Aufgegeben. Über mich und Katie.

Die Rezension eines Buchs sagt wahrscheinlich mindestens so viel über die, die sie schreibt, wie über das Buch selbst. Mir zum Beispiel fehlte einfach die Geduld für Katie, den neuen Roman von Christine Wunnicke, auf den ich über die SWR Bestenliste gekommen bin. Kurz vor Seite 100 von 176 habe ich aufgegeben.

Bis dahin ist es der Autorin nicht gelungen, mich für eine der handelnden Personen tiefer zu interessieren. Ich fand sie alle relativ unsympathisch, irgendwie herzlos, habe ihre Motive nicht verstanden. Die Beschreibung der aus heutiger Sicht teilweise hanebüchenen Theorien und slapstickhaft überzeichneten Vorgehensweisen der (männlichen) Wissenschaftler im 19. Jahrhundert war zwar mitunter extrem lustig, aber alleine nicht genug, um mich bei der Stange zu halten. Dabei ist die Grundidee bestechend: Aus der Distanz zu zeigen, wie gründlich wissenschaftliche Theorien sich eines Tages als absurd erweisen können und wie wenig sie sich in der Rückschau manchmal von vermeintlicher Esoterik unterscheiden.

Was sagt das nun über mich? Dass Themen zwar mein Grundinteresse an einem Buch triggern können, dass ich aber auch mit Herz und Gefühl dabei sein möchte. Das heißt für mich zum Beispiel, die Personen so sehr zu mögen oder so faszinierend zu finden, dass ich mit ihnen mitfiebere, in eine fiktive Welt so organisch einzutauchen, dass ich sie nur ungern wieder verlassen möchte, auf sich (mir) stellende Fragen unbedingt eine Antwort finden zu wollen, süchtig nach der Sprache zu werden. Nichts davon war bei Katie so richtig der Fall.

„Es liest sich wie eine Übersetzung aus dem 19. Jahrhundert“, sagt Daniela Strigl bei der Buchvorstellung im SWR und findet das – im Gegensatz zu mir – gut. Vielleicht muss eine viktorianische Literatur lieben, um diesen Roman zu mögen oder zu verstehen? Dann oute ich mich hier als eine, die dies nicht tut.

Kein besser, kein schlechter, aber da mich niemand dafür bezahlt oder dazu zwingt, Bücher zu Ende zu lesen, die ich nicht mag, tue ich es auch nicht. Selbst wenn ich so nie erfahren werde, ob Katie nicht doch auch mich noch hätte verführen können.

Komischer Kauz – von Vögeln statt vom Vögeln

Die deutschsprachige Autorin Marjana Gaponenko (Jahrgang 1981, geboren in der Ukraine) stellt uns einen komischen Kauz vor. Der Roman „Wer ist Martha?“ lässt uns an seinem Abgang aus dieser Welt teilhaben. Luka Lewadski, jetzt 96 Jahre alt, hat sich schon als Jugendlicher entschieden, dem schnöden und schmerzhaften Zwischenmenschlichen den Rücken zu kehren und sich lieber mit Vögeln zu befassen, worin er es tatsächlich zu einiger Meisterschaft gebracht hat. Als sein Arzt ihm mitteilt, dass er Lungenkrebs hat, beschließt er, seine Ersparnisse und seinen guten Namen zu nutzen, um die letzten Tage seines Lebens nicht im Krankenhaus, sondern in der Luxussuite des besten Wiener Hotels zu verbringen – bezahlen wird er am Ende ohnehin mit dem Leben. Diese mutige und verschmitzte Entscheidung zusammen mit seiner Vogelverrücktheit macht ihn sympathisch, auch wenn er ansonsten ein ziemlich überheblicher Misanthrop zu sein scheint. Und so wollte ich wissen, wie es ihm denn nun in seinen letzten Tagen ergeht. Und wer zum Teufel Martha ist.

Spoiler: die Vogelperspektive auf sein Leben bleibt ihm wie uns letztendlich verwehrt, Erinnerungen und Bilanzen bleiben ausschnitt- und flatterhaft, am Ende lesen wir wie im Fieber ins Nichts hinein und wissen nicht mehr, ob wir uns in Realität, Fiktion oder Traum befanden. Ich zumindest bleibe verwirrt zurück, und unzufrieden. Als fehlte etwas am Schluss.

Dazwischen: eine reiche Sprache, Wissenswertes und Kurioses über Vögel, ein bißchen Musikgeschichte und ein paar wenige, aber sehr zarte Begegnungen, die andeuten, was ihm als Misanthrop entgangen sein könnte im Leben.

Ich suche ja immer wieder leidenschaftlich nach Frauen, die schreiben können und mir etwas zu sagen haben. Bei Marjana Gaponenko finde ich ersteres, aber bewegt hat das Buch nichts in mir. Sauschade eigentlich. Und ein bißchen im Widerspruch dazu, dass sie von sich selbst in einem Interview sagt, sie schreibe, weil sie sich für die Zusammenhänge dieser Welt interessiert. Habe ich etwas übersehen? Oder ist das Buch einfach nicht für mich?

Stattdessen mache ich mir Gedanken, warum Frauen, die es im Literaturbetrieb zur Veröffentlichung in einem großen Verlag, zu Besprechungen in renommierten Medien und zu dem einen oder anderen Preis schaffen, in ihrem Werk so scheinbar regelmäßig Männern die größte Aufmerksamkeit zukommen lassen. Wäre diese Geschichte anders geworden, wenn die Protagonistin weiblich gewesen wäre? Falls ja, inwiefern? Und hätte das Buch dann dieselbe Beachtung gefunden? Das würde ich die Autorin zu gerne persönlich fragen.

Mensch Jungs, ihr blickt doch gar nix….

In dem wundervollen Kurzroman „Die Kieferninseln“ von Marion Poschmann führen uns zwei sehr von sich selbst überzeugte Männer vor, wie Leben nicht geht, und das ist mitunter brüllend komisch. Während der eine sämtlichen Ehrgeiz in eine möglichst stilvolle Vernichtung seiner selbst steckt, prahlt der andere mit der Entdeckung einer Welt, von der er nie etwas anderes bemerkt als die Diskrepanz zu seinen eigenen Vorstellungen. Die Frau soll sich das alles anhören und ihm über die so erzeugte Einsamkeit hinweghelfen, Rederecht bekommt sie nicht.

Wenn eine Frau eine solche Geschichte so schreibt, dann hat sie – zumindest intellektuell – diese Art Mann und diese Art Beziehung weit hinter sich gelassen. Das ist aber nur eine Ebene des Vergnügens. Die Bilder, mit denen sie uns zeigt, wie es um ihre Protagonisten bestellt ist, sind frisch und skurril, eigen genug, um zu bleiben. Die Sprache, in der sie zu uns sprechen, ist ebenso punktgenau entlarvend wie die äußere Handlung. Die Beschreibung der Schauplätze (Japan, zwischen Tokio und den namensgebenden Kieferninseln) in sich schon ein Genuss. Marion Poschmann kann Roman.

https://www.suhrkamp.de/buecher/die_kieferninseln-marion_poschmann_42760.html

Gewaltfreie Kommunikation trifft Ellbogen

In dem viel besprochenen Roman „Ellbogen“ von Fatma Aydemir spricht eine gerade 18-jährige, in Deutschland aufgewachsene Türkin zu uns, und ihre Sprache ist weder gewaltfrei noch freundlich. 

Auch die Geschichte ist es nicht.  Die junge Frau hat keine Heimat, nicht in ihrer Familie, nicht in einer Gesellschaft (weder der „kartoffeldeutschen“ noch der türkischen).  Am Ende der Pubertät und einer fadenscheinigen Schulbildung mit, so wird angedeutet, überforderten LehrerInnen, sieht sie keinerlei Zukunft für sich.  Ihr einziger Bezugspunkt ist eine kleine Clique von Freundinnen, denen es ebenso geht.

Für diese Mädels ist „Opfer“ ein Schimpfwort, und so treten sie auch auf, solange sie im Mob sind: wehrhaft, großmäulig, verächtlich und verbal aggressiv gegen alles, wovon sie sich schlecht behandelt, angegriffen, beleidigt oder ausgegrenzt fühlen. Und auch gegen vieles, was anders ist als sie, aber als Teil der „kartoffeldeutschen“ Gesellschaft empfunden wird, die sie ausschließt.

Als sie zusammen einmal zu viel zurückgewiesen werden, einmal zu viel auf Vorurteile treffen, einmal zu viel blöd angemacht werden, weil sie Frauen sind,  schlagen sie um sich. Bis der Täter, ein betrunkener, „kartoffeldeutscher“ Student, zum Opfer wird und leblos auf den U-Bahngleisen liegt.

Achtung, Spoiler: Wer nun auf Reue hofft, wird bis zum Ende des Buchs vergeblich warten. 

Es gibt auch keine andere Art von Happy End, lediglich die Erkenntnis, letztlich auf sich ganz allein zurückgeworfen zu sein und das Leben selbst in die Hand nehmen zu müssen. Eine Erkenntnis, die auch dazu zwingt, bewusst Verantwortung für das eigene Handeln zu übernehmen.

Wenn wir alle doch nur schon an diesem Punkt wären! 

Auch als Angehörige von In-Groups (als Kartoffeldeutsche mag ich mich selbst nicht so gern bezeichnen) können wir noch viel lernen, wenn es um das Bewusstsein über die eigenen inneren Beweggründe und die Artikulierung von Bedürfnissen geht. Um das Wissen, dass ich andere niemals dazu zwingen kann, dasselbe zu wollen wie ich. Und wenn ich sie dazu zwinge, so zu tun, werden sie mich (oder sich selbst) wahrscheinlich dafür hassen. 

Marshall Rosenberg, Erfinder der Methode „gewaltfreie Kommunikation“, sagt, ich kann aber erklären und bitten. Und versuchen, den oder die andere erst einmal wirklich zu verstehen.  Dann entstehen womöglich Empathie, Respekt und der Raum, in dem wir freiwillig versuchen, uns das Leben gegenseitig angenehmer zu gestalten.