Erfahrung ist ein Kamm, den man erst bekommt, wenn einem die Haare schon ausgefallen sind. Ähnlich wie Karl Valentin ging es mir mit diesem Buch, das eine launig erzählte lesbenzentrierte Lektüre für den Urlaub in Italien hätte sein können, das ich aber erst jetzt entdeckt habe, wo wir längst wieder zurück sind.
Nach so viel harter Kost hätte ich jetzt gerne mal was Leichtverdauliches gelesen. Einen Krimi vielleicht, und er sollte in einer mir etwas verwandteren Welt spielen…. Mal schauen, ob unter den Neuerscheinungen bei den einschlägigen Verlagen was dabei ist…. Ha – im Querverlag ein neuer Krimi von Ria Klug – queeres, lesbisches und linkes Personal, das könnte passen! Und Krug und Schadenberg, die dieses Jahr ihr 25-jähriges Jubiläum als Verlag für lesbische Literatur feiern, haben einen neuen Krimi von Katherine Forrest herausgebracht: Wüstenfeuer. Vorweg soviel: Beide Krimis habe ich im Urlaub verschlungen – aber es ist mir nicht in beiden Fällen gut bekommen.
Katherine Forrest erzählt an Hand ihrer Ermittlerin vom Älterwerden, von Abschieden, vom Wert alter Lieben und Freundschaften, und davon, dass es nie zu spät ist, mit alten, schädlichen Gewohnheiten zu brechen, um sich selbst und anderen ein Stück näher zu kommen. Das alles, während die Suche nach ihrem plötzlich verschwundenen Ex-Kollegen unaufhaltsam auf einen nervenzerreissenden Showdown zusteuert. Ein toller Krimi, in dem lesbische Lebenswirklichkeit selbstverständlich ist. Endlich einmal kein Problem, sondern einfach Teil der Geschichte. Zusammen mit den oben genannten Themen macht ihn genau das für mich unbedingt empfehlenswert. Irgendwie eine runde Sache:
Ria Klugs „Gefährliche Vergangenheit“ dagegen hat in mir eher einen wirren und unbefriedigenden Eindruck hinterlassen. Der Thriller ist in einer extremen Nischenwirklichkeit angesiedelt, nämlich den Überbleibseln der militanten Linken (Ex-RAF und Umfeld) in Berlin. Geschildert wird eine Atmosphäre, in der Geldsorgen, Misstrauen und Verrat an der Tagesordnung sind, politisch engagiert ist eigentlich niemand mehr (???). Die Konfliktlinien verlaufen zwischen dem Protagonisten Riva, der früher als Frau bei den italienischen Roten Brigaden war, und dessen unsympathischem Ex-Genossen Sandro, vor dem er auf der Flucht ist. Daneben konkurrieren noch diverse miese Charaktere aus der Szene um ein vermutetes Gelddepot aus den 1980er Jahren, von dessen Entdeckung sie sich die Lösung ihrer Probleme versprechen. Wenn man es genau nehmen will: ziemlich klischeehaft und ein bißchen an den Haaren herbeigezogen. Aber okay. Was mich dabei bei der Stange gehalten hat, war einerseits die Frage, was es wohl mit der plötzlich aus dem Nichts auftauchenden blonden Retterin auf sich hat. Und andererseits die Hoffnung, dass die Wahl des Settings sich als absichtsvoll erweisen würde. Diese Hoffnung, und das ist mein Hauptkritikpunkt an diesem Buch, wurde leider vollends enttäuscht. Eine solche Absicht hätte sein können, historische oder aktuelle Ereignisse ins Gedächtnis zu rufen und neu zu beleuchten. Ein Vorbild hierfür ist Wolfgang Schorlau, der jeden seiner Krimis mit ausführlichen Recherchenachweisen und Links unterfüttert (siehe zb seine Materialien zu „Das München Komplott“). Aber vielleicht habe ich ja etwas übersehen? Wer sich selber ein Bild machen will:
Von Naomi Alderman werden wir sicherlich noch einiges hören in 2018. Morgen, am 12.2. erscheint die deutsche Übersetzung ihres feministischen Sciene Fiction Romans The Power (auf deutsch: Die Gabe), über den ihre Mentorin Margret Atwood sagt: „Electrifying! Shocking! Will knock your socks off! Then you’ll think twice, about everything“. Ende April kommt die Verfilmung ihres Debütromans Disobedience (auf deutsch: Ungehorsam) ins Kino. Letzteren habe ich gerade gelesen. Und zwar extrem gerne.
Jetzt, wo ich ihn weglege, habe ich einiges über jüdisch-orthodoxes Leben gelernt – aus der Perspektive von Frauen und noch spezieller: von Lesben. Ich mochte die Sprache und das intellektuelle Selbstbewusstsein, mit dem religiöse Traditionen hinterfragt wurden, deren Wirkungen auch in andere Welten hineinreichen. Und ich lebte mit den Figuren und wünschte mir einen guten Ausgang aus ihrer schmerzhaften und sich lange zuspitzenden Lage.
Naomi Alderman, Engländerin Jahrgang 1974, wuchs selbst in einem jüdisch-orthodoxem Umfeld auf. Ein Umfeld, in dem Heiraten und Kinderkriegen religiöse Pflichten sind und Homosexualität ein Tabu. In Disobedience (Ungehorsam) erzählt sie vor diesem Hintergrund von zwei Frauen, die eine Liebesgeschichte verbindet. Die eine, Ronit, lebt inzwischen in New York, hat einen guten Job, einen verheirateten Liebhaber, ein paar oberflächliche Freundschaften und eine Therapeutin. Die andere, Esti, ist in der jüdisch-orthodoxen Gemeinde im Norden Londons geblieben, in der beide aufgewachsen sind. Und hat geheiratet. Der Tod von Ronits Vater bringt beide wieder zusammen. Beide sind nun gezwungen, sich noch einmal mit ihrem lesbischen Begehren und den Reaktionen ihrer Umwelt auseinanderzusetzen. Dies geschieht behutsam und aus verschiedenen Perspektiven. Und nebenbei entsteht ein Gefühl davon, wie diese Welt riecht, schmeckt und tickt, in welchem Rhythmus sie sich bewegt.
Analog zu diesem Rhythmus sind den einzelnen Kapiteln des Buches Zitate aus religiösen Texten vorangestellt, die im Anschluss ausgelegt und diskutiert werden. In orthodoxen Kreisen eigentlich eine den Männern vorbehaltene Aufgabe. Naomi Alderman rebelliert gegen diese Entmündigung und ging dabei so weit, dass sie mit Fertigstellung des Romans aufhörte, sich als religiös zu bezeichnen. “I went into the novel religious and by the end I wasn’t. I wrote myself out of it.”, zitiert The Guardian. Respekt.
Die fundierte Auseinandersetzung mit den Grundfesten des jüdisch-orthodoxen Menschenbilds (von dem wir vieles auch in der christlichen Tradition wiederfinden) regt aber auch unabhängig von Religion zum Nachdenken über die eigene Existenz an. Großes philosophisches Kino, um mal wieder flapsig zu sein.
A Propos Kino. Der Trailer gibt für mich eine ganz andere Stimmung wieder als ich sie lesend erlebt habe. Er wirkt klischeehaft altbacken mit seinen düsteren Farben, den dicht aufeinander folgenden dramatischen Dialogen. Die Sprache des Buches habe ich als viel moderner und bunter empfunden, mit genug Raum für Betrachtung und Sinnlichkeit. Es wäre extrem schade, wenn das im Film verloren ginge und der Inhalt des Romans auf die reine Handlung reduziert würde. Aber einen Versuch wird es wohl trotzdem wert sein, mal wieder ins Kino zu gehen.
Schöne Frauen und eine raffinierte Story zwischen Thriller und Liebesgeschichte – ein super Rezept für einen Film, keine Frage. Der Plot geht auf einen Roman von Sarah Waters zurück, einer bereits mehrfach ausgezeichneten lesbischen Autorin aus Wales. Verfilmt hat ihn nun ein Mann.
Was ist der Mehrwert des neuen Films von Park Chan-wook? Gegenüber der früheren BBC-Verfilmung die Opulenz. Schauspielerinnen, Kostüme, Ausstattung, Stimmung: all dies von Anfang bis Ende – über 145 Minuten hinweg – eine Augenweide. Die Ästhetik begleitet mich immer noch durch trübe Wintertage.
Der südkoreanische Regisseur hat es aber dabei nicht belassen, er hat der Geschichte noch eine von Sarah Waters nicht vorgesehene Dimension von Pornographie und Gewalt hinzugefügt – und das macht den Film für mich dann doch schwer verdaulich. Leider! Denn auch wenn diese Elemente, soviel sei verraten, am Ende nicht siegen – einmal mehr wurden sie in die Welt gebracht und leben dort fort (Denken Sie nicht an einen rosa Elefanten!).
Im Film kommen mehrere längere lesbische Sexszenen vor. Wieviel Voryuerismus wohl dahintersteckt? Hoffen wir mal, dass es nicht so lief wie bei „Blau ist eine warme Farbe“, wo die Schauspielerinnen sich beim Dreh sexuell ausgebeutet fühlten.
Das offensichtlich mehrheitlich heterosexuelle Kino-Publikum bei der Sneak Preview quittierte die lesbischen Liebesszenen mit nervösem Gekicher, scheinbar gelangweiltem Stöhnen und hier und da (zum Glück unterhalb meiner Wahrnehmungsschwelle) wohl sogar mit einem Igitt. Geräuschen jedenfalls, die ich bei heterosexuellen Sexdarstellungen im Kino so noch nie erlebt habe. Laut theguardian.com ist es Park Chan-wook ein Anliegen, mit diesem Film Homosexualität in Asien zu enttabuisieren. Da braucht es in Deutschland wohl auch noch etwas Anstrengung. Und ob im Kontext von Kamasutra-Texten und -Zeichnungen Tabus auf gesellschaftlicher Ebene fallen, und nicht einfach erotische Phantasien bedient werden, würde ich auch eher bezweifeln.
Insgesamt ein frauenfreundlicher, aber immer noch ein Männerblick auf Frauenliebe. Und deshalb, bei aller Schönheit der Bilder, doch nicht ganz das, was mein Lesbenherz begehrt.