Rückkehr nach Reims … gespielt in Deutschland

Nach der Premiere von “Rückkehr nach Reims“ an der Berliner Schaubühne stehe ich vor einer Menge Fragen.  In dem hier als Aufhänger benutzen Buch des französischen Soziologen Didier Eribon ( hier zur Verlagsinfo) geht es um die Auseinandersetzung eines homosexuellen Intellektuellen mit seiner proletarischen Herkunft und um die Frage, warum rechte Bewegungen heute in solchen Milieus starken Zulauf genießen. Auf der Bühne stellt Hauptdarstellerin Nina Hoss dem den Lebenslauf ihres Vaters gegenüber, früher Kommunist, Gewerkschafter und Gründungsmitglied der Grünen. Diese Entscheidung finde ich eher irritierend als erhellend.

Fragen an Didier Eribon – oder an mich.

Habe ich das richtig verstanden, dass Sie von einer neuen intellektuellen Avantgarde träumen, davon, der Klasse der Ausgeschlossenen (ArbeiterInnen?) eine neue Führung anbieten zu können? 

Würde sich darin nicht genau jene soziale Gewalt fortsetzen, deren Auswirkungen sie gerade erst (für sich) entdeckt haben?

Haben Sie Ihren intellektuellen und persönlichen Einsatz für dieses Buch auf der Bühne wiedergesehen? 

Fragen an Nina Hoss – oder an Thomas Ostermeier – oder an mich.

Wo genau liegt die Bedeutung der Lebensführung Ihres Vaters im Vergleich mit der von Herrn Eribon Senior? Hätte das deutlicher herausgearbeitet werden können?

Respekt vor der gezeigten Integrität Ihres Vaters, aber: Warum konnte es nicht ein französischer Gegenentwurf sein?

Warum überhaupt ein individueller Ausnahme-Lebenslauf gegen eine soziologische Analyse? 

Sind Sie nicht einfach saufroh, dass Sie es mit Ihrem Vater und Ihrer Beziehung zu ihm offensichtlich viel einfacher hatten als Herr Eribon? Warum nicht Danke sagen zum Schicksal und sich trotzdem mit den eingebrachten Fragen intellektuell auseinandersetzen?

Fragen an Thomas Ostermeier – oder an mich.

Haben die Deutschen die besseren Geschichten von Arbeiterkampf?

Warum endet die Diskussion zweier Kulturschaffender mit einem weißen deutschen Heilsbringer am Amazonas?

Warum fehlt der Mut, mehr Klarheit in den Köpfen zu fordern? Oder sollte ich auf diesen Gedanken angesichts des zuweilen hilflosen Gestammels der Figuren auf der Bühne selbst kommen? Angeregt durch die einzige Figur, die sich noch auszudrücken wusste: den kiffenden, beinahe alleinerziehenden Rapper aus dem Studio?

Lob an die Bühnenbildnerin. Und das ganze Team vor und hinter den Kulissen. Eure Arbeit ist nicht umsonst, der Abend geht mir deutlich nach. Und zwar mit schönen und starken Bildern von der Aufführung vor unaufgeregt, aber bedeutungstragend und warm gestalteter Bühne. Und dafür ganz herzlich: danke.

Gewaltfreie Kommunikation trifft Ellbogen

In dem viel besprochenen Roman „Ellbogen“ von Fatma Aydemir spricht eine gerade 18-jährige, in Deutschland aufgewachsene Türkin zu uns, und ihre Sprache ist weder gewaltfrei noch freundlich. 

Auch die Geschichte ist es nicht.  Die junge Frau hat keine Heimat, nicht in ihrer Familie, nicht in einer Gesellschaft (weder der „kartoffeldeutschen“ noch der türkischen).  Am Ende der Pubertät und einer fadenscheinigen Schulbildung mit, so wird angedeutet, überforderten LehrerInnen, sieht sie keinerlei Zukunft für sich.  Ihr einziger Bezugspunkt ist eine kleine Clique von Freundinnen, denen es ebenso geht.

Für diese Mädels ist „Opfer“ ein Schimpfwort, und so treten sie auch auf, solange sie im Mob sind: wehrhaft, großmäulig, verächtlich und verbal aggressiv gegen alles, wovon sie sich schlecht behandelt, angegriffen, beleidigt oder ausgegrenzt fühlen. Und auch gegen vieles, was anders ist als sie, aber als Teil der „kartoffeldeutschen“ Gesellschaft empfunden wird, die sie ausschließt.

Als sie zusammen einmal zu viel zurückgewiesen werden, einmal zu viel auf Vorurteile treffen, einmal zu viel blöd angemacht werden, weil sie Frauen sind,  schlagen sie um sich. Bis der Täter, ein betrunkener, „kartoffeldeutscher“ Student, zum Opfer wird und leblos auf den U-Bahngleisen liegt.

Achtung, Spoiler: Wer nun auf Reue hofft, wird bis zum Ende des Buchs vergeblich warten. 

Es gibt auch keine andere Art von Happy End, lediglich die Erkenntnis, letztlich auf sich ganz allein zurückgeworfen zu sein und das Leben selbst in die Hand nehmen zu müssen. Eine Erkenntnis, die auch dazu zwingt, bewusst Verantwortung für das eigene Handeln zu übernehmen.

Wenn wir alle doch nur schon an diesem Punkt wären! 

Auch als Angehörige von In-Groups (als Kartoffeldeutsche mag ich mich selbst nicht so gern bezeichnen) können wir noch viel lernen, wenn es um das Bewusstsein über die eigenen inneren Beweggründe und die Artikulierung von Bedürfnissen geht. Um das Wissen, dass ich andere niemals dazu zwingen kann, dasselbe zu wollen wie ich. Und wenn ich sie dazu zwinge, so zu tun, werden sie mich (oder sich selbst) wahrscheinlich dafür hassen. 

Marshall Rosenberg, Erfinder der Methode „gewaltfreie Kommunikation“, sagt, ich kann aber erklären und bitten. Und versuchen, den oder die andere erst einmal wirklich zu verstehen.  Dann entstehen womöglich Empathie, Respekt und der Raum, in dem wir freiwillig versuchen, uns das Leben gegenseitig angenehmer zu gestalten.