Ich habe sie verschlungen, die Bücher von Ingrid Strobl (Sag nie, du gehst den letzten Weg, Ich hätte sie gerne noch vieles gefragt und Die Angst kam erst danach). Jetzt ist ein neues erschienen: Vermessene Zeit, in dem sie ihre eigene Geschichte als Arbeiterkind und in den 1980ern radikalisierte Feministin reflektiert.
Ingrid Strobls aktuelles Buch ist eine kritische Aufarbeitung ihrer eigenen Erfahrungen. Ende der 1980er Jahre wurde die Journalistin verhaftet, weil sie einen Wecker gekauft hatte, der später bei einem Anschlag einer militanten Gruppe gegen die Lufthansa als Profiteurin von Abschiebungen und Sex-Tourismus verwendet wurde. Der Anschlag war so geplant, dass keine Menschen verletzt wurden, die Täterinnen wurden nie erwischt. Aber Ingrid Strobl saß monatelang in Haft. Sie hat nie verraten, für wen sie den Wecker gekauft hat.
Und dafür wurde sie damals sehr gefeiert. Es war die Zeit von Arthur und Anna, und es war eine Zeit, zu der viele mehr oder weniger junge Menschen (inklusive mir) begriffen hatten, dass Kapitalismus, Sexismus und Rassismus Scheisse sind und dachten, dass eine revolutionäre Veränderung dieser Verhältnisse nötig und möglich ist.
Ingrid Strobl hält diese Vorstellung aus heutiger Sicht für vermessen und kann sich selber nicht mehr erklären, warum sie damals mit so radikalen Aktionen sympathisierte (nachzulesen auch in diesem Interview). Das ist aber der aus meiner Sicht uninteressantere Teil des Buches, auch, weil sie keine genaueren Analysen oder Kritiken liefert.
Interessant fand ich dagegen die Schilderung ihrer Zeit im Knast, der Mitgefangenen, der Solidarität von draußen, aber auch ihrer eigenen Haltung und Verhaltensweisen. Unter anderem hat sie ja diese Zeit der weitgehenden Isolation genutzt, um ihr Buch über Frauen im Widerstand gegen den Faschismus (Sag nie, du gehst den letzten Weg) fertig zu schreiben. Und sie hat über ihre Mitgefangenen ganz andere weibliche Lebensrealitäten kennengelernt. Das sind wertvolle Erfahrungen, und es ist gut, dass sie sie teilt.
Das Buch kann als eine Ergänzung zu dem sehenswerten Dokumentarfilm „Frauen bildet Banden“ gelesen werden, der im letzten Jahr erschienen ist und die Geschichte der Roten Zora (einer Revolutionären Frauengruppe) erzählt. Allerdings mit einer anderen Parteilichkeit, nämlich unter Einbeziehung der Perspektive von Frauen auf der ganzen Welt, die die militanten Aktionen dieser Gruppe als positiven Akt der Solidarität oder der Selbstermächtigung erlebt haben.
Ingrid Strobl: VERMESSENE ZEIT. Der Wecker, der Knast und ich. Erschienen im März 2020.