Für alle? Ja, für alle! Denn eine Stunde Lebenszeit ist eine Stunde Lebenszeit, egal ob für die Care-Arbeiterin, die Professorin oder die IT-lerin! Vielleicht nicht ganz egal, ob jung oder alt? Und woher kommt dann der Anreiz, den eigenen Job gut zu machen und Verantwortung zu übernehmen? Und was hat Systemrelevanz damit zu tun?
Argumete für den Einheitslohn
Neben der mir nur gerecht scheinenden Vorstellung, dass letztlich die Zeit be/entlohnt werden sollte, die jede*r in – gesellschaftlich gewollte – Arbeit steckt, und zwar für alle gleich, gibt es noch ein paar weitere Argumente für den Einheitslohn. Komplizierte Tarifverhandlungen, Beitragsberechnungen und Steuerregelungen könnten stark vereinfacht werden. Keine*r müsste aus finanziellen Gründen eine Arbeit machen, die ihr oder ihm gar nicht (oder nicht mehr) liegt (in Kombination mit einem – niedriger anzusetzenden – Grundeinkommen erst recht nicht). Auch mit Care-Arbeit könnte ein Lebensunterhalt bestritten werden. Ungleiche Bezahlung von Frauen und Männern sowie Hierarchien zwischen unterschiedlichen Berufsgruppen gehörten der Vergangenheit an – alle verdienten denselben Respekt und hätten dieselben Möglichkeiten, ihr Leben zu gestalten. Die Frage danach, wer bestimmt, welche Arbeit in der Gesellschaft insgesamt überhaupt gemacht werden muss/sollte, käme aufs Tablett.
Aber Verantwortumg!?
Aber, höre ich Einwände, Leistung muss sich doch auch lohnen! Und lange Ausbildungszeiten! Und die Übernahme von besonderer Verantwortung!
Mögliche Antworten auf diese Fragen aus der konkreten Praxis sind zum Beispiel in diesem Erfahrungsbericht über eine Hamburger Firma enthalten. Hier werden Menschen aus einem Hamburger Unternehmen interviewt, das das Modell Einheitslohn seit Jahren praktiziert, und zwar erfolgreich, sowohl betriebswirtschaftlich als auch von der Zufriedenheit der Beschäftigten her.
Dort wurde über Verantwortung intern diskutiert. Als der Lkw-Fahrer für sich geltend machte, dass er auch Verantwortung trage, nämlich dafür, dass die Ware am Ende heil und pünktlich bei der Kundschaft ankomme, wurde allen Beteiligten klar, dass das Geschäft nur dann funktioniert, wenn jede*r an ihrem/seinem Platz Verantwortung für die eigene Aufgabe übernimmt. Es gibt also gar keine einzelne, herausgestellte Position, der allein für das Thema Verantwortung eine besondere Entlohnung gebührt – vielmehr sind Erfolg oder Misserfolg von allen am Produkt Beteiligten gemeinsam zu verantworten.
Nicht ohne soziale Grundsicherungen!
Trotzdem ist diese Hamburger Firma für mich kein Vorbild, denn dort findet das Prinzip der einheitlichen Entlohnung außerhalb eines sozial gesicherten Rahmens statt, konkret: ohne, dass die Mitarbeitenden sozialversichert sind. Das finde ich gefährlich und unpolitisch. Mir scheint im Gegensatz wichtig: Arbeit generell und Einheitslohn im Besondren geht nicht ohne eine soziale Grundsicherung, besser noch ein bedingungsloses Grundeinkommen, und nicht ohne einen gesicherten Zugang zu Gesundheits- und Bildungseinrichtungen für alle. Ganz kurz gesagt (und dazu ließen sich ganze Artikel schreiben): Grundeinkommen für alle, die nicht arbeiten können, ein Gesundheitssystem, das allen hilft, die es brauchen, und was die Bildung angeht…
Bildung
Stand jetzt sind Bildungschancen eng mit Herkunft sprich finanziellen Möglichkeiten und Ansprüchen der Eltern verknüpft. Dies könnte durch ein gesichertes Grundeinkommen und einen allgemeinen Zugang zu Bildung umgangen werden. Und wenn alle studieren können, die das wollen (und wann sie wollen), dann wäre einerseits der akademische Nachwuchs ( z.B. in Schulen und Medizin) gesichert, andererseits fiele das Argument weg, dass längere Ausbildungen ein höheres Gehalt rechtfertigen, denn sie wären/sind ja gesellschaftlich finanziert.
Dieser Gedanke passt gut zu Zeiten, in denen nicht zuletzt technologische Entwicklungen ständige Veränderung in der Arbeitswelt erfordern. Der Gedanke ist auch nicht neu. Bereits im kleinen Band „Von der Freundschaft – Michel Foucault im Gespräch“ von 1984 las ich:
Foucault: „Ich glaube jedenfalls, daß eine fruchtbare Kritik nicht mit den ständigen Klageliedern der Leute zu vermengen ist. Was die konkreten Vorschläge angeht… vor allem dies: daß das Recht auf Wissen nicht einem Lebensalter und bestimmten Kategorien von Individuen vorbehalten sein darf, sondern dass man es ohne Stillstand und in vielfältigen Formen muß ausüben können.“ Christian de la Campagne (Le Monde): „Ist dieser Wissensdurst nicht zweideutig? Was sollen die Leute denn schließlich mit all dem Wissen machen, das sie bekommen?“ Foucault: „…Heute müsste man den Unterricht so gestalten, dass er dem Einzelnen ermöglicht, sich nach eigenem Ermessen zu verändern, was aber nur unter der Bedingung möglich ist, dass die Lehre eine ‚permanent‘ angebotene Möglichkeit ist.“
Dienst nach Vorschrift bringt niemanden weiter
Ein anderes funktionierendes Beispiel für ein bereits mit Einheitslohn arbeitendes Unternehmen wurde in der Süddeutschen vorgestellt. Ich empfehle den lesenswerten Bericht auch wegen der darin enthaltenen Kritik an dem neoliberalen Kurs der Gewerkschaften, die Machtstrukturen und Hierarchien viel grundsätzlicher in Frage stellen sollten. Der hierarchische Führungsstil in Unternehmen wie in Gewerkschaften führt nur dazu, dass die Menschen Dienst nach Vorschrift machten, wird einer der Gründer des Unternehmens zitiert. Sein Fazit: „Das bringt die Unternehmen aber nicht weiter.“ Eine andere Folge: Vereinzelung, Standesdünkel und Frust statt gleicher Rechte und Solidarität auch unter den Beschäftigten.
Basisdemokratie und Einheitslohn
In beiden erwähnten Beispielen ist die Einführung eines Einheitslohns eng mit basisdemokratischen Organisationsstrukturen verknüpft, und das ist, denke ich, gut so. Vielleicht auch anders gar nicht machbar. Denn nur so können alle in das Gefühl von Gerechtigkeit hineinwachsen, immer wieder neu, in der direkten Auseinandersetzung mit den anderen, die es betrifft. Damit Neid und Missgunst, das Gefühl, übervorteilt zu werden oder einfach Unzufriedenheit gar nicht erst aufkommen können, braucht es Transparenz und Durchlässigkeit. Fragen müssen diskutiert und gemeinsam beantwortet werden, aber eben auch gestellt – und so wären alle gleichermaßen in der Verantwortung für das, was passiert.
Systemrelevantes Fazit
Einheitslohn ist ein Konzept, das sich im Kleinen (also in einzelnen Unternehmen) jetzt sofort beginnen lässt und das im Großen schließlich seine ganze Sprengkraft beweisen könnte. Wenn alle bewusst Teil am Erfolg oder Misserfolg des Ganzen haben – das Ganze ist auf verschiedenen Ebenen gedacht das Unternehmen genauso wie die Gesellschaft mit all ihren Gemeinschaftseinrichtungen wie Gesundheitssystem und Bildung -, dann gibt es keine Rechtfertigung mehr für Standes- oder Gehaltsunterschiede. Wenn alle gleichen Zugang zu Gesundheitsversorgung, Konsum und Bildung haben, auch nicht für Neid und Hass. Die Unternehmen würden denen gehorchen, die darin Verantwortung übernehmen, sprich arbeiten. Alle zusammen würden wir entscheiden, was wir für systemrelevant, heißt: entlohnenswert, halten, und was nicht. Diese Arbeiten würden wir uns untereinander gerecht aufteilen. Wer mehr arbeitet als durchschnittlich erforderlich, bekommt mehr Geld, wer nicht arbeiten kann, weniger, aber nie nix. Wahrscheinlich käme keine 40-Stunden-Woche dabei raus- stattdessen hätten die meisten bei gleicher Verteilung der erforderlichen Arbeit viel mehr Freizeit als bisher. Wir alle, die wir hier leben (egal ob mit oder ohne Papiere) könnten gemeinsam die Welt gestalten, wie sie uns gefällt. Und Pippi Langstrumpf unseren Präsidentinnenpalast widmen.
Ps: für Risiken und Nebenwirkungen in Bezug auf den Kapitalismus fragen Sie Ihre Ärztin, Ihren Apotheker oder irgendeine*n andere/n, der/dem Sie vertrauen!
Das ist meine Meinung. Ich habe mich Anfang dieses Jahrhunderts einmal für einen Job beworben, nur weil in der Stellenausschreibung Einheitslohn und kollektive Selbstverwaltung in Aussicht gestellt wurden. Heute bin ich anderswo angestellt und gehaltsmäßig vielleicht eher in der oberen Mitte, wäre aber jederzeit bereit, weniger Lohn zu akzeptieren, wenn ein Mittelwert berechnet würde und alle dasselbe bekämen. Wie seht ihr das? Was denkt ihr zum Thema Einheitslohn? Meint ihr auch, das wäre gesamtgesellschaftlich eine gute Idee?
Dagmar Hofmann sagt:
Meine liebe Ruth, definitiv bin ich für allgemeinen Einheitslohn! Der übrigens an Waldorfschulen praktiziert wird, ebenso wie eine basisdemokratische Unternehmensstruktur. Also, da bin ich dabei! (Fand noch nie einsehbar, warum mit längeren Ausbildungszeiten höhere Löhne einhergehen sollen…Als wäre Bildung nicht ein riesiges Privileg, und je mehr und je länger, desto besser, da bin ich ganz bei dir! Deshalb liebe ich auch meinen Beruf so sehr, weil ich immer dazulerne…) …