Frauenbewegt und von Männern umringt

Schade. Ich hatte mir mehr versprochen von Mary Shelley, dem jetzt in deutsche Kinos gekommenem Biopic über die Autorin von Frankenstein oder der moderne Prometheus (Hier gehts zum Trailer).

Ich hasse eigentlich Kostümfilme, insbesondere solche, die im prä-/viktorianischen 19. Jahrhundert spielen. Aber vielleicht, so dachte ich, könnte ich diese langweilig standardisierte Ästhetik verkraften, wenn’s um einen feministisch motivierten Plot geht. Schließlich war Mary Godwin Wollstonecraft, spätere Shelley, als Tochter von Mary Wollstonecraft und dem anarchistischen Schriftsteller William Godwin ein Kind von Feminismus und Freigeist, und die Regisseurin, Haifaa Al Mansour, versprach eine auf die Gleichberechtigung von Frauen fokussierte Erzählung des Stoffs, denn davon handelte bereits der erste Film der Saudi-arabischen Regisseurin

Dieses Versprechen wird im Film auch eingelöst und wir erleben mit der Protagonistin, wie eng das Korsett gesellschaftlicher Vorurteile gegenüber Frauen geschnürt ist, in einer Welt, auf deren Bühnen nur Männer sich bewegen. Das musste Mary Shelley erleben, der man die Autorinnenschaft an Frankenstein lang nicht zutraute.

Aber der Ruf nach Gleichberechtigung allein ist nicht genug. Zum einen, weil der männerzentrierte Blick davon nicht berührt wird – Allison Bechdel lässt grüßen und wir müssen wieder einmal zusehen, wie auch noch so eigenwillige Frauenfiguren letztlich von der Anerkennung durch Männer abhängen. Zum anderen, weil durch die Historisierung des Themas immer noch geltende, höchstens ein wenig subtilere Benachteiligungen im Literaturbetrieb verschleiert werden. Auch wo wir offiziell gleichberechtigt sind, haben wir lange noch nicht dieselben Chancen und Bedingungen.

Gegengift: Virginie Despentes‘ King Kong Theorie. Wütender, aktueller, punkiger Essay, der von aktuellen Erfahrungen als Opfer sexualisierter Gewalt, als Prostituierte und als Autorin berichtet und daraus nach einer radikaleren feministischen Orientierung sucht. So schreibt Virginie Despentes 2006:

In den Büchern von Frauen gibt es nur selten Dreistigkeit oder Feindseligkeit gegenüber den Männern. Sie sind zensiert.

Genau das ist es, was auch an dem Film über Mary Shelley angesichts der Ungerechtigkeiten und Verletzungen, die sie erfährt, so unbefriedigend ist.

Despentes weiter:

Ich gehöre zu diesem Geschlecht, das nicht einmal das Recht hat, seinem Ärger Luft zu machen. Colette, Duras, Beauvoir, Yourcenar, Sagan, eine ganze Geschichte von Autorinnen, die sich bemühen, vertrauenswürdig zu sein, sich für Ihr Schreiben zu entschuldigen, indem sie wieder und wieder sagen, wie sehr sie sie mögen, achten und lieben, und dass sie vor allem – egal was sie schreiben – nicht allzu viel Unruhe stiften wollen. Wir wissen alle, was sonst passiert: die Meute wird sich um dich kümmern, und zwar gründlich. (…) Man soll mir nicht erzählen, dass die Dinge sich so sehr geändert hätten, dass es anders geworden wäre. Nicht mir. Was ich als Schriftstellerin ertragen muss, ist doppelt so viel wie ein Schriftsteller.

Alexa ist KI für Dummies

Nein, sie sind nicht smart, die Geräte, die uns jetzt als solche verkauft werden sollen. Womöglich gar als Weihnachtsgeschenke. Da wüsste ich bessere. Zum Beispiel das Buch „Weapons of Math Destruction“ (auf Deutsch: „Angriff der Algorithmen„) der US-amerikanischen Mathematikerin Cathy O’Neil. In diesem Buch wird verständlich und sehr anschaulich beschrieben, was das Problem daran ist, wenn wir immer mehr Antworten auf unsere Fragen so genannten KI-Systemen überlassen (KI steht für „Künstliche Intelligenz“).

Dazu muss man zunächst wissen, wie diese Systeme heute funktionieren. Sie „verstehen“ nämlich nicht, haben also keine interne Vorstellung von Bedeutungen, sondern analysieren und bewerten Daten allein auf Grund von Ähnlichkeiten zu den immensen Mengen an Trainingsdaten, mit denen sie zuvor gefüttert werden mussten. Damit das System mir zb aus einer Menge Fotos diejenigen Fotos auswählt, auf denen eine „schöne Frau“ zu sehen ist, muss ich es zuvor mit tausenden von Fotos gefüttert haben, auf denen „schöne Frauen“ zu sehen sind. Und mit ebenso vielen, auf denen dies nicht der Fall ist. Zeige ich dem System dann ein neues Foto und frage: „Ist das eine schöne Frau?“ bekomme ich als Antwort die berechneten Wahrscheinlichkeiten für ja oder nein, also einen bestimmten Grad der Ähnlichkeit zu meinen Trainingsdaten. Was passiert also, wenn ich als Trainingsdaten nur oder vorwiegend Fotos von dünnen blonden Frauen eingegeben haben? Schwarze oder fülligere Frauen werden niemals als schön erkannt.

Wer sich für weitere Details interessiert und wer wissen will, wo derartige Algorithmen schon jetzt in unser tägliches Leben eingreifen, findet bei Cathy O’Neil einen guten Einstieg.

Noch dazu ist Alexa alles andere als „intelligent“ – der Gebrauch dieses Begriffs im Zusammenhang mit diesem Gerät ärgert mich geradezu. Auf die wenigsten Fragen bekommen wir eine befriedigende Antwort, stattdessen machen wir uns zum Deppen, in dem wir versuchen, das Gerät auf unsere Aussprache einiger weniger Befehle zu trainieren. Warum tun Menschen so etwas? Weil ihnen weisgemacht wird, dass sie damit ganz vorn wären in der Entwicklung der Zivilisation?

In Wahrheit bezahlen die Nutzerinnen und Nutzer dieser Systeme dafür, den Herstellern wertvolle Daten zur Verfügung zu stellen – zusätzlich zu ihren Vorlieben und Interessen zum Beispiel auch die eigene Stimme und Aussprache. Mit diesen Daten werden dann wieder neue Systeme trainiert. Und, eines Tages, werden wir anhand unserer Stimmen inmitten großer Menschenmengen identifiziert und verfolgt werden können. Schön blöd also. Im Vergleich dazu ist Alexa dann vielleicht doch nicht so dumm…

Cathy O’Neil: Angriff der Algorithmen. Wie sie Wahlen manipulieren, Berufschancen zerstören und unsere Gesundheit gefährden

    übersetzt aus dem Englischen von Karsten Petersen

  • Erscheinungsdatum: 21.08.2017 
  • 352 Seiten
  • Hanser Verlag