Jeanette Winterson kann schreiben und interessiert sich für vieles, was auch mich interessiert: KI und ihre Monster, Literatur, gewitzte Frauen und ihre Lebensbedingungen und Geschichten. In ihrem aktuellen Roman Fran Kiss Stein geht es daneben auch um Transgender. Es geht um die Vision des Transhumanismus. Letztlich immer wieder um das Verhältnis von Körper und Geist/Bewusstsein.
Winterson erkundet auf ganz verschiedenen Ebenen die Fragen, die sich aus diesem Verhältnis ergeben. Freude und Leid der an einen bestimmten und vergänglichen Körper gebundenen Seele. Macht und Ohnmacht des Geistes über den Körper. Den Drang, die Beschränkungen des Körpers zu überwinden.
Es geht am Ende auch kurz um Unterschiede zwischen maschineller und menschlicher Intelligenz. Wobei mir das leider am wenigsten gründlich untersucht zu sein scheint und dazu noch in eine gleichermaßen elitäre wie anthropozentristische Sichtweise weist.
„Nur der menschliche Geist ist zu dem Gedankensprung fähig, der Genialität ausmacht.“, lässt Winterson da Ada Lovelace sagen, die erste Software-Entwicklerin der Geschichte. „Aber seien wir ehrlich, welcher menschliche Geist ist schon genial? Die meisten nicht, und sie brauchen auch keine Genialität. Was sie brauchen, sind Instruktion und Information. Und das würde die Maschine ermöglichen.“
Diese Aussage (immerhin den Anfängen der Entwicklung von Computern zu Beginn des 19. Jh. zugeordnet) steht zwar Bildern von Robotern gegenüber, die komplexe medizinische Analysen durchführen, die ohne ihren Einsatz gar nicht möglich wären, aber sie bleibt dennoch irgendwie unwidersprochen im Raum stehen.
Was mir bei all den Erkundungen rund um Körper und Geist außerdem noch viel zu kurz kam, war die Gegenfrage: inwiefern bestimmen Körper und erlebter Leib die Inhalte des Geistes/Bewusstseins? Und was bedeutet das im Hinblick auf künstliche „Intelligenzen“?
Trotzdem habe ich das Buch über die weitesten Strecken sehr gerne gelesen. Es hat mich inspiriert und von Corona abgelenkt. Und das ist doch schon sehr sehr viel.
An dieser Stelle wollte ich eigentlich Schluss machen. Das wäre ein sehr abruptes Ende dieses Beitrags, meinte meine Liebste, schreib doch etwas mehr darüber, was dir denn dann gefallen hat. Also gut 😉
Die Personen der Handlung sind toll gewählt! Neben Mary Shelley und Lord Byron, Ada Lovelace und Viktor Frankenstein kommen unter anderem ein geistig nicht immer sehr heller, aber erfolgreicher Verkäufer von Sexbots, eine devote evangelikale Gottesanbeterin, und ein Ich-Erzähler vor, der im Körper einer Frau geboren wurde, diesen an sein eigenes Empfinden anpassen ließ und nun in einem das binäre Denken seiner Mitmenschen irritierenden Körper lebt. Sie alle treffen in unterschiedlichen, teils abstrusen Konstellationen immer wieder aufeinander, was Vielseitigkeit und eine gewisse Komik garantiert!
Jeanette Winterson: Fran Kiss Stein. Übersetzt von Michaela Grabinger und Brigitte Walitzek. Erschienen bei Kein & Aber, 2019. Erhältlich in eurem örtlichen Buchladen – der gerade jetzt Unterstützung braucht!
Dagmar Hofmann sagt:
Nachgefragt, weil ich es nicht verstehe: Was meinst du mit einer elitären und anthropozentrischen Sichtweise? Anrthropozentrisch und elitär im Gegensatz zum Betrachten der Welt aus der Perspektive der Maschine?
Prinzessin Karl sagt:
Beides wird für mich in der Passage deutlich, die ich im Anschluss zitiert habe: „Nur der menschliche Geist ist zu dem Gedankensprung fähig, der Genialität ausmacht.“ und „Aber seien wir ehrlich, welcher menschliche Geist ist schon genial? Die meisten nicht, und sie brauchen auch keine Genialität. Was sie brauchen, sind Instruktion und Information.“
Vielleicht sind andere Lebewesen auf ganz andere Art viel genialer als wir? Vielleicht hängt das genau damit zusammen, dass sie Körper und Geist nicht als getrennt wahrnehmen? (Das weiß ich natürlich nicht, aber es könnte ja sein).
Einen kleinen Hinweis, dass der Mensch vielleicht nicht die Krone der Schöpfung oder ihre letzte Weisheit ist, hätte ich bei dem großen Aufriss über die Körper-Geist-Thematik irgendwie doch erwartet.
Dazu werden in dem Roman ausschließlich erfolgreiche Dichter*innen und Wissenschaftler*innen als intelligent dargestellt. Wenn andere mal etwas Schlaues sagen, steht sogar extra dabei, dass das das Klügste war, was sie in ihrem ganzen Leben von sich gegeben haben. Da kommt für mich schon so ein gewisser Dünkel rüber….
Aber vielleicht bin ich an diesen Stellen nur besonders empfindlich? Hast du das Buch selber schon gelesen – und eventuell ganz anders empfunden?
LYREBIRD | Bücher, Handlettering und Hobbypsychologie sagt:
Vielen Dank für diese Rezension. Das Buch ist mir bereits in die Hände gefallen, weil ich mich für das Thema KI generell interessiere. Doch bisher wusste ich noch nicht, ob mir ein Roman, insbesondere eine Liebesgeschichte, hierzu gefällt. Deine Beschreibung klingt sehr interessant, scheint jedoch meine Befürchtung zu bestätigen: ein Roman kann nun mal einfach nicht alles Wissenschaftliche zum Thema KI aufgreifen. Doch ich finde das Buch dennoch sehr interessant, weil es das Thema mal aus der rein wissenschaftlichen Ecke herausdrängt und mitten im Leben, in einer Geschichte der Liebe, platziert. Das muss vielleicht auch noch auf meine Wunschliste für diese Zeiten der Isolation 😉
Danke dafür und liebe Grüße
Janne von LYREBIRD