Jacqueline Woodson ist eigentlich Jugendbuchautorin. Nie zuvor hatte ich vom Astrid Lindgren Memorial Award gehört, aber es ist der best dotierte Jugendbuchpreis weltweit, und Jacqueline Woodson hat ihn bekommen. Jetzt hat sie ein Buch über das Erwachsenwerden von vier Mädels im Brooklyn der 1970er Jahre geschrieben, wo sie selbst auch aufgewachsen ist.
„Ein anderes Brooklyn“ ist ein viel zu kurzes Buch, denn es ist so gut, dass ich schon ahne, ich werde lange suchen müssen, um einen gleichwertigen Anschluss zu finden. Sei’s drum, zur Not muss ich es halt nochmal lesen!
Jacqueline Woodson, die heute mit ihrer Partnerin und zwei Kindern in einem anderen Brooklyn lebt, erzählt vom Erwachsenwerden unter den Rahmenbedingungen von Rassismus, Sexismus, Prekarität. Die vier Mädchen, die bald eine Art Gang bilden, sind sehr unterschiedlicher Herkunft, aber alle nicht weiß, und keine von ihnen hat eine Mutter, die sie stärkt und auf die sie sich verlassen kann. Die Jungs und die Männer, die sie umgeben, sind nicht alle schlecht, aber: „… es war eine Nähe im Schatten.(…) Wenn mein Bruder und mein Vater die Köpfe zusammensteckten und miteinander redeten, sah ich ihre fließende Verbindung, etwas, von dem ich ausgeschlossen war. Vielleicht bestand zwischen mir und meiner Mutter eine ähnliche Nähe. Wenn sie zurückkam, wäre es wieder so.“, schreibt August, die Erzählerin, bereits ziemlich am Anfang. Gleichzeitig ist das, was die vier von ihren jeweiligen Müttern beigebracht bekommen, auch nicht ermutigend. „Trau keiner Frau“, wird August von ihrer Mutter gewarnt. „Du musst aus dieser Haut raus. Du musst sie hinter dir lassen. Halte dich im Schatten. Sie darf nicht noch dunkler werden.“, hört Gigi von ihrer Mutter. „Träume sind nicht für Leute, die aussehen wie ihr“, scheint der Blick von Sylvias Mutter zu sagen, wenn die Freundinnen dort zu Besuch sind. Angelas Mutter, die sich später als Junkie entpuppt, verbietet ihr, über ihre erste Menstruation zu reden. Und auch die „Tanten“, die Augusts Vater eines Tages von der Moschee und Treffen der Nation of Islam mit nach Hause bringt, geben keine Orientierung in der gerade erst zu entdeckenden Welt eigener und fremder Körperlichkeit und Sexualität.
Was die Mütter nicht schaffen, versuchen die vier, sich gegenseitig zu geben. Als eine von ihnen vergewaltigt wird, sind es die Freundinnen, die sie trösten und ihr wieder und wieder versichern (müssen): „Du bist nicht schuld.“. Und dennoch: alles können sie nicht auffangen.
Dazu sind sie einfach zu jung, zu unerfahren, zu isoliert in der Welt.
Am Ende heißt es im Text: „… warum hörten wir nicht Carmen McRae singen, wenn wir den Kopf ans Herz der anderen legten? In Angelas geballten Fäusten taumelte Billy Holiday an uns vorbei. Nina Simone sagte uns, wie schön wir waren, aber wir hörten ihre Stimme nicht.“
Wer verstehen will, wozu eine ganze Bandbreite starker weiblicher (und Schwarzer…) Role Models und Identifikationsfiguren gut sind, bekommt mit diesem Text eine gute Vorstellung.