Warum Männer sich vor intelligenten Robotern fürchten sollten

Im Vorbeifahren sehe ich einen Mann zusammengesunken auf einer Parkbank sitzen. Klar halte ich an und schaue, ob ich helfen kann. Es ist ein dicklicher, ungepflegt wirkender Mann mittleren Alters, spontan nicht direkt sympathisch. Aber. Ich spreche ihn laut und deutlich an – keine Reaktion. Ich überwinde meinen Ekel, fasse an seine Schulter und rüttle ihn ein wenig. Hallo, geht es Ihnen gut?

Jetzt ratet mal, was dann passiert! Hundert Punkte für die “Paranoiden“ unter uns: kaum regt er sich wieder, baggert er mich plump an. Und als ich nicht drauf eingehe, beschimpft er mich noch!

Ich bin nicht fassungslos, denn so etwas passiert mir nicht zum ersten Mal.

An dieser Stelle muss ich an Cozmo denken, den ich heute kennengelernt habe. Cozmo wäre das wahrscheinlich nicht passiert. „Sein Charakter entwickelt sich mit seinen Erlebnissen ständig weiter“, so die Werbung für den „kleinen Roboter mit großem Verstand und noch größerer Persönlichkeit“, der „hunderte“ Emotionen „kennt“ und in seine Handlungen einfließen lässt. Erlebten Frustrationen geht er künftig eher aus dem Weg.

Bin ich blöder als ein Spielzeug aus den Werkstätten der künstlichen Intelligenz? Was meint ihr?

Ich denke anders darüber.

Weil es mir am Ende um mehr geht als den Erfolg oder Misserfolg meines Handelns. Mir bedeutet es mehr,  das getan zu haben, was ich richtig finde. Und dazu gehört es, Menschen in Not nicht zu ignorieren. Selbst wenn sie sich als undankbare männliche Arschlöcher entpuppen. Ich definiere mich auch anhand übergeordneter Werte. Ich kann den achtjährigen Sohn nicht aus dem Fenster schmeißen, um mich zu retten*.

Vielleicht sichert genau das den Männern (insbesondere den zahlreichen Arschlöchern unter ihnen) in dieser Welt tatsächlich noch das Überleben. Um sich für die Zukunft abzusichern, sollten sie dafür sorgen, dass sie nicht auf rational agierende Roboter angewiesen sind. Oder ihr Verhalten ändern.  Was von beidem wird wohl passieren?

* Ein Zitat von Christa Reinig:

SONNTAG
Schmeiß
deinen achtjährigen sohn vom balkon
und du bist gerettet

Da Tschu am Internationalen Frauentag

Gesten war der internationale Frauentag. Heute sitze ich wieder in einer technischen Besprechung als einzige Frau unter Männern. Wir sind in Deutschland, im Jahr 2017. ( Erspart es mir, an dieser Stelle beweisen zu müssen dass ich auch um andere Formen von Behinderung, Gewalt und Unterdrückung weiß.)

Anfang der 1980er Jahre begegnete mir zum ersten Mal I Ging,  das Buch der Wandlungen. Ich war Teenager und wollte wissen, wann und wie mir die Welt endlich wirklich gehören würde. Warf das Orakel und bekam das Zeichen Nr 26, Da Tschu, Der Großen Zähmungskraft, das mich zu Beharrlichkeit verdonnern wollte. Das war das Ende meiner Freundschaft mit dem Buch.

Gestern fand ich eine Ausgabe davon, und heute schlage ich sie blind auf, und lande wo? Genau.

Fördernd ist Beharrlichkeit. Bingo! Aus meiner Ungeduld ist über die Jahre ganz von selbst Beharrlichkeit geworden. Einfach weil ich mich allem Zeitgeist und allen Rückschritten zum Trotz nicht habe verrücken lassen. Bin über all das nicht verrückt geworden, sondern fühle mich mehr denn je im Vollbesitz meiner geistigen Kräfte. Wichtiger noch: meiner schöpferischen Kräfte. Und bin damit auch nicht allein. Das durfte ich gestern erleben, durch die vielfältigen Begegnungen und Aktivitäten am internationalen Frauentag. Wir sind viele, befinden uns auf der Erde und schreiben das Jahr 2017.

Weder der Blick zurück noch der Blick nach vorn sollen mir mehr den Blick auf das verstellen, was am wichtigsten ist: ich lebe! Hier und jetzt ist gleichzeitig alles was war und (die Basis für) alles was sein würd. Die Kraft, die darin steckt, wird immer mehr – sie kann gar nicht anders!

Das spricht für mich heute aus dem Zeichen des I Ging ( ich übersetz das jetzt mal schnell neu):

Der Großen Zähmungskraft. Fördernd ist

Beharrlichkeit.

Nicht zu Hause bleiben!

Fördernd ist es, mutig zu sein.

Zum Festhalten und Ansammeln von großen, schöpferischen Kräften, wie es in dem Zeichen dargestellt ist, bedarf es eines lebenden Wesens, das von einem klaren Willen gestützt und geschützt, genährt und geehrt wird. Das Zeichen Kien deutet auf starke Schöpferkraft, das Zeichen Gen auf Festigkeit und Wahrheit, beide deuten auf Licht und Klarheit und auf tägliche Erneuerung des Charakters. Nur durch eine solche tägliche Selbsterneuerung bleibt Frau auf der Höhe der Kraft. Um durch diese das Geschenk des Lebens und der weiblichen Freiheit zu ehren ist es günstig, nicht zu Hause zu bleiben, sondern in der 0ffentlichkeit für ein besseres Leben einzustehen. Frau ist im Einklang mit dem Himmel; darum gelingen auch schwere, gefahrvolle Unternehmungen.

DAS BILD

Der Himmel inmitten des Berges:

das Bild von der Großen Zähmungskraft.

So lernt die Edle viele Worte der Vorzeit

und Taten der Vergangenheit kennen,

um dadurch ihren Charakter zu festigen.

Der Himmel inmitten des Berges deutet auf verborgene Schätze. So liegt in den Worten und Taten der Vergangenheit ein Schatz verborgen, der zur Festigung des eigenen Charakters dienen kann, solange das Historische durch Anwendung immer wieder gegenwärtig wird.

*

Oben eine Neun bedeutet:

Frau erlangt den Himmelsweg. Gelingen.


(Nach dem Text von Richard Wilhelm auf http://gutenberg.spiegel.de/buch/i-ging-1325/27)

FDGO Revisited

​Als ich jung war, konnte ich mir nicht vorstellen, mir jemals die Verteidigung der bundesdeutschen freiheitlich- demokratischen Grundordnung auf die Fahnen zu schreiben. 

Ich sah mich weit “links“ davon. Soll heißen: ich wollte nicht auf dem Rücken anderer frei sein und in Wohlstand leben, wollte, dass dieselben Rechte für alle gelten, auch jenseits unserer Staatsangehörigkeit und Grenzen.

Damals, in den achtziger Jahren des letzten Jahrhunderts, ging es wahrscheinlich einer überwiegenden Mehrheit der Menschen gut in der BRD. Es gab einen breiten Mittelstand, Sozialhilfe und Arbeitslosengeld, von dem eineR auch leben konnte, eine umfassend abgesicherte und staatliche Gesundheitsversorgung für alle,  einen Job zu bekommen war kein Problem und der Zugang zu Bildung war keine Frage des Geldes. Die Kehrseite der Medaille war, dass die Profite, die diesen gesellschaftlichen Wohlstand ermöglichten, auf einer ungerechten, post-kolonialen Ausbeutung der Ressourcen anderer Länder und Menschen beruhen. Und damit wollte (und will) ich nicht leben. 

Das Übel, der Kapitalismus, hatte damals hierzulande ein relativ freundliches Gesicht, und wer die andere Seite nicht sehen wollte wurde auch nicht direkt darauf gestoßen. In der Öffentlichkeit galten wir, die auf eine bessere Welt für alle pochten, als Spinnerinnen.

Das freundliche Gesicht des bundesrepublikanischen Nachkriegskapitalismus hatte ein Ziel. Es diente der psychologischen Kriegsführung. Unser System musste im Vergleich zum sozialistischen Gegenmodell im anderen Teil Deutschlands als das bessere dastehen.

Der Zusammenbruch der sozialistischen Alternative Ende der 1980er Jahre markierte daher den Zeitpunkt, ab dem diese Maske obsolet wurde. Kapitalistische Marktwirtschaft musste nun nicht mehr sozial tun. Mit dem Wegfall der Bedrohung war einer totalen Deregulierung Tür und Tor geöffnet. 

In der Folge riss die Verwertungslogik an sich, was als gesellschaftlich notwendige Aufgabe einstmals unter staatliche Kontrolle gestellt worden war: Gesundheitssystem, öffentlicher Verkehr, Bildung… wurden und werden in immer weiteren Teilen privatisiert. Mit der Konsequenz, dass Zwei-Klassen-Systeme entstehen und die allen zugängliche Grundversorgung immer schlechter wird. An Profiten – und nicht an Befriedung oder Gemeinwohl- interessierte Konzerne strecken ihre Fühler nach allem aus, was wir brauchen und wofür wir daher zahlen werden: medizinische Versorgung, Pflege, Wasser, Immobilien, Energie,… 

Und jetzt haben wir den Salat, einen nationalistisch, rassistisch und sexistisch verseuchten Salat, auch hier im reichen Zentrum Westeuropas: die Verhältnisse werden schlechter, immer mehr Menschen müssen einen sozialen Absturz fürchten, ohne Netz und doppelten Boden. Während einige (leider wenige)  ehemals bürgerlich-konservativ verortete Menschen beginnen zu ahnen, dass ein grundsätzlich kapitalismuskritischer Ansatz womöglich doch richtig ist,  wird auf der Straße in alter, leider nicht nur deutscher Tradition, wieder um sich geschlagen anstatt nachgedacht, wird “Heil“ geschrien, wenn die Stimmung gut ist, und wie im Fußballstadion wächst das Wir-Gefühl mit der Ab- und Ausgrenzung anderer*. All das scheint sich für erschreckend viele Leute irgendwie gut anzufühlen, während die Gebrandmarkten allen Grund haben, sich zu fürchten.

Wie schnell diese Furcht von der Realität noch übertroffen werden kann, müssen wir derzeit in den USA, in der Türkei und in Polen beobachten. Innerhalb von wenigen Tagen und Wochen kann eine gewählte Regierung  Ernst mit ihren chauvinistischen Parolen machen und einen Staat in eine Diktatur verwandeln.

In Deutschland könnte dies auch passieren, wenn die AfD zusammen mit anderen rechten Parteien im Herbst die Wahlen gewinnt. Genauso gefährlich ist es, wenn etablierte Parteien (und Medien)  aus Angst davor – quasi in vorauseilendem Gehorsam – deren Ansichten, Parolen und Forderungen übernehmen. 

Wir müssen JETZT gegensteuern. Und zur Not eben MINDESTENS die freiheitlich-demokratische Grundordnung verteidigen, in der immerhin die Unantastbarkeit der Würde jedes einzelnen Menschen, unabhängig von Religion, Herkunft und Geschlecht, sowie Pressefreiheit und Gewaltenteilung fest verankert sind.

Vielleicht ist eine darüber hinaus gehende Vision dabei sogar hilfreich.

* An dieser Stelle ein Wort gegen die Verwendung des Begriffs der “Minderheiten“: diejenigen, denen rechtspopulistische Rednerinnen und Redner derzeit den Schutz des Staates, also der Gesellschaft, entziehen wollen, diejenigen sind zusammengenommen eben keine Minderheit:

  • Frauen, die mehr wollen als deutsche Soldaten gebären
  • Lesben und Schwule
  • Geflüchtete
  • Menschen, die auch andere Kulturen leben wollen

Wenn wir uns spalten lassen, wenn wir (wie bisher nur zu häufig) wegschauen, solange es uns nicht selbst ganz unmittelbar betrifft, dann sind wir wirklich angreifbar.