der wundervollen Yolande Moreau in der Hauptrolle!!! (Viel zu lang nicht mehr gesehen…):

Yolande Moreau spiel auch in Das brandneue Testament mit, die Obergaunerin hier ist aber Pili Groyne. Sie nimmt es sogar mit Gott auf (der kein lieber ist, sondern ein Arschloch, das in Brüssel wohnt).

Auch dies hier ist für mich ein Gaunerstück, hier geht es um die Aneignung Schwarzer Filmgeschichte. Von der Filmemacherin Cheryl Dunye habe ich danach leider nie wieder was gehört…

https://www.youtube.com/watch?v=uXRYhmx9AXo

Jackie Brown passt irgendwie auch in das Genre – leider mag ich Tarantino nach den Aussagen von Uma Thurman zu den Dreharbeiten bei Kill Bill auch nicht mehr so ganz gerne empfehlen. Und den Bechdel-Test besteht dieser Film wohl auch nicht. Trotzdem: Die großartige Pam Grier als Jackie Brown reißt es raus!

Als Klassiker zählt für mich – trotz des unbefriedigenden Endes – auch noch dazu: Thelma und Luise!

Und sie ist wahrscheinlich schuld:

https://m.youtube.com/watch?v=vS4DNnp8ZhM

Danke, Pipi!

Ich wünschte, mir würden noch viel mehr Filme dieses Genres einfallen, leider lässt mich mein Gedächtnis manchmal im Stich… Tipps und Ergänzungen sind also mehr als willkommen!

Als Kind in Wackersdorf, mit 30 an der Kasse

Nachdem ich jetzt mehrere Bücher wieder weggelegt habe (u.a. Zadie Smith weil mich das Leben mit einer POP-Ikone auf Dauer langweilt, Lauren Groff weil zu hetero, Eva Dolan weil die politisch aktive junge Frau einem Widerling verfallen ist, der sie mies behandelt), habe ich endlich mal wieder ein Buch zum verschlingen entdeckt: „Das wussten wir schonvon Noemi Schneider.

An der Kasse keines gewöhnlichen, sondern natürlich eines verpackungsfreien Supermarkts treffen wir die Ich-Erzählerin dieses äußerst kurzweiligen und frechen Romans. Eigentlich ist sie Filmemacherin, nur ist Kultur halt eben auch ein Business, in das sie irgendwie nicht reinpasst mit ihren Ideen.

Ihre Mutter, deren Mitgefühl für Flüchtlinge größer zu sein scheint, als das Mitgefühl für die eigene Tochter, überlässt ihr Gartenhaus einem von der Abschiebung bedrohten Salafisten just in dem Moment, als die Erzählerin sich ihre Wohnung nicht mehr leisten kann. Von da aus nimmt eine Geschichte ihren Lauf, die der deutschen Mittelschicht aller Altersstufen sowie sozialen und Mainstream-Medien den Spiegel vorhält und dabei nicht mit wundervoll bizarren Szenen geizt.

Aus Sicht der in den 1980ern geborenen Kinder erleben wir eine politisch linksorientierte und inzwischen gut situierte und selbstgerechte Elterngeneration, die die emotionale Befindlichkeit und die Lebenswirklichkeit ihrer Kinder kaum wahrnimmt. Trotzdem handelt es sich hier nicht um eine überhebliche Abrechnung mit allem, was den Kindern da hinterlassen wird. Stattdessen ist immer spürbar, wieviel Sympathie und Einverständnis die Tochter den Ansichten ihrer immer noch aktiven Mutter in vielen Aspekten entgegenbringt. Und wieviel anarchistische Freude an unkonventionellen Lösungen sie doch geerbt hat. Am Ende gilt es, dieses Erbe in die Gegenwart zu übertragen und den Missständen der Gesellschaft, so wie die jüngere Generation sie antrifft, mit zeitgemäßen Mitteln und auf eigene Art entgegenzutreten. Eine gewisse Distanz allerdings bleibt. Nachvollziehbar.

Wenn ihr hören wollt, wie das klingt: hier liest die Autorin selbst:

… und wenn ihr jetzt noch mehr Motivation braucht: Barbara Junge von der taz war auch ganz begeistert und hat Noemi Schneider 2017 auf der Leipziger Buchmesse getroffen: